Es war ein ehrgeiziger Plan: Ab diesem Jahr sollte der elektrisch betriebene Frachter Yara Birkeland autonom zwischen der Fabrik des norwegischen Düngemittelherstellers Yara und den Häfen von Brevik und Larvik pendeln. Doch so weit ist es noch nicht – das Projekt hat sich als viel komplexer erwiesen als geplant. Die Coronapandemie sorgt ebenfalls für Verzögerung.

Ende vergangenen Jahres absolvierte das Schiff seine Jungfernfahrt. Seit April dieses Jahres ist sie im regulären Einsatz – allerdings mit einer Crew an Bord: „Sie fährt mit Fracht für Yara-Dünger in Containern von deren Produktionsstätte zum Hafen von Brevik, wo die Fracht weiter in die Lieferkette gelangt“, erzählt Pia Meling. Sie arbeitet bei Massterly, dem nach eigenen Angaben ersten Unternehmen, das autonome Frachtschiffe betreibt. Massterly baut die Leitzentrale auf, von der aus die Yara Birkeland und weitere autonome Schiffe überwacht und gesteuert werden sollen.

Ziel des Projekts ist, den Transport des Düngers von der Straße aufs Wasser zu verlegen. Derzeit werden diese Transporte mit Lastwagen abgewickelt – im Jahr sind es rund 40.000 Fahrten. Um Anwohner und Umwelt zu entlasten, soll der E-Frachter diese Aufgabe übernehmen.

Die Prozesskette wird automatisiert

Allerdings geht es bei diesem Projekt nicht nur um das Schiff, sondern um die komplette Prozesskette bei Yara. „Man versucht, alle Schritte zu automatisieren, vom Verlassen der Fabrikhalle bis zum Verladen auf das Schiff“, erzählt An-Magritt Tinlund Ryste von Kongsberg Maritime (KM). „Man strebt also eine integrierte Logistikkette an, von der Yara Birkeland ein Teil sein soll.“ Das norwegische Technologieunternehmen hat das Konzept für das autonome Schiff erstellt.

Einmal in der Woche fährt das Schiff derzeit mit Fracht von der Fabrik zum Verladehafen nach Brevik – der zweite Hafen Larvik ist nicht mehr Teil des Projekts. „Aber wir fahren im Moment mit einer fünfköpfigen Besatzung“, schränkt Meling ein. Sie besteht aus zwei Navigatoren, einem Technischen Offizier und zwei Deckhands. Für die Crew wurde eigens eine provisorische Brücke auf dem Schiff errichtet, die abmontiert werden soll, wenn niemand mehr an Bord ist und sie nicht mehr gebraucht wird.

Yara Birkeland soll energieeffizient sein

Die Strecke von der Produktions- und Verladungsstätte in Herøya zum Hafen in Brevik beträgt etwa sieben nautische Meilen, das sind knapp 13 Kilometer. Die Fahrzeit beträgt etwa eine Stunde. Das Schiff sei absichtlich langsam unterwegs, sagt Meling. „Es geht auch darum, energieeffizient zu sein.“ Geladen wird in Herøya, nur dort gibt es die nötige Infrastruktur. Da die Strecke hin und zurück nur noch 14 Seemeilen (knapp 26 Kilometer) und nicht mehr wie ursprünglich geplant 60 Seemeilen (etwa 111 Kilometer) beträgt, reicht die Kapazität des vom Schweizer Unternehmen Leclanché gelieferten Akkus aus.

Die Fahrtdauer ist im Moment nicht der limitierende Faktor: Derzeit dauert das Be- und Entladen des Frachters allein noch Stunden. Der Vorgang soll ebenfalls automatisiert werden und der Kran muss noch lernen. Für Yara geht es im Moment um das Sammeln von Daten.

Die Algorithmen werden getestet

„Es ist ein Lernprozess. Wir sammeln Daten aus dem Betrieb, während wir die Besatzung an Bord haben, um so viel wie möglich aus dem realen Betrieb zu lernen“, erzählt Ryste. „Man kann das im Labor und mit integrierten Systemen testen, aber es ist nie akkurat genug, um die reale Situation zu abzubilden. Daher ist es für uns ein großer Vorteil, das Schiff in Betrieb zu haben und Daten zu sammeln, während es fährt.“

Der Frachter navigiert mit dem Satellitennavigationssystem Global Positioning System (GPS). Zur Erkennung anderer Schiffe wird das Automatic Identification System (AIS) eingesetzt, über das Schiffe automatisiert Daten aussenden. Dazu gehören Rufzeichen und Angaben über die Maße des Schiffs, seine Ladung und den Zielhafen, vor allem aber Position, Kurs und Geschwindigkeit. AIS ist wie GPS in der bemannten Seefahrt obligatorisch.

Gesteuert per GPS
Für die Crew wurde für die Testphase eigens eine provisorische Brücke auf dem Schiff errichtet, die abmontiert werden soll, wenn niemand mehr an Bord ist und sie nicht mehr gebraucht wird. Foto: CFK
Gesteuert per GPS
Für die Crew wurde für die Testphase eigens eine provisorische Brücke auf dem Schiff errichtet, die abmontiert werden soll, wenn niemand mehr an Bord ist und sie nicht mehr gebraucht wird. Foto: CFK

Daneben verfügt der Frachter über Kameras, Radar und Lidar. Vieles von der Technik der Yara Birkeland ist nicht neu: KM baut bereits seit einiger Zeit Systeme für die automatisierte Navigation und Steuerung von Schiffen. Die Systeme wurden mit den Sensoren für das Schiff kombiniert. Neu sind die Software für die Steuerung sowie Systeme für die Erfassung von Gefahrensituationen und die Verhinderung von Kollisionen.

Einige Systeme sind schon erprobt

Das habe schon mehrere Jahre vor Yara Birkeland angefangen, sagt Ryste. So seien die optischen Sensoren, die die traditionellen Navigationssensoren ergänzten, schon eine ganze Zeit lang an der norwegischen Küste getestet worden. Sie seien verschiedenen Witterungsbedingungen ausgesetzt worden und hätten es mit unterschiedlichen Schiffen und Schiffstypen zu tun gehabt.

Die Navigationssysteme und -algorithmen werden bereits seit über zwei Jahren auf einer Straßenfähre eingesetzt. Jetzt geht es darum, Objekterkennungs-, Klassifizierungs- und Validierungssysteme zu kombinieren, um das automatische Andocken und die Überfahrt umzusetzen.

Klimaschutz auf dem Wasser: Frachter mit Elektroantrieb sollen Güter in die Städte bringen und damit Lkw-Fahrten auf der Straße ersetzen. Um wettbewerbsfähig zu sein, werden die Boote sogar ohne Kapitän an Bord auskommen und autonom fahren. Schiffe

„An den Algorithmen zur Erkennung von Objekten, deren Klassifizierung und zum Ausweichen wird natürlich noch gearbeitet“, ergänzt Meling. „Es gibt aber bereits eine Menge Daten, die genutzt werden können, um diese Algorithmen so weit wie möglich zu verbessern.“

Wenn an Bord alles funktioniert, verlässt die Crew das Schiff. Sie macht sich aber nicht überflüssig, sie wechselt lediglich den Arbeitsplatz: Statt an Bord arbeiten die Besatzungsmitglieder künftig in der Leitzentrale.

Die Crew war einfach zu finden

Ein Vorteil, sagt Meling: „Wir hatten keine Probleme, kompetente Leute zu finden, und es ist heutzutage schwer, eine Schiffscrew zu finden.“ Was die Arbeit für Massterly so attraktiv mache, sei zweierlei: Die Beschäftigen seien Teil eines Zukunftsprojekts, das zudem Abwechslung verspreche. Denn sie haben es nicht nur mit einem Schiff zu tun: Im August werden zwei weitere Schiffe für einen anderen Kunden hinzukommen und noch einmal zwei Schiffe für einen dritten Kunden im kommenden Jahr, die von dem Kontrollzentrum aus betreut werden.

Attraktiv ist die Arbeit im Kontrollzentrum aber auch, weil die Mitarbeiter nicht monatelang auf See sein müssen. „Sie haben einen vorhersehbaren Tag und können unabhängig vom Status des Schiffes ihre Schicht beenden. Denn dann kommt eine andere Person“, sagt Meling. Die Beschäftigten könnten nach Hause gehen und den Feierabend mit der Familie genießen.

Für die Besatzungen anderer Schiffe wird sich hingegen nichts ändern. „Sie sollen gar nicht merken, dass es sich um ein unbemanntes Schiff handelt“, sagt Meling. „Es wird sich wie ein bemanntes Schiff verhalten. Es wird die gleichen Regeln undKollisionsvorschriften befolgen. Man wird mit dem Kapitän sprechen können, weil ein Kapitän da ist – nur eben an Land.“

Und wie sieht die Zukunft aus?

Die Crew soll an Land arbeiten

Derzeit wird das automatische Festmachersystem getestet. Wenn es funktioniert und die Zulassung der Behörden erhält, wird die Crew schrittweise an Land verlegt. Die ersten beiden, die abmustern werden, sind die beiden Deckhands, die derzeit fürs Festmachen zuständig sind und dann nicht mehr gebraucht werden. Allerdings sind sie als ausgebildete Navigatoren ohnehin für den Job überqualifiziert.

Der nächste, der laut Plan das Schiff verlassen wird, wird der Technische Offizier sein. Die beiden Navigatoren werden am längsten an Bord bleiben. Sie werden am Ende der Testphase, die schätzungsweise noch zwei Jahre dauern wird, nacheinander ins Kontrollzentrum wechseln. Der gesetzte Zeitplan von zwei Jahren sei ehrgeizig, sagt Ryste, aber zu schaffen.

Bisher habe es noch keine bösen Überraschungen auf der technischen Seite gegeben, sagt Meling. Abgesehen davon, dass die Komplexität des gesamten Projekts unterschätzt worden sei. „Dass so viele verschiedene Unternehmen zusammenarbeiten müssen, macht das Projekt viel komplexer, als wenn man nur ein einziges Schiff zu berücksichtigen hat.“

Die Systeme müssen miteinander kommunizieren

Es gehe ja nicht nur um das Schiff, auch die Infrastruktur an Land müsse funktionieren. „Das kommt ja ziