Die Idee ist charmant. Anstatt den Verbrennungsmotor als Umweltsünder zu verdammen, kann er so modifiziert werden, dass er anstelle mit Benzin oder Diesel mit Wasserstoff betrieben wird. Technisch ist das mehr oder weniger problemlos möglich. Bereits 1807 (!) meldete der französische Offizier François Isaac de Rivaz einen Wasserstoffhubkolbenmotor zum Patent an. Sein H2-Motor arbeitete nach dem Prinzip des (wesentlich später erfundenen) Otto-Motors – nur dass anstelle eines Benzin-Luftgemischs ein Wasserstoff-Luft-Gemisch eingespritzt wurde.
Durchgesetzt hat er sich mit der Idee nicht. Erst heute, da die Politik zum Schutz des Weltklimas dringend nach Alternativen zu kohlenstoffbasierten Antrieben sucht und der Wasserstoff mithilfe Erneuerbarer Energien klimaneutral gewonnen wird, könnte der H2-Motor eine Renaissance erfahren. Und so könnte auch der Verbrennungsmotor, der vor 133 Jahren die Mobilität revolutionierte, vielleicht sogar noch einmal zu einer maßgeblichen Veränderung beitragen. Doch genau wie damals, als Bertha Benz mit dem von ihrem Fahr erfundenen Dreirad über die Straßen von Mannheim nach Pforzheim holperte, fehlen noch einige Entwicklungsschritte und vor allem die notwendige Infrastruktur, um die Technologie massentauglich zu machen.
Verbrennungsmotorentechnik auf neuem Niveau
„Der Verbrennungsmotor kann mit den Brenneigenschaften von Wasserstoff auf ein neues Niveau gehoben werden“, schwärmt Thomas Korn. Mit Forschungsmotoren seien bereits effektive Wirkungsgrade von 50 Prozent an der Kurbelwelle erzielt worden. Der Ingenieur für technische Physik ist ein großer Verfechter dieser Technologie, mit der er sich bereits bei BMW beschäftigte. Der Münchner Autohersteller wagte in den 1990er einen Versuch mit einem Hydrogen 7 genannten H2-Verbrenner auf Basis der Siebener-Baureihe, gab das Antriebssystem aber 2009 nach einigen Prototypen wieder auf. „Die Zeit war damals noch nicht reif“, resümiert Korn. Die Finanzkrise belastete damals die Weltwirtschaft. Und mit dem Klimawandel beschäftigten sich seinerzeit nur Wissenschaftler, nicht aber Öffentlichkeit und Industrie.
Korn ließ diese Antriebsform aber nicht mehr los. Er verließ BMW, arbeitete bei einigen anderen Unternehmen, die sich mit der Technologie beschäftigten und gründete schließlich 2015 gemeinsam mit seinen Ex-BMW-Kollegen Alvaro Sousa sowie dem portugiesischen Energieexperten Ivo Pimentel das Start-up Keyou, das gerade eine Förderung durch den European Innovation Council (EIC) in Höhe von 7,3 Millionen Euro erhielt. Für Martin Bruncko, Mitglied des EIC Fund Investment Committee, ist der Wasserstoff-Verbrennungsmotor eine „Schlüsseltechnologie, um einen massenhaften Übergang von schweren Lkw und dem Güterfernverkehr auf der Straße in eine saubere und nachhaltige Zukunft zu ermöglichen“.
Größtes Marktpotenzial aus Kostengründen bei Nutzfahrzeugen
Anstatt wie BMW im Autosektor anzusetzen, liegt der Fokus des Münchner Start-ups auf dem Nutzfahrzeugbereich, in dem der Antrieb das größte Marktpotenzial verspricht. Das hat verschiedene Gründe. Dazu gehören vor allem im Vergleich zur Brennstoffzelle die Robustheit und lange Haltbarkeit des Motors, was in der Branche zwingend erforderlich ist. Da keine seltenen und damit teuren Rohstoffe benötigt werden, ist die Herstellung günstiger. Und der Kostenfaktor ist der entscheidende Punkt. Die Margen in der Transportbranche sind gering. Soll ein Umstieg von der Verbrennung von Kohlenstoff auf emissionsfreier Energie gelingen, muss der Antrieb auch wirtschaftlich sein. „Das ist die große Kunst: Null-Emission-Fahrzeuge auf die Straße zu bringen, die sofort wettbewerbsfähig sind“, so Korn.
