Leute kennenlernen im Café? Das war gestern! Die angesagten Treffs liegen an der Straße – dort, wo Elektrofahrzeuge gerade Saft ziehen. Und dort darf es dann auch schon mal knistern, wenngleich nicht in der sorgsam ummantelten Hochvolt-Technik. Eher zwischenmenschlich. Denn man trifft auf moderne, aufgeschlossene Menschen, die den Ladevorgang ihres Elektroautos gerne mit einem Schwätzchen unter Gleichgesinnten verbinden. Am Ende fragt man sich, warum die Ladesäulen-Betreiber nicht gleich auch Kaffeemaschinen aufstellen.

Wir haben am frühen Morgen München verlassen, nehmen die A96 unter die Räder und gleiten Richtung Lindau. Neben mir Alexander Klose, unter uns ein Lithium-Ionen-Akku mit 63 Kilowattstunden Speicherkapazität im Aluminium-Unterboden.

Wir gleiten in einem nagelneuen Stromer dahin, dem ersten, der aus China nach Europa kommt. Aiways heißt der Hersteller und das Modell, das seit Kurzem auf der Website des Elektrogeräte-Händlers Euronics bestellt werden kann, heißt U5. Das klingt nach U-Boot, ist aber ein fünftüriger Familien-SUV. Klose leitet beim chinesischen Start-up die Auslandsgeschäfte und fährt nun nach Korsika. So, wie Hunderte deutsche Familien auf Urlaubsreise. Vielleicht etwas entspannter als die meisten, denn Klose rollt nicht schneller als mit 120 km/h. Geschwindigkeiten darüber seien unter E-Mobil-Fahrern verpönt, sagt er. Denn die knabbern an der Reichweite und dehnen die Wartezeit an der Strom-Tankstelle. Wenn’s dann dort nicht knistert, mündet das Nachladen in Langeweile oder mangels Kaffeeautomat in einem Nickerchen. Unterwegs im Aiways U5 passiert das eher selten, lernen wir bald.

Denn das EV aus China weckt überall großes Interesse – selbst bei Reisenden in Verbrennerautos. Wir passieren die Grenze zu Österreich, fahren durch Liechtenstein und legen in der Schweiz, nach gut 300 Kilometern, einen ersten Ladestopp ein. Neben uns an der Raststätte „Heidiland“ kämpft ein schweizer Gesinnungsgenosse gerade mit der Ladesäule von Ionity. Sein E-Auto stammt aus Deutschland, offenbar beherrscht es die schweizerische Landesprache nicht: Die Kommunikation mit der Ladesäule will partout nicht klappen. Uns schwant nichts Gutes. Kann eigentlich unser Chinese Schwyzerdütsch?

Mit Vollausstattung für 37.990 Euro

Er kann, und Alexander Klose triumphiert. Grund genug für den frustrierten EV-Fahrer nebenan, sich nach unserem U5 zu erkundigen.
Die ersten Fragen sind immer gleich: Wie groß ist die Reichweite? „Nach WLTP 410 Kilometer“, sprudelt es dann aus Klose heraus. Und was kostet der Wagen? „Mit Vollausstattung 37.990 Euro inklusive deutscher Mehrwertsteuer und abzüglich 9.480 Euro Fördergelder.“

Nun schaut unser Freund aus der Schweiz noch genauer hin, kostet sein SUV bei annähernd gleicher Verkehrsfläche doch etwa das Doppelte – wenngleich mit etwas mehr Ausstattung. Ob er mal Probe sitzen dürfe? Ja, aber nur kurz bitte.

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Bergauf ohne Atemnot

Im Unterschied zu Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor steht Elektroautos auch in Höhenlagen die volle Kraft zur Verfügung. Im Aiways U5 bis zu 140 kW (190 PS) und 315 Newtonmeter Drehmoment.

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Wie groß ist die Reichweite?

Mit einer Akkuladung kommt der U5 theoretisch rund 410 Kilometer weit. Der Akku mit einer Speicherkapazität von 63 kWh lädt Wechselstrom mit 6,6 kW, Gleichstrom am Schnelllader mit bis zu 90 kW.

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Intuitiv zu bedienen

12,3 Zoll groß ist die LCD-Infotainment-Konsole, über die unter anderem das Infotainment-System des Aiways U5 gesteuert wird.

Nach gut 30 Minuten hat der Akku des Aiways U5 82 Prozent seiner Kapazität zurückgewonnen. Unser Gesprächspartner bricht derweil unverrichteter Dinge zur nächsten Ladestation auf. Wir fahren weiter Richtung Hochgebirge, verlassen die Autobahn bei Reichenau und cruisen auf der Staatsstraße 19 am Oberrhein entlang. Ab Disentis geht’s steil und kurvenreich bergauf: Der Oberalp-Pass führt uns bis auf 2.044 Meter Höhe. Hier demonstriert der U5 die Stärken des elektrischen Antriebs und die Vorteile seines Leichtbau-Konzepts. So unangestrengt wie in der Ebene hängt der 140 Kilowatt (190 PS) starke U5 auch am Berg am Fahrpedal. Für die direkte Ansprache wählen wir den Fahrmodus „Sport“ (es gibt außerdem noch „Standard“ und „Eco“) und die Rekuperationsstufe Medium“, um beim Lupfen des rechten Fußes bergauf vor Kurven nicht zu viel Schwung zu verlieren. Seinen Antritt mit bis zu 315 Newtonmeter Drehmoment behält er in luftiger Höhe bei, wo Verbrennungsmotoren infolge von Atemnot spürbar die Puste ausgeht.

