Wenn Luca De Meos Blick über den neuen R5 E-Tech Electric schweift, dann schwärmt der Renault-Chef gerne von der „Renaulution“ und davon, dass die elektrische Revolution mit dem Rückgriff auf den großen Star unter den französischen Kleinwagen jetzt endlich Fahrt aufnehmen wird. Klar, weil der Neue, der am 26. Februar auf dem Automobilsalon in Genf seine Weltpremiere erlebt, so knuffig aussieht. Auch, weil er in der Topversion bis zu 400 Kilometer Reichweite bieten wird. Und weil er, wie man hört, in der 70 kW starken Basisversion trotzdem nur 25.000 Euro kosten soll.
Doch ganz so neu, wie der Renault-Chef tut, ist die Idee vom vollelektrischen R5 gar nicht. Denn in den 1970er Jahren haben sie den kleinen Gallier schon einmal unter Strom gesetzt. Und während sich die Entwickler von Renault in Paris mit einer Kleinserie für den Staat begnügt haben, wollten ein paar Amerikaner 1978 in Athol im US-Staat Massachusetts mit dem kleinen Europäer das ganz große Rad drehen.
Zur Erinnerung: Sechs Jahre zuvor präsentiert und in Europa zum meistverkauften Auto überhaupt aufgestiegen, geht der R5 als „LeCar“ 1976 der Renault R5 auch jenseits des Atlantiks an den Start. Zusammen mit dem zum „Rabbit“ umbenannten VW Golf und dem Opel C-Kadett als Chevrolet Chevette soll er den Amerikanern das Spritsparen schmackhaft zu machen. Mit anfangs mäßigen, später aber ganz respektablen Erfolg. Schließlich wurden in sieben Jahren immerhin 160.000 Exemplare verkauft und der kleine Charmeur hat die Absatzmarken der Franzosen in den USA kräftig nach oben getrieben: Von 5 780 Zulassungen im Jahr vor seinem Debüt auf 37.702 im Jahr 1982, bevor er im März 1983 wieder seinen Abschied von den USA genommen hat.
Renaults R5 mutierte zum „Lectric Leopard“
Einen ganz kleinen Anteil daran haben auch die Herren C. H. Waterman und John H. Kauffmann, die hinter der „US Electric Car Corporation“ aus Athol stecken. Sie haben den R5 mit viel Enthusiasmus, Engagement und Eigenkapital zum Elektroauto umgebaut und als „Lectric Leopard“ angeboten. Ein paar amerikanische Überzeugungstäter mit erfolgreichen Fundraising, ein europäisches Importauto, viel Idealismus und Improvisationstalent und jede Menge Batterien?
Die Geschichte kommt einem irgendwie bekannt vor. Stimmt: Denn knapp 30 Jahre später wiederholt ein gewisser Elon Musk das gleiche Spiel mit einem Lotus Elise, macht daraus den Tesla Roadster und legt damit den Grundstein für einen der aktuell erfolgreichsten Autohersteller der Welt.
Alles schon mal da gewesen – nicht nur der elektrische R5, sondern auch die Tesla-Story ist also ein Remake.
Geladen wurde an der 115-Volt-Steckdose
Anders als Elon Musk wollten die Visionäre aus Massachusetts 1980 allerdings weder die Welt noch das Klima retten. Sondern ihr Kleinwagen sollte die Amerikaner mit seinem sanften Schnurren davon überzeugen, dass es bessere Autos für die Fahrt ins Büro, zum Supermarkt oder zum Friseur gibt, als ihre schweren Straßenkreuzer. „Ich fahre jeden Tag 32 Meilen ins Büro und zurück “, gab Verleger Kauffmann zu Protokoll, der seinen „Washington Star“ für das Abenteuer mit Waterman verkauft hat. „Wer zum Teufel braucht dafür einen Cadillac, der mit einer Gallone Sprit gerade mal neun Meilen schafft?“
Obwohl der Lectric Leopard für 50 Cent an der 115-Volt-Haushaltssteckdose zu laden war, ging es den Gründern allerdings weniger um die Energiepreise. Kein Wunder bei damals etwa 65 Cent pro Gallone. Und erst recht nicht ums Klima. Denn auch wenn Greenpeace schon 1971 gegründet wurde, konnte man Global Warming Anfang der 1980er noch nicht einmal buchstabieren. Und selbst Greta Thunbergs Eltern waren da allenfalls noch unbesorgte Teenager.
16 Bleibatterien von Golf-Karts
Vielmehr wollten Waterman und Kauffmann ihren Landsleuten in erster Linie ein wartungsarmes und deshalb ebenso komfortables wie billiges Auto schmackhaft machen. Ein Auto, das nicht ständig in die Werkstatt musste, keinen Ölwechsel benötigte und trotz Schaltgetriebe so einfach zu fahren war wie eines mit einer Automatik.
