Auf dem so genannten „eHighway“ von Siemens – einer mittlerweile fünf Kilometer langen Teststrecke mit Oberleitung in Templin-Groß Dölln nördlich von Berlin – hat der Prototyp einer batteriebetriebenen Sattelzugmaschine mit Stromabnehmer kürzlich den Praxistest bestanden. Das Fahrzeug entstand in einer Kooperation des japanischen Nutzfahrzeug-Herstellers Isuzu mit dem Werkzeugmaschinenlabor der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen sowie dem dortigen Lehrstuhl „Production Engineering of E-Mobility Components (PEM) von Professor Achim Kampker.
Kampker ist Gründer des Vereins „Ingenieure retten die Erde“ und hob 2010 zusammen mit seinem Kollegen Günther Schuh das Unternehmen Streetscooter aus der Taufe, das 2014 an die Deutsche Post verkauft wurde und sich inzwischen in den Händen einer US-amerikanischen Investorengruppe unter Leitung des früheren BMW-Vorstands Stefan Krause befindet. Kampker, der 2019 bei der DHL als Geschäftsführer der Streetscooter GmbH ausgeschieden war, beschäftigt sich weiter intensiv mit der Elektromobilität, im Rahmen des Forschungsvorhabens LiVE („Lebenszykluskostenreduktion im elektrischen Verteilerverkehr“) insbesondere mit der Dekarbonisierung des Straßengüterverkehrs. Wir sprachen in einem Videocall mit ihm über die Versuche mit dem Oberleitungs-Lkw und anderen Antriebskonzepten.
Professor Kampker, Sie haben kürzlich nahe Berlin den europaweit ersten Prototypen eines vollelektrischen Lkw mit Stromabnehmer eingesetzt. Ist das wirklich die Zukunft im Straßengüterverkehr? Dazu müsste man ja ganz Deutschland , ach was, ganz Europa mit Oberleitungen versehen.
Sonst würden wir uns nicht damit beschäftigen. Eine solche Lösung kombiniert die Flexibilität eines Lastwagens mit in Summe geringen Infrastrukturmaßnahmen.
Gering? Der Aufbau eines Oberleitungsnetzes entlang der Autobahnen wäre schon eine gewaltige Maßnahme.
Darauf zielt unser Konzept ja nicht ab. Der Elektro-Lkw soll ja nicht wie auf eine E-Lok durch Europa fahren. Das halte ich nicht für realistisch. Nach meinen Vorstellungen gäbe es die Hochspannungsleitungen nur abschnittsweise über einige Kilometer hinweg. Die holt mehr Strom in den Lkw rein als dieser auf der Strecke verbraucht. Das erspart dem Fahrzeug unnütze Halts und dem Fahrer lange Ladepausen. Der Aufbau dieser Oberleitungs-Inseln kostet natürlich auch Geld, aber die Summe ist überschaubar. Ich halte das für eine interessante Lösung – als Alternative zur Brennstoffzelle im Lkw.
Damit beschäftigen Sie sich ja auch in Ihrem Institut.
Richtig. Denn wenn ich in höhere Tonnagen reinkomme, ist ein rein batterielektrischer Antrieb schwierig. Ob die Grenze bei 18 oder 25 Tonnen Nutzlast liegt, weiß derzeit keiner. Aber irgendwo in dem Bereich gibt es eine Grenze, wo die Batterie heutiger Bauart keinen Sinn mehr macht. Deshalb muss man abwägen, was je nach Einsatzzweck wirtschaftlich mehr Sinn macht – und was am schnellsten realisierbar ist: Der O-Laster oder der Brennstoffzellenlaster.
Bei Traton und einigen anderen Lkw-Herstellern würde man wahrscheinlich sagen: Der Batterie-Lkw mit Megacharger-System, also der Möglichkeit, mit einer Ladeleistung von bis zu einem Megawatt Strom zu laden.
Für einen einzelnen Truck mag das interessant sein, für Zigtausende Lkw nicht. Jedenfalls nicht in den nächsten fünf bis zehn Jahren. Das scheitert schon am Platzbedarf. Deshalb muss man auf der Straße verschiedene Technologien kombinieren, um die CO2-Ziele fristgerecht zu erreichen. Die Zeit rennt.
Mehrere Pfade führen zum Ziel?
Richtig. Mit einer Technologie allein schaffen wir es nicht bis 2050, den Straßengüterverkehr klimaneutral zu machen. Deshalb treiben wir hier verschiedene Technologien und nicht nur eine. Batterieleute halten den Brennstoffzellenantrieb für Teufelszeug. Wer schon nur darüber nachdenkt, gilt vielen in dem Kreis als böse. Trotzdem arbeiten wir hier im Haus an Oberleitungen, Brennstoffzellen, aber auch an Batterietechnik. Was wir nicht haben, sind E-Fuels – davon haben wir keine Ahnung.
Die lehnen Sie ab?
Keineswegs, ich halte die nicht für „böse“ und ganz schlecht. Für den Betrieb von Flugzeugen und von Schiffen auf hoher See werden wir die brauchen. Auch im Lkw-Verkehr können die eine gute Ergänzung sein. Aber damit soll sich mein Kollege Pischinger beschäftigen. Wir bleiben bei unserem Set.
Mit Batterieantrieben beschäftigen Sie sich ja schon eine ganze Weile.