24 Haarnadelkurven und 300 Höhenmeter

Die intelligente Mischbauweise des U5 aus Aluminium-Chassis (mit Sicherheitskäfig für die Akkus) und hochfester, leichter Stahl-Verbundstoff-Bauweise führt zu einem Fahrzeuggewicht von 1 750 Kilo. Für eine Auto von fast fünf Metern Länge ist das ein sehr guter Wert, der maßgeblich zur großen Reichweite beiträgt. Natürlich saugt die Bergauffahrt unter Last gieriger am Stromspeicher als bei gleichförmiger Geschwindigkeit in der Ebene. Andererseits lädt der Akku bei den anschließenden Talfahrten fleißig nach.

In der Einsamkeit der Berg
Der Aiways U5 auf dem Oberalp-Pass auf 2044 Metern Höhe.

Jenseits der Passhöhe, bergab auf Andermatt zu, wechseln wir in die Rekuperationsstufe „High“, was die Bremsbeläge schont und Energie zurückgewinnt. Denn im Schub und bei sanftem Tritt aufs Bremspedal arbeitet die E-Maschine an der Vorderachse als Generator. In Andermatt wechseln wir auf die Nationalstrasse 2 und nehmen das Kopfsteinplaster des alten Gotthardpasses unter die Räder. Spitzkehre um Spitzkehre schwingen wir den „König der Pässe“ hinauf, das längste Straßenbau-Denkmal der Schweiz. Auf dem Kernstück überwinden wir auf vier Kilometern Strecke 24 Haarnadelkurven und 300 Höhenmeter. Da kann einem leicht schwindelig werden.

Auf 1175 Metern Höhe übernachten wir in Airolo und kosten von den Leckereien der lokalen Käserei. Mit über 20 Prozent Rest-Reichweite legen wir den U5 derweil zum zweiten Mal an die Nabelschnur. Dass Airolo Schnell-Ladesäulen für Elektrofahrzeuge vorhält, käme uns spontan gar nicht in den Sinn, belegt aber die hohe Durchdringung der elektromobilen Förderung in der Schweiz bis in kleine Alpendörfer: Mit leeren Akkus stranden muss hier niemand.

Durchschnittsverbrauch von nur 16,6 kWh

Frühmorgens nehmen wir die Autobahn A2 entlang des Flüsschens Ticino. Es geht weiter Richtung Süden. Klose schwärmt von der entspannten, zeitgemäßen und zunehmend akzeptierten Art des elektrisch betriebenen Reisens auch in den Urlaub: „Kein nervender Aggregate-Lärm, keine Resonanzen, keine akustischen Anregungen von Karosserie und Innenraum-Verkleidung. Nur ein leises Rauschen an den Außenspiegeln. Wunderbar!“ Über Bellinzona stromern wir durchs Tessin nach Lugano, wo wir Italien erreichen und ein Frühstück am See einnehmen. Dann ruft das Mittelmeer: Vorbei an Mailand und Alessandria cruisen wir auf Genua zu. Die Verkehrsdichte nimmt zu, mehr und mehr Urlauber sind unterwegs, atmen wiedergewonnene Freiheiten nach den wochenlangen Ausgangssperren wegen COVID-19.

Italienische Leichtigkeit
Autor Jürgen Zoellter bei einer Kaffeepause mit Aiways-Manager Alexander Klose. Der ehemalige BMW-Manager leitet bei dem chinesischen Start-up das Auslandsgeschäft.

Die italienische Leichtigkeit kommt zurück. Wir fahren eine Ladesäule im Hafen von Genua an, wo wir den U5 zwischen Stadtmauer und Zweirad-Parkplatz zwängen. Hier fände nicht mal mehr ein Kaffeeautomat Platz. Dieser Ladeplatz fällt als Kommunikationsbühne aus. Wir lassen den Stromer allein, suchen uns ein Restaurant und ziehen nach 700 Kilometern eine Zwischenbilanz, bei der ein Durchschnittsverbrauch von nur 16,6 Kilowattstunden auf 100 Kilometer erstaunt.

Der chinesische Elektroauto-Hersteller nutzt Corona-Pause zu Nachbesserung an der Antriebstechnik - aber auch am Vertriebsmodell. Elektroauto

Unsere Reise ans Mittelmeer im batterieelektrischen U5 ist allerdings auch kein Marathonlauf, mehr eine entspannte Sightseeingtour. Wir befahren Autobahnen, Landstraßen, enge Gassen und Energie fressende Alpenpässe. Niemals befällt uns die Angst, mit leeren Akkus zu stranden. In Savona wartet die Nachtfähre nach Bastia auf uns. Morgens um sechs Uhr geht die Sonne auf und kleidet Korsika in wunderschönes weiches Licht.

Am Flughafen von Bastia erreichen wir Filippi Auto, die korsische Tochter der Autovermietung Hertz. Hier endet Kloses Reise. Der Vermieter nimmt die ersten von 500 Aiways U5 in Dienst. Sie sind ein erster Schritt hin zur Elektrifizierung der Mietwagenflotte Korsikas. Parallel wächst die Infrastruktur auf der Insel heran. 80 Ladesäulen gibt es bereits. Alle ohne Kaffeeautomaten.

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2 Kommentare

  1. Jürgen Baumann

    By the way: Das Flüsschen entlang der A2 im Tessin heisst „Ticino“ nicht „Ticini“. Und Airolo liegt auf nicht auf 2 175 Metern sondern auf 1 175 Metern. Grüsse aus der Schweiz.

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    • Franz W. Rother

      Es geht doch nichts über Ortskenntnis. Vielen Dank für den Hinweis – wird korrigiert

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