„Der ist mir sympathisch“. Frauen haben ihr Urteil manchmal ganz schnell gefasst. Der Testwagen in der Ausführung Pro S und der neuen Lackierung „Dark Olivine Green Metallic“ ist er seit zwei Tagen in der Redaktion, wir haben gerade erst einige wenige Kilometer durch die Stadt und zum Einkaufszentrum zurückgelegt – und schon werden die ersten Noten verteilt. Wobei es erst einmal Kopfnoten sind, die weniger die Leistung beurteilen, sondern den persönlichen Eindruck. Und da kommt der VW ID.3 bei meiner Frau sehr positiv weg. Warum? „Der ist sehr handlich und übersichtlich, leicht zu beladen – und schaut doch auch ganz flott aus.“

Designer haben einen guten Job gemacht

Na ja, ganz so einfach wollen wir es dem „neuen“ ID.3 Pro S nicht machen. Zugegeben: Das Facelift nur drei Jahre nach der Modelleinführung hat der Optik des ersten reinrassigen Elektroautos von Volkswagen gut getan. Der große „Tränensack“ unter der Windschutzscheibe ist verschwunden, die kindischen Bienenwaben in Frontschürze und an der C-Säule sind weggebügelt. Mit dem Ergebnis, dass der Stromer nun deutlich erwachsener wirkt. „Gezielte Neuerungen und die neu gestaltete Frontpartie bringen die Designsprache der ID.Familie noch markanter zum Ausdruck“, formuliert es in den Begleitpapieren zum Fahrzeug. Dem ist nichts hinzuzufügen.

ID.3 in seinem Revier
Der kompakte Stromer weiß auch im Stadtverkehr zu überzeugen. Der Hecktriebler punktet hier vor allem mit einem Wendekreis von etwas mehr als zehn Metern. 180 Grad-Wendungen auf der Straße sind damit in eimem Zug möglich.

Die Ästhetik eines Autos ist immer noch ein wichtiges Kaufargument. Und der erste Eindruck entscheidet oft, ob ein Produkt in die engere Wahl kommt oder nicht. Aber dass der ID.3 nicht sofort ein Verkaufsschlager wurde, lag weniger an der Optik als an anderen Schwachpunkten der ersten Generation: Einer dürftigen Qualität der im Innenraum eingesetzten Materialien sowie der unzuverlässigen, weil noch unreifen Betriebssoftware. „Knapp 49.000 Euro ruft VW für den Testwagen auf. Gemessen an den Qualitäts-Baustellen dürfte es bestenfalls die Hälfte sein“, lautet vor drei Jahren das gnadenlose Urteil eines großen Auto-Magazins nach einem Test des ID.3. In Wolfsburg dürfte es die Wände zum Wackeln gebracht haben.

Testwagen kostet fast 60.000 Euro

Immerhin scheint die Botschaft angekommen zu sein. Der ID.3 der „Phase 2“ ist seitdem zwar noch einmal deutlich teurer geworden (unser vollausgestatteter Testwagen kam auf einen Preis von 59.745 Euro vor Umweltbonus), aber auch spürbar reifer und hochwertiger. Zumindest in der ersten Sitzreihe. Die Armauflagen der Türkleidungen sind dort hinterpolstert, auch das Cockpit hat einen feinen Überzug bekommen – so wie man es von einem Volkswagen erwartet. Hinten hingegen – ja, auch da sitzen gelegentlich Menschen – regieren weiterhin Rotstift und Hartplastik, wie sich beim Fingernagel- und Klopftest zeigt.

Und auch vorne gibt es durchaus noch Optimierungsmöglichkeiten: Der fast schon berüchtigte Slider zur Regulierung von Raumtemperatur und Lautstärke ist weiterhin unbeleuchtet und auch träge in der Reaktion: Wer hier etwas verändern möchte, sollte vorsichtshalber den nächsten Ampelstopp abwarten. Und zusätzliche Taster für die Fensterheber hinten spart man sich wohl auch noch für die nächste Produktpflege auf.

Software-Version 3.5 arbeitet stabil

Vielleicht findet sich dann auch ein automatischer Schließmechanismus: Die Türen öffnen sich zwar bei der Annäherung an das Fahrzeug. Aber beim Verlassen ist ein Druck auf die entsprechende Taste der Fernbedienung oder des Türgriffs erforderlich, um alle Pforten zu verriegeln. Das lösen andere Hersteller wie Renault beim Megane E-Tech besser: Ab einigen Metern Entfernung des Schlüssels zum Auto werden Fahrgast- und Gepäckraum automatisch verschlossen.

Dafür arbeitet nun der Bordcomputer stabiler – Systemabstürze haben wir mit der ID.Software in der Version 3.5 während des 14-tägigen Tests keine erlebt. Und das System arbeitete auch durchaus zuverlässig. Nur dauerte es manchmal etwas länger, bis es nach dem Start hochgelaufen war – die Prozessoren haben offenbar immer noch Mühe, all die Daten zu verarbeiten. Aber das war es dann auch schon mit unseren Mäkeleien. Denn davon abgesehen erlebten wir den „neuen“ ID.3 als ein sehr angenehmes und hochgradig alltagstaugliches Elektroauto.