Seit 2010 schon. Und damals hielten mich viele Kollegen für bekloppt. Heute rennen alle der Batterie hinterher und die Brennstoffzelle ist doof. Warum gehen wir die Dinge nicht parallel an? Hier liegt die Chance für Deutschland. Stattdessen verzetteln wir uns in Glaubenskriegen und versuchen das jeweils andere kaputt zu argumentieren. Nichts gegen kritische Auseinandersetzungen. Aber bitte ohne Plattitüden und ohne den Versuch, den anderen herunterzuziehen. Wir brauchen jetzt eine Aufbruchstimmung. Die sehe ich leider nicht. Statt dessen heulen wir herum und zittern, dass uns der Himmel auf den Kopf fällt.
Wahrscheinlich stehen Kostenüberlegungen hinter der Fokussierung mancher Unternehmen auf einen Technologiestrang.
Für Einzelunternehmen wie VW macht das auch Sinn. Die setzen erst mal alles auf die Batterie statt ihre Ressourcen auf drei oder vier Technologien zu verteilen. Das ist richtig – wenn man es richtig macht. Aus Hochschulsicht ist es besser, die Technologien nebeneinander zu betrachten und nichts auszuschließen. Auch um aus Produktionssicht das Zusammenspiel zu erforschen. Ich bin kein Freund einer Schwarz-Weiß-Malerei. Wir werden alles brauchen, um unsere Klimaziele zu erreichen. Ob wir es packen, weiß keiner. Aber versuchen sollten wir es.
Dann versuchen wir es mal im Detail – mit dem Oberleitungs-Lkw. Sie setzen also auf die Technik?
Ja. Ich sehe da zwei Anwendungsfälle. Den Langstreckenverkehr und den kombinierten Verkehr, etwa in der Anbindung von Häfen ans Hinterland. Zum Beispiel im Ringverkehr zwischen Rotterdam, Amsterdam und Aachen. Da macht ein Zug keinen Sinn, weil unterwegs schon Güter verteilt werden. Eine mit Oberleitungen elektrifizierte Autobahn mit daran angepassten Fahrzeugen würde sich da schnell rentieren. Der andere Anwendungsfall ist die Langstrecke. An neuralgischen Punkten in Europa mache ich ein paar Kilometer Oberleitung. Technisch würde das sicher gut funktionieren.
Technisch – und was nicht?
Die Herausforderung ist natürlich, sich europaweit über das System abzustimmen, Genehmigungen einzuholen. Dafür bin ich Gott sei Dank nicht zuständig.
Die technischen Herausforderungen schätzen Sie eher gering ein?
Gering sind sie keineswegs, sonst würden wir da nicht mehr forschen. Aber es ist machbar und schnell stabil hinzubekommen.
Was genau?
Das Gesamtsystem sauber aufeinander abzustimmen. Und es gibt viele Dauerhaltbarkeits-Themen.
E-Loks fahren doch schon seit Jahrzehnten auf Gleisen.
Sie sagen es: Auf Gleisen. Straßen haben schon mal Schlaglöcher. Und wir sind im Bahnverkehr in anderen Spannungsbereichen. Aber es gibt ja auch schon länger Oberleitungsbusse. Es ist also keine ganz neue Technologie. Aber wir müssen das nun in einen wirtschaftlichen Kontext setzen: Wie muss das System ausgelegt werden, damit es perspektivisch wirtschaftlich ist.
Haben Sie schon eine Idee, wie teuer der Baukasten für einen Lkw würde? Zum Batterieantrieb kommt noch der Pantograph hinzu und sicher das eine oder andere Bauteil mehr.
Wir rechnen anders.
Nämlich?
Dass das System über den TCO – also die Betriebskosten – auskömmlich ist. Mit Förderung, aber perspektivisch ohne. Und da sehen die Rechnungen schon ganz gut aus.
Und wie sieht die Rechnung bei der Brennstoffzelle aus?
Das System hat die technische höchste Komplexität. Auch wenn man den Aufbau der Wasserstoff-Infrastruktur einbezieht. Ein Staat oder ein Bundesland müsste da in Vorleistung gehen. Deshalb wird es wohl zunächst nur Insellösungen geben.
Zum Schluss müssen wir natürlich noch ein Thema ansprechen. Stichwort Streetscooter.
Das Unternehmen hat ja jetzt seinen Namen geändert. Es heißt inzwischen B-On.
Stimmt. Sie verfolgen also die Entwicklung immer noch?
Klar verfolge ich das mit hohem Interesse. Auch um zu schauen, welche Annahmen von mir stimmten oder welche nicht. In Summe glaube ich weiterhin, dass es ein Top-Projekt war und ist. Wir waren Vorreiter. Und es ist schade, dass wir das in Europa nicht zum Erfolg führen konnten: Heute fließen Milliardensummen in elektrische Transporter für die letzte Meile. Und die Unternehmen in den USA sind heute nicht viel weiter als wir damals. Die letzte Fahrzeuggeneration in meiner Verantwortung hatte schon Sitzheizung und Klimaanlage, auch Rundumsicht-Technik. Wir waren sogar kurz davor, die Fahrzeuge zu automatisieren, es in IT-Systeme zu integrieren. Heute tun manche so, als wären das Fahrzeuge mit einfachster Technik gewesen. Das sieht man den Autos von außen nicht an – vielleicht war das auch unser Fehler.
Eine neue Fahrzeugproduktion unter Ihrer Regie würde Sie nicht reizen?
Der Zeitpunkt ist vorbei. Noch einmal von vorne anzufangen, halte ich nicht für zielführend. Aber ich bin ja weiterhin in Teilbereichen unternehmerisch tätig, als Engineering-Dienstleister, in der Brennstoffzellen-Entwicklung und beim Batterie-Testing, bei VeloCity oder beim Carsharing mit UZE.