Neue Automarken aus China strömen derzeit in einer Geschwindigkeit nach Europa, die wir bisher nur von Modelabeln kennen. Doch anders als diese folgen sie nicht einem kurzlebigen Kalkül. Vielmehr der chinesischen Politik, die hauseigene Automobilindustrie im Zuge der Antriebswende in die Führungsrolle des internationalen Wettbewerbs zu heben. Und um in China zwar etablierte, jedoch auf internationalem Parkett durch frühe Qualitätsprobleme belastete Marken reinzuwaschen, werden kurzerhand neue Labels ins Leben gerufen. Von Startups und Grosskonzernen gleichermassen. Beispielsweise hat BYD nach dem Denza-Kooperationsprojekt mit Mercedes Yangwang aus der Taufe gehoben, Changan die Marke Avatr, Geely bereits erfolgreich Zeekr. Und nun folgt Chery mit – vorläufig – gleich drei neuen Labeln: Omoda, Jaecco und Exlantix. Was steckt dahinter?

SUV im Format des VW Tiguan
Den zweiten Schritt nach Mitteleuropa macht Chery in 2024 mit dem Jaecco 7. Ein batterie-elektrischer Antrieb ist für den SUV bisher nicht vorgesehen.
SUV im Format des VW Tiguan
Den zweiten Schritt nach Mitteleuropa macht Chery in 2024 mit dem Jaecco 7. Ein batterie-elektrischer Antrieb ist für den SUV bisher nicht vorgesehen.

Niemand in Europa kauft Autos wie Elektronik-, Sportartikel oder gar T-Shirts. Die Wahl eines neuen Fahrzeugs folgt anspruchsvollen Kriterien, die nicht auf die technische Qualität, die Ausstattungsumfänge und das Produktdesign beschränkt bleiben. Auch Markenimage und das Vertrauen in ihre Beständigkeit spielen eine bedeutende Rolle.

Junge Autokäufer sind hungrig auf neue Marken

Das sei Schnee von gestern, behauptet Charlie Zhang mit abweisender Geste, bei Chery als Executive Vice President fürs internationale Geschäft verantwortlich. Er glaubt zu wissen, dass junge Kunden den prestigeträchtigen Marken zunehmend die kalte Schulter zeigen und hungrig sind auf frische Produkte junger Marken. Ein Trend, der sich in China tatsächlich abzeichnet, wo jahrzehntelang gewachsene Werte ausländischer Traditionsmarken weniger tief im Kundenbewusstsein verankert sind. Gestützt durch wachsenden Nationalstolz auf chinesische Produkte und das sich rasch verändernde Nutzungsverhalten kaufen zunehmend mehr Chinesen heimische Autos. Deren Fahreigenschaften sind nicht Entscheidungskriterium. Vielmehr steht deren Qualität als mobiler und interaktiver Lebensraum im Vordergrund: Autos werden als Parallelwelten zur häuslichen Wohnung geschätzt.

Kommunikative Produktqualitäten
Autos werden von Käufern in China als Parallelwelten zur häuslichen Wohnung geschätzt. Das Angebot an Infotainment-Systemen ist deshalb dort wichtiger als klassische Fahr- und Komfortfunktionen.
Kommunikative Produktqualitäten
Autos werden von Käufern in China als Parallelwelten zur häuslichen Wohnung geschätzt. Das Angebot an Infotainment-Systemen ist deshalb dort wichtiger als klassische Fahr- und Komfortfunktionen.

Chinesische Marken bedienen diesen Trend mit komplexer Elektronik für die allgegenwärtige Kommunikation mit der Aussenwelt über virtuelle Ansprechpartner gezielter und schneller als es ausländische Traditionsmarken vermögen. Auch Chery. So steuern Avatare längst nicht nur Fahrzeug- und Komfortfunktionen sowie Geräte in den häuslichen vier Wänden, sondern verbinden Autofahrer auch mit Freunden, Streaming- und Einkaufsplattformen, Dienstleistern und Geräten am Arbeitsplatz. Sie erleichtern zudem das Gemüt des Fahrers mit Ideen zur Freizeitgestaltung und erzählen Witze. Meistens als Tierfiguren im Zentralbildschirm abgebildet, werden diese von Künstlicher Intelligenz individuellen Vorlieben folgend gespeist.