Ganz frei von Schadstoffen ist der H2-Verbrenner aber nicht, da bei der Verbrennung des Wasserstoffs ab einer Temperatur von 2000 Kelvin Stickoxide (NOx) entstehen. Um dieses Problem zu lösen, wurde bei Keyou ein spezielles Brennverfahren entwickelt, so dass die NOx-Emissionen bereits ohne Abgasnachbehandlung deutlich unterhalb der aktuellen Euro-6-Abgasnorm liegen. Zusätzlich wurde ein neuartiges Abgasrückführungssystem entwickelt, das für den Zero-Emissions-Antrieb sorgt. „Der Motor ist sauber und wirtschaftlich attraktiv – das macht diese Antriebstechnologie letztlich so interessant.“, erklärt der CEO von Keyou.
„Mobilitätswende braucht den Wasserstoffmotor“
Bei den Münchnern wird nicht der komplette Motor entwickelt, sondern die wesentlichen Komponenten wie Zündsysteme, Turbolader, Druckventile, Kühlsysteme und Injektoren. Herzstück ist die Software, die für die optimale Gas-Luft-Mischung und Einspritzung und damit für die Effizienz verantwortlich ist. Die sei zwar um etwa fünf bis zehn Prozent im Nutzfahrzeugbereich geringer als bei einer Brennstoffzelle. Doch dies, so Korn, würde die Vorteile nicht aufwiegen. Das Konzept kann an unterschiedlichste Motoren, Hersteller und Klassen angepasst werden und ist somit auch auf den Pkw-Sektor übertragbar.
„Soll die Mobilitätswende möglichst schnell umgesetzt werden, führt kein Weg an einem Wasserstoffmotor vorbei“, ist der ambitionierte Ingenieur überzeugt. „Der Verbrennungsmotor ist eine zuverlässige Technologie, für die es eine bestehende Zuliefererindustrie und Produktionsinfrastruktur gibt.“ Ein H2-Motor könne daher schnell und in großen Stückzahlen produziert und im Markt etabliert werden. Korn: „Eigene Fertigungsstrecke wie für den Batterieantrieb sind nicht notwendig.“
Dass Korn und seine Kollegen den richtigen Weg eingeschlagen haben, zeigte sich sehr deutlich bei dem virtuellen Wiener Motorensymposium im Mai, bei dem Experten eine Renaissance des Wasserstoffmotors im Schwerverkehr voraussagten. So testet der schwedische LKW- und Bushersteller Scania den H2-Motor in einem gemeinsamen Forschungsprojekt mit dem kanadische Spezialist für gasförmige Kraftstoffe, Westport Fuel Systems. MAN arbeitet ebenfalls daran und auch Autozulieferer Bosch hat diesen Antrieb in verschiedenen Projekten in der Entwicklungspipeline. Und die Toyota Motor Corporation, die als einer der ersten Hersteller weltweit ein Brennstoffzellen-Auto auf den Markt brachte, testet diesen Antrieb zurzeit im Motorsport.
Deutz testet Hybrid aus Batterie- und Wasserstoff-Antrieb
Auch Deutz ist daran interessiert. Der älteste Motorenhersteller der Welt kooperiert mit Keyou, um diese Technologie weiterzuentwickeln und zu testen. „Die Nutzung von alternativen Kraftstoffen wie Wasserstoff gewinnt zunehmend an Bedeutung. Wir sehen in dieser Antriebslösung eine wertvolle Ergänzung unserer Elektrifizierungsstrategie und eine wichtige Säule für die emissionsfreie Mobilität der Zukunft“, so Deutz-CEO Frank Hiller, der 2018 die E-Deutz-Strategie etablierte. Für den deutschen Motorenhersteller ist diese Technologie vor allem interessant, weil sie skalierbar und in der Kombination mit dem elektrischen Antrieb in unterschiedlichen Hybridkonfigurationen einsetzbar und unabhängig von Motorgröße und Fahrzeuge anwendbar ist.
Neben Deutz sind weitere Motorenhersteller in Europa und Asien hinzugekommen, für die Korn und sein Team auf Basis des jeweiligen Verbrennungsmotors den Wasserstoffmotor entwickeln. Und das kostet Zeit. Bis der neu entwickelte Motor auf den Markt kommt, können zwei bis drei Jahre vergehen.
Wasserstoff-Speicher bleiben ein Problem
„Seit geraumer Zeit steigt auch das Interesse von Endkunden aus dem Off -Road-Bereich und maritimer Seite, aber auch Unternehmen aus dem Schienenbereich melden sich immer häufiger bei uns.“ Noch nicht optimal ist aus Sicht des CEO die Speicherung. Der bisher gängige Hochdruckspeicher und auch die Tankinfrastruktur sind teuer und limitieren damit die Wettbewerbsfähigkeit des Antriebs.
Eine interessante Idee hatte der Schwede Lars Stenmark. Der ehemalige Professor für Mikro- und Nanotechnologie an der Universität Uppsala gründete mit Korn vor einigen Jahren „Water Stuff & Sun“, um die Speicherproblematik zu lösen und das Gesamtkonzept eines günstigen und effizienten Antriebs zu etablieren. Anstelle eines kostenintensiven Hochdrucktanks, soll ein Niederdrucktank im Fahrzeug verbaut und einfach ausgetauscht werden, wenn er leer ist.
Bei Nutzfahrzeugen sei ein Austausch unproblematisch, da der Bauraum identisch sei, erklärt Korn. Gefüllt ist der Niederdrucktank mit Tischtennisball großen Kugeln aus Kohlefaser, in denen der Wasserstoff mit 1000 bar gespeichert wird. Diese Sfeers genannten Kugeln geben das Gas mit geringem Druck an den Tank ab. In einer Art Schwarmintelligenz öffnen und schließen sich die Kugeln simultan und ermöglichen so eine kontrollierte Freisetzung von Wasserstoff. Das Sicherheits-Level ist deutlich höher als das von Benzin und Diesel. Noch befindet sich diese Technologie in der Entwicklung. Erst 2024/25 soll sie als Prototyp in ein Fahrzeug eingebaut werden.
die Ineffizienz des Wasserstoffs mit der Ineffizienz des Ottomotors verbinden.
Wie kommt man nur auf solche Ideen?
Da hat sich wohl jemand von seiner Begeisterung mitreißen lassen.
Es mag ja durchaus sein, dass ein Wasserstoffmotor seine Berechtigung hat. Vielleicht sogar in mehr Anwendungen, als ich mir vorstellen kann.
Wenn man aber behauptet, dass nur damit die Mobilitätswende möglichst schnell umgesetzt werden kann, ist das schlicht falsch. Es stimmt schon, dass die Produktionskapazitäten für Verbrennungsmotoren schon im benötigten Umfang vorhanden sind. Man könnte somit die bestehende Flotte im Rahmen der üblichen Fahrzeuglebensdauer austauschen.
Das Problem dabei ist, dass das ganze Kartenhaus, das hier aufgebaut wird, auf einer im zweiten Absatz formulierten Annahme steht:
„Erst heute, da … der Wasserstoff mithilfe Erneuerbarer Energien klimaneutral gewonnen wird, könnte der H2-Motor eine Renaissance erfahren.“
Leider wird heute erst ein verschwindend geringer Anteil des Wasserstoffs mit Erneuerbaren Energien gewonnen. Und die Produktionskapazitäten für Wind- und Solarkraftwerke, Elektrolyseure und Wasserstoff-Infrastruktur stehen leider nicht direkt im nötigen Umfang zur Verfügung, sondern müssten erst aufgebaut werden.