Die Zukunft des Unimog zischt, nagelt und macht jede Menge Krach. Denn während Daimler Trucks bei seinen Lastwagen konsequent auf die Elektrifizierung setzt und Modelle wie den Actros erst mit Akkus auf die Kurz- und die Mittelstrecke schickt und dann mit der Brennstoffzelle kreuz und quer durch Europa und sogar über den Brennerpass fährt, führt beim „Universalmotorgerät“ offenbar auch in Zukunft kein Weg am Verbrenner vorbei.
„Wir können den Batterien oder der Brennstoffzelle hier keine Nutzlast opfern und keinen Bauraum, und wir brauchen für all die vielen Nebenaggregate ausreichend Kraft“, sagt Steffen Fertig und es klingt fast so, als müsse sich der Ingenieur aus der Vorentwicklung bei Daimler Truck dafür entschuldigen. Schließlich sind es Fahrzeuge wie dieser Alleskönner an der Nahtstelle zwischen Traktor, Lastwagen und Baumaschine, die das ehrgeizige CO2-Ziel des Marktführers gefährden. Mercedes will in seinen Kernmärkten, in Europa, den USA und Japan, bis 2039 nur noch im Fahrbetrieb klimaneutrale Lkw und Busse anbieten, und Fertig will nicht schuld daran sein, dass Daimler dieses Ziel womöglich reißt.
Deshalb ist er Teil des Forschungsprojekts „WaVe“, bei dem 18 Unternehmen und Universitäten aus dem Südwesten den Verbrennungsmotor im Nutzfahrzeug auf Wasserstoff umstellen und ihn so doch noch zum Saubermann machen wollen. „Damit nehmen wir die Zukunft fest im Blick und engagieren uns als Konsortialführer des Projekts auch für die Dekarbonisierung des Arbeitsmaschinensektors“, sagt Franziska Cusumano, die den Unimog als Leiterin Mercedes-Benz Special Trucks verantwortet.
Wasserstoff oder E-Fuels?
Während Daimler Trucks bei regelmäßigen Einsätzen auf planbaren Strecken mit geeigneten Entfernungen und Lademöglichkeiten etwa im Verteiler- und Fernverkehr batterieelektrischen Lastern den Vorzug gibt, sehen die Schwaben in wasserstoffbasierten Antrieben für sehr flexible und anspruchsvolle Anwendungen womöglich die bessere Lösung – insbesondere bei Fahrzeugen wie dem Unimog, die als Arbeitsgerät etwa im Winterdienst der Kommunen, in der Forst- und Landwirtschaft, beim Bau oder im Katastrophenschutz stundenlanger Dauerlast ausgesetzt sind. Neben E-Fuels übrigens, nach denen die Unimog-Truppe ebenfalls regelmäßig gefragt werde: „Auch das haben wir im Blick und könnten entsprechende Technologien anbieten“, gibt sich Günter Pitz, Motorenchef des Unimogs, optimistisch.
Neu ist die Idee vom Hubkolbenmotor mit Wasserstoff im Tank freilich nicht. Im Gegenteil: Schon zur Jahrtausendwende hat zum Beispiel BMW am Wasserstoffverbrenner gearbeitet und später eine ganze Flotte seines Flaggschiffs zum HydroGen7 umgerüstet. Toyota, eigentlich fest der Brennstoffzelle verschrieben, testet den Antrieb mit einem umgebauten Yaris GR und demnächst mit einem Buggy bei der Dakar zumindest im Rallyesport. Auch Renault-Ableger Alpine sieht darin den möglichen Antrieb für einen kommenden Supersportwagen und Bosch hat angekündigt, womöglich schon im nächsten Jahr einen Wasserstoffverbrenner in Serie zu bringen.
„Verbrennungstechnologie hat Zukunft“
Doch je stärker sich die PS-Welt aufs elektrische Fahren versteift, desto weiter rückt der Verbrenner in die Nische – selbst wenn er mit CO2-neutralen Kraftstoffen betrieben wird. Dort allerdings könnte er eine Zukunft haben, ist Martin Thul überzeugt: Er leitet das Commercial Vehicle Cluster, das hinter dem WaVe-Projekt und dem Unimog steht und bricht eine Lanze für den Hubkolbenmotor: „Die Notwendigkeit sich von fossilen Kraftstoffen abzukehren, bedeutet nicht zwangsläufig, sich von Verbrennungstechnologien abzuwenden. Die Überführung der bewährten Verbrennungsmotortechnologien in wasserstoffbetriebene Antriebskonzepte verspricht ein großes Marktpotenzial. Sie kombiniert für den Nutzfahrzeugbereich den Erhalt technologischer Kompetenzen mit den Zielen emissionsfreier Antriebe.“
Was bei Thul nach grauer Theorie klingt und nach den Elfenbeintürmen von Politik und Wissenschaft, wird beim Ortstermin in Wörth schon sehr viel greifbarer. Denn man muss den Unimog nur anschauen, um zu verstehen, dass in und an dem kleinen Kraftpaket weder Platz ist für Batterien noch für die Brennstoffzelle. „Alles, was größer ist als ein Dieselmotor und sein Tank, sprengt unseren Rahmen“, sagt Vorentwickler Fertig. Von der Nutzlast ganz zu schweigen und von den widrigen Bedingungen, unter denen der Unimog seinen Job bisweilen verrichtet.
Mähwerke kosten mehr Kraft als die Räder
Auf einen U430 mit mittleren Radstand haben sie deshalb – das war das einzige Zugeständnis – nur eine verkürzte Pritsche geschraubt und so hinter der Kabine etwa einen halben Meter Platz gewonnen, den jetzt eine Kiste mit den vier aufrecht stehenden Tanks füllt. Unter einem Druck von 700 bar lagern dort gut zwölf Kilogramm Wasserstoff, die in einem entsprechend umgerüsteten Erdgas-Motor aus dem Mercedes Econic verbrannt werden.
Einbußen bei der Leistung gibt es dabei fast keine, schwärmt Motorenentwickler Pitz über die rund 300 PS, die der Sechszylinder auf dem Prüfstand liefert. Und auch das Drehmoment sei mit 1000 Newtonmeter schon nah an dem des Serienmotors. Nicht, dass der Unimog so viel Power zum Fahren bräuchte. Aber schließlich gibt es an dem Universalmotorgerät ein halbes Dutzend Abtriebe und Wellen, die externe Arbeitsmaschinen versorgen. Und Mäh- oder Kehrwerke, Kräne & Co schlucken oft mehr Kraft als die Räder.
Der Wasserstoffverbrenner hat neben dem kompakten Bauraum, dem geringen Gewicht und den großen Kraftreserven noch einen weiteren Vorteil: Er braucht keine langen Stand- und Ladezeiten. „Ein Unimog ist ein Arbeitsgerät und macht sich nur bezahlt, wenn er im Einsatz ist“, erläutert Fertig. Und oft genug geht es dabei weniger um Wirtschaftlichkeit als um Sicherheit, sagt der Entwickler mit Blick zum Beispiel auf den Winterdienst: „Da sind die Fahrzeuge oft 24/7 unterwegs.“ Zeit zum Laden bleibt da nicht. Erst recht nicht, wenn man womöglich erst stundenlang bis zur nächsten Ladesäule fahren muss, weil es in der Pampa nicht weit her ist mit der Infrastruktur.
Härteeinsatz im Winterdienst
Zwar hat der Unimog mittlerweile seine ersten Arbeitseinsätze hinter sich und Fertig freut sich schon auf den Winterdienst, weil er dann beweisen will, dass der Wasserstoffverbrenner auch bei Kälte kann und nicht in die Knie geht wie der Batterieantrieb. Doch für den Serieneinsatz taugt die Technik noch nicht. Anders als bei Batterie und Brennstoffzelle sind zwar hier nicht die Kosten der Knackpunkt, denn bis auf die Tanks gibt es beim Wasserstoffverbrenner keinen nennenswerten Preistreiber, erläutern die Entwickler. Doch noch geht auch ihrem Antrieb zu schnell die Puste aus: Mit den zwölf Kilogramm Wasserstoff hinter der Kabine schaffen sie nur Arbeitseinsätze von ein bis zwei Stunden. Ziel aber sind Einsätze von mindestens acht Stunden Dauer. Und dazu müsste irgendwo ein 50-Kilo-Tank untergebracht werden.
Das wird noch ein steiniger Weg, räumt die Mercedes-Truppe ein und hegt ihre Zweifel, ob das noch bis zum Ende des Wave-Projekts im nächsten Sommer in Angriff genommen wird. „Aber zur Mitte der Dekade könnten wir so weit sein“, gibt sich das Team optimistisch. Und wenn es bei den Schwaben ein Fahrzeug gibt, das mit steinigen Wegen kein Problem hat, dann ist es schließlich der der Unimog.
„Keyou“ rüstet Laster um
Ein paar hundert Kilometer weiter im Südosten ist die Zukunft sogar schon ein wenig näher. Denn im Großraum München hat der einstige BMW-Entwickler Thomas Korn sein Knowhow aus dem Hydrogen7 in den Dienst des Güterverkehrs gestellt, die Firma Keyou geründet und ebenfalls eine Wasserstoffumrüstung entwickelt. „Spektakulär unspektakulär“, sagte er dem „Spiegel“ und rühmte das kostensparende Konzept, das nur neue Injektoren, Sensoren und Tanks braucht und sich dafür teure Extras wie Katalysatoren oder eine AdBlue-Einspritzung spart. Anders als der Unimog hat der – übrigens auch auf einem Daimler-Truck aufgebaute – Prototyp seine erste Testphase bereits hinter sich und die zweite steht kurz bevor. Anfang 2024 sollen die ersten acht Wasserstofflaster an Speditionen übergeben werden.