„Werden mit offenen Armen empfangen“

Zhang glaubt an seine Vision, dass auch europäische Kunden sich mit Chery-Autos diesen kommunikativen Produktqualitäten öffnen werden. „Wir werden mit offenen Armen empfangen“, glaubt er und verweist exemplarisch auf Gespräche mit Politikern und Geschäftsleuten in Italien: „Fiat ist eine sterbende Marke. Das weiß man dort und drängt uns zu investieren.“ In die Erschliessung des Marktes und lokale Produktionsstätte. Bis es soweit ist, testet Chery mitteleuropäische Märkte mit Verbrennern, Plug-in Hybriden sowie batterie-elektrischen Kompaktfahrzeugen. Sie kommen ab Anfang 2024 sukzessive in den Handel.

Konkurrenz für Hyundai Kona und Cupra Born
Die technische Ausstattung fährt den kompakten Omeda 5 EV ins Mittelfeld des von Hyundai und Cupra erschlossenen Marktsegments. Der Wagen machte auf einer Probefahrt in China einen guten Eindruck auf den Autor. Fotos: Chery
Konkurrenz für Hyundai Kona und Cupra Born
Die technische Ausstattung fährt den kompakten Omoda 5 EV ins Mittelfeld des von Hyundai und Cupra erschlossenen Marktsegments. Der Wagen machte auf einer Probefahrt in China einen guten Eindruck auf den Autor. Fotos: Chery

Nahe der in Wuhu ansässigen Firmenzentrale des erst 1997 gegründeten Unternehmens Chery fahren wir einige davon und suchen nach Alleinstellungsmerkmalen, die sich bei Verbrenner-Fahrzeugen überwiegend auf monströse Kühlergrafiken beschränken. „Diamantgrill“, im Chery Sprachgebrauch. Mit dem kompakten, 440 cm langen SUV Omoda 5 beginnt die Reise, angetrieben von einem leise arbeitenden aufgeladenen 1,6-l-Vierzylindermotor, dessen 145 kW/197 PS vom Getrag 7-Gang-Doppelkuplungsgetriebe portioniert werden. Dem Fünfsitzer gelingt der Sprint auf 100 km/h in 7,8 Sekunden, Chery gibt einen Durchschnittsverbrauch von 7,5 l/100 km an.

Omoda 5 erstmal als Verbrenner

Seine zu 78 Prozent aus hochfesten Stählen bestehende Fahrzeugstruktur sorgt für ein vergleichbar leichtes, verwindungssteifes und mit 263 cm langem Radstand behändes SUV, dass nicht zuletzt dank 16 serienmässiger Fahrerassistenz-Systeme höchste Sicherheitsstandards erfüllt und im Euro-NCAP 5 Sterne errang. Es soll ab 30.000 Euro kosten. Die etwas leichtgängige Lenkung und deutlichen Lastwechselreaktionen unseres Vorserienfahrzeugs werden noch nachjustiert, verspricht der ehemalige Ford-Manager Jochen Tüting, der den europäischen Ableger des Chery-Entwicklungszentrums in Raunheim leitet.

Doch warum kommt der Omoda 5 zunächst als Verbrenner, gefolgt vom PHEV nach Europa – und nicht sofort als batterie-elektrisches EV, möchten wir wissen. „In Mexiko, Neuseeland, Australien, Kuweit, Israel, der Türkei und gerade erst in Spanien haben wir mit den benzinbetriebenen Omoda 5 einen hervorragenden Start hingelegt“, begründet Zhang seine Strategie, an deren problemlose Übertragbarkeit auf unsere Märkte er glaubt. Stolze 86.556 Einheiten des Omoda 5 habe Chery bis Mitte 2023 verkauft, bis Ende des Jahres seien 200.000 angepeilt. Zhang weiss: So lange EVs in Mitteleuropa vergleichsweise teuer sind, bestehe weiterhin ein erhebliches Interesse an Verbrennern. Chery werde es mit innovativen Alternativen  bedienen.

Verkaufsschlager schon in der Türkei 
Mit dem kompakten, 440 cm langen SUV Omoda 5 beginnt die Reise, angetrieben von einem 1,6-l-Vierzylindermotor.
Verkaufsschlager schon in der Türkei
Mit dem kompakten, 440 cm langen SUV Omoda 5 beginnt die Reise, angetrieben von einem 1,6-l-Vierzylindermotor.

Ungeachtet seiner Einschätzung halten wir den Omoda 5 EV für das überzeugendere Angebot. Für rund 35.000 Euro bekommt man ihn mit elektrischem Antriebsstrang an der Vorderachse und 100 kW Leistung. Die von CATL gelieferten Batterien speichern 41 bzw. 62 kW/h für Reichweiten zwischen nominell 300 und 450 Kilometer. Nachladen kann man nicht nur mit Wechselstrom, sondern innerhalb von 35 Minuten auch an der 110 kW-Gleichstromsäule auf 85 Prozent.

62 kWh-Akku für 450 Kilometer Reichweite

Die Elektronikplattform von Huawei vernetzt 17 ADAS Systeme miteinander. Im aufgeräumten Cockpit gefällt das gebogenes 12,3 Zoll Zentraldisplay. Wenn unterwegs 340 Nm Drehmoment über die Vorderachse herfallen, wirkt die Traktionskontrolle leicht überfordert. Ansonsten gibt es keine Auffälligkeiten. Die technische Ausstattung fährt den Omeda 5 EV ins Mittelfeld des von Hyundai und Cupra erschlossenen Marktsegments. Seine 62 kW/h Batterie soll nach chinesischem Messverfahren bis zu 450 km Reichweite erlauben. Unter Berücksichtigung des mit 15 kW/h pro 100 km niedrigen Normverbrauchs könnten in der Praxis immerhin 350 km erreicht werden.

Den zweiten Schritt nach Mitteleuropa geht Chery in 2024 mit dem Jaecco 7, einem SUV im Format des VW Tiguan. Er nutzt die Verbrenner-Antriebseinheit des Omoda 5, wird etwas später auch als Plug-in Hybrid kommen. Ein batterie-elektrischer Antrieb ist bisher nicht vorgesehen. Für ihn und seinen folgenden grösseren Bruder Jaecco 8 haben Chery-Designer den Kollegen von Landrover über die Schultern geschaut.

Im Stil der Zeit 
Zwei Touchscreens liefern dem Fahrer und seinem Copiloten nicht nur jede Menge Informationen und Unterhaltung, sondern auch vielfältige Möghlichkeiten, die Farb- und Leuchtwelten im Interieur in der Nacht zu individualisieren.
Im Stil der Zeit
Zwei Touchscreens liefern dem Fahrer und seinem Copiloten nicht nur jede Menge Informationen und Unterhaltung, sondern auch vielfältige Möghlichkeiten, die Farb- und Leuchtwelten im Interieur in der Nacht zu individualisieren.

Anleihen beim Range Rover sind unverkennbar. Chery kooperiert seit 2012 mit den Briten, baut den Evoque in China für Käufer aus China. Europäischen Kunden dürfte die Hybrid-Version ins Auge fallen, die eine elektrische Reichweite von deutlich über 100 km verspricht. Nachladen funktioniert analog zum Omoda 5 EV auch an der DC-Säule mit gleicher Ladegeschwindigkeit. Das ausgelobte „anspruchsvolle und gehobene Fahrerlebnis“ (O-Ton Chery) des Jaecco 7 sollen sieben Fahrmodi sicherstellen, die von Eco über Comfort auch Offroad-Programme umfassen. Ob sie ihn oder den grösseren  Jaecco 8 zu einer kostengünstigeren Range Rover-Kopie aufwerten, darf allein schon wegen der schmalbrüstigen Motorisierung bezweifelt werden.