Also haben sie den für amerikanische Verhältnisse ohnehin schon schmächtigen 1,3-Liter mit seinen 58 PS im Bug samt Tank im Heck ausgebaut – und gegen einen 9 kW (12 PS) starken E-Motor samt 16 Sechs-Volt-Bleibatterien aus einem Golf-Kart mit insgesamt 138 Amperestunden getauscht. Statt der Benzinleitung wurden ein paar Strippen durch den Wagen gezogen. Für die kalte Jahreszeit gab es lediglich einen Glühdraht hinter der Frontscheibe sowie einen Heizlüfter im Fußraum des Beifahrers. Für eine Klimaanlage hätte die Kraft der Batterien nicht ausgereicht.
128 Kilometer bei maximal 90 km/h
Über Nacht über zwölf Stunden hinweg geladen, schaffte der elektrifizierte R5 damit angeblich immerhin Fahrten über 60 bis 80 Meilen (96 bis 128 km) bei einem Spitzentempo von immerhin 55 Meilen pro Stunde oder knapp 90 km/h. „Mehr Auto braucht man nicht“, schwärmt Kauffmann, der seine Kontakte in Washington nutzte und mächtig die Trommel rührte. Wenn man heute seinen großen Sprüchen glaubt, war der Lectric deshalb bald so bekannt ist wie „Kleenex“ und wurde zum Synonym einer neuen Autogattung. Auch im Selbstbewusstsein oder je nach Sichtweise der Selbstüberschätzung gibt es also gewisse Parallelen zu Tesla und Elon Musk.
Die allerdings beim Erfolg der Marke schnell wieder enden. Zwar waren Elektroautos damals offenbar echt ein großes Thema. Es gab allein in USA bald ein Dutzend Start-Ups und das Department of Energy schätzte den E-Auto-Markt für die Mitte der 1980er Jahre auf 20.000 Autos pro Jahr und für das Ende des Jahrtausends sogar auf 100.000 Neuzulassungen. Doch entweder war die Zeit doch noch nicht reif – oder der kleine Renault vielleicht doch nicht das richtige Auto, um eine Massenbewegung anzuzetteln. Was vielleicht auch am Preis für die neue Technologie liegen könnte. Während Renault „Le Car“ für 3495 Dollar verkaufte, wollten Watermann und Kauffmann für den zum Lectric Leopard umgebauten R5 immerhin 6995 Dollar haben, also doppelt so viel Geld.
Nach 400 Autos war Schluss mit der „Renaulution“
Statt also zum Tesla der Achtziger aufzusteigen, hatte die Bewegung mit dem gerade mal 3,5 Meter langen Renault buchstäblich einen „Kurzen“: Nur drei Jahre nach dem Start wurde der Verkauf des Elektroautos wieder beendet. Kaum mehr Mehr als 400 Autos, so ist auf Webseiten mit so trefflichen Namen wie „Carsthatnevermadeit“ nachzulesen, haben es deshalb nicht auf die US-Straßen geschafft. 30 Jahre Später baut Elon Musk vom Tesla Roadster bereits die sechsfache Anzahl. Von den vielen hunderttausend Model S, Model X, Model Y und Model 3 ganz zu schweigen.
Der Lectric Leopard wird deshalb heute nicht als berühmter Vorreiter bewundert, sondern nur als elektrischer Exot bestaunt. „Erst recht in Europa“, sagt Bernd Schouren, Renault-Händler aus Brüggen-Bracht am Niederrhein und Elektro-Enthusiast der ersten Stunde, der ein Exemplar des Sonderlings sein Eigen nennt. Denn als Renault der Welt dann vor zehn Jahre mit den elektrischen Zoe den Beginn einer neuen Ära verkaufen wollte, wusste er es besser. Also stöberte er so lange im Internet, bis er auf eine Kleinanzeige aus Indiana stieß. Ein paar Monaten später kullerte zwischen zwei Amischlitten der wahrscheinlich erste und einzige Lectric Leopard in Europa aus einem Containe.
Noch steht der Lectric Leopard in Brüggen-Bracht ziemlich verloren zwischen ein paar anderen Oldtimern und den vergleichsweise seelenlosen Renault-Stromern der zweiten Generation. Doch bald, ganz bald, gebührt ihm ein Ehrenplatz – neben dem nagelneuen R5 E-Tech Electric, der spätestens nach den Sommerferien in den Showroom von Schouren surren soll. Dann schließt sich der Kreis. Vielleicht kommt ja sogar mal ein Tesla Roadster-Fahrer in Brüggen vorbei. Und sich zu überzeugen, dass seine umgebaute Elise nicht der Vorbote einer neuen Ära der Elektromobilität war.