Adaptives Fahrwerk höchster Güte

Der kleine Wendekreis des Hecktrieblers von gerade einmal 10,3 Metern hatte uns schon in der ersten Generation begeisert. Aber inzwischen hat VW im Zuge des „Upgrade“ auch dem Fahrwerk etwas Feinarbeit gegönnt. Denn obwohl der Testwagen auf Leichtmetallrädern im 20-Zoll-Format stand, bügelte er Unebenheiten in der Fahrbahn dank der adaptiven Fahrwerksregelung wunderbar weg. Die 2.655 Euro für das sogenannte Exterieurpaket Plus (das unter anderem auch LED-Matrixscheinwerfer samt Fernlichtassistenz sowie eine Progressivlenkung beinhaltet) sind also bestens angelegtes Geld.

Kurze Ladepause
Eine halbe Stunde dauert im Schnitt der Einkauf im Supermarkt. Bei der Rückkehr ist der Akku des ID.3 auf jeden Fall wieder voll: Am Schnelllader nimmt er Gleichstrom mit bis zu 170 kW auf.

Und wer dann noch 2710 Euro übrig hat, sollte sich auch das Interieurpaket „Plus“ gönnen, das unter anderem exzellente „ergoActive“-Sportsitze mit integrierter Kopfstützen und das „Beats“-Soundsystem beinhaltet, vor allem aber das in der Fahrzeugklasse derzeit wohl beste Head-up-Display ins Cockpit pflanzt. Es sorgt für entspanntes Fahren auch auf unbekanntem Terrain und lässt jede Richtungsänderung zum Multimedia-Ereignis werden.

450 Kilometer Reichweite sind drin

Aber in allererster Linie ist der ID.3 ein Elektroauto. Und da zählen im Augenblick andere Fakten. Nämlich Stromverbrauch, Reichweite und Ladegeschwindigkeit. Beschleunigungswerte sind in der neuen Welt eher nebensächlich: Fast alle Stromer stellen die Verbrenner in den Schatten. Erst recht, wenn wie hier bis zu 150 kW oder 204 PS mit 310 Newtonmeter Drehmoment auf die Hinterachse wirken. In acht Sekunden beschleunigte einst die S-Ausführung des Urelfers von Porsche auf Tempo 100 – der VW ID.3 in Pro S-Ausführung schafft es noch eine Zehntelsekunde schneller. Dass ihm bereits bei Tempo 160 die Puste ausgeht – geschenkt. Die Richtgeschwindigkeit von 130 km/h auf der Autobahn passt ohnehin viel besser zur elektromobilen Form der Mobilität.

Ohne Netz, aber mit doppeltem Boden
Der große Kofferraum des VW ID.3 ist dank einer niedrigen Ladekante leicht zu befüllen. Das Ladekabel für den Hausgebrauch findet unter dem (aufpreispflichtigen) Gepäckraumboden Platz.

Das zeigt sich vor allem beim Verbrauch. Den WLTP-Normverbrauch von 16,5 kWh auf 100 Kilometern haben wir während unseres Tests zwar nicht ganz erreicht. Aber mit einem Schnitt von 17 kWh/100km – überweigend im Komfort-Modus – blieben wir nicht weit davon enternt. Reichweiten um die 450 Kilometer sind also mit dem netto 77 kWh fassenden Akku locker drin, wenn der Fahrer sich zu zügeln weiß.

Ladeleistung von bis zu 175 kW

Und auch am Schnelllader macht der ID.3 Pro S inzwischen eine gute Figur – wenn es die Ladestation und deren Verfassung es zulassen. Ladeleistungen von bis zu 175 kW sind eine feine Sache – auch wenn es bei einem Füllstand von 30 Prozent meist schon stark nach unten ging und bei einem SoC (state of charge) in der Regel nur noch 100 kW anlagen.

Unterm Strich war der Akku fast immer nach 30 Minuten wieder zu 80 Prozent gefüllt – und konnte die Fahrt entspannt weitergehen. Auch weil das Navigationssystem inzwischen deutlich besser und detaillierter als früher mit Informationen über die Ladeinfrastruktur entlang der Strecke oder rund um den Zielort gefüttert ist. Reichweitenangst braucht in einem ID.3 Pro S jedenfalls niemand mehr zu fürchten.

Insofern war die Schnellbewertung der lieben Ehefrau doch nicht so schlecht: Der ID.3 in der aktuellen Verfassung ist ein sympathischer Zeitgenosse. Darauf deuten auch die aktuellen Zulassungszahlen: Seit dem Jahresbeginn haben sich trotz der jüngsten Preiserhöhungen die Neuzulassungen der Baureihe in Deutschland fast verdoppelt. Das Update hat sich schon jetzt bezahlt gemacht.

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2 Kommentare

  1. Bernhard

    Traurig bleibt, dass es nur ein 4-sitzer ist und kein Fahrradtransport mgl. ist. Wenn sich das nicht ändert, muß ich leider doch zum Mercedes eqa greifen!

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    • Franz W. Rother

      Wir haben gute Nachrichten für Sie: Die fünfsitzige Ausführung ist lt. Auskunft von VW in Arbeit und kann bald bestellt werden.

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