Vertrieb über Emil-Frey-Gruppe?

Beide Marken wird Chery etablierten Händlerorganisationen anvertrauen, die über breite Kundenstämme verfügen, wie es in Wuhu heisst. Man wisse, dass Europäer eine kundennahe Betreuung schätzen und führe intensive Gespräche wohl auch in Richtung Emil-Frey-Gruppe, die bereits den chinesischen Anbieter Ora unter ihre Fittiche genommen hat. Offiziell bestätigen macht den Kontakt aber niemand.

Strategisch plant Chery schon heute über die Warmlaufphase mit Verbrenner-Fahrzeugen hinaus. Nach Omoda und Jaecco soll es mit der EV-Marke Exlantix ab Ende 2024 abgehen. Deren Fahrzeuge überbauen die komplett neue, von Huawei maßgeblich entwickelte adaptive Kunlun-Plattform mit 800-V-Technik und Ladeleistungen von über 250 kW. Erwarten dürfen wir Limousinen, SUV und kernige Geländewagen mit Radständen zwischen 280 und 340 cm, Spurbreiten von 163 bis 173 cm, adaptiver Luftfederung, Differenzialsperren vorn und hinten, Allradlenkung und elektrische Einzelradantriebe, die auch „Tank-Turns“ auf der Stelle erlauben.

Exlantix E03 
Die Sportlimousine trägt zwar einen Namen wie aus einem Asterix-Comic, ist aber durchaus ernst zu nehmen - als Konkurrent für VW ID.7, BMW i5 und Mercedes EQE.
Exlantix E03
Die Sportlimousine trägt zwar einen Namen wie aus einem Asterix-Comic, ist aber durchaus ernst zu nehmen – als Konkurrent für VW ID.7, BMW i5 und Mercedes EQE.

Das in China als Chery E0Y geführte Oberklasse-SUV sowie die Sportlimousine Exlantix E03 weisen den Weg der neuen E-Marke nach Europa. Darüber hinaus stecken luxuriöse, an den neuen Defender erinnernde Kraxler mit hoher Geländetauglichkeit in der Pipeline, deren elektrische Reichweite von einem 2,0-l-Vierzylinder Range Extender mit 45,5 Prozent Wirkungsgrad gestreckt wird. Chinesen drängt es in der Freizeit zunehmend in ladestrukturell noch wenig erschlossene Weiten des Landes, wo über 1.400 Kilometer Reichweite als Beruhigungspflaster wirken, weiss Chery.

Chery will bald mit Hyundai/Kia gleichziehen

Dass Chery als chinesischer Exportmeister seit 2001 mittlerweile 1,4 Millionen in 80 Länder verkauft hat, doch erst jetzt nach Europa drängt, sieht Charlie Zhang nicht als Versäumnis, sondern als große Chance. Im Zuge der schwächelnden Transformation traditioneller Marken öffnen sich zunehmend mehr Kunden dem von chinesischen Unternehmen vorangetriebenen Wandel zu Autos, die mehr als Transportaufgaben erledigen, weiss er: „Wir kommen spät, aber gewaltig und mit den richtigen Produkten!“ Mit dem gleichen Argument demnächst auch in Nordamerika. In zehn Jahre werde Chery international mit Hyundai/KIA gleichgezogen haben, ist so seine Überzeugung.

Neben BYD gehört Chery zu den finanzstärksten Autoherstellern Chinas und sollte trotz möglicher anfänglicher Fehleinschätzung in der aktuellen Produktplanung gegenüber Kundenerwartungen mit entsprechend langem Atem bei uns Fuss fassen können. Wenn es gelingt, die neuen Marken positiv aufzuladen und die aktuell noch recht beliebigen Autos über niedrige Preise hinaus innovative Merkmale aufweisen, für die europäische Kunden nach chinesischem Vorbild tatsächlich empfänglich werden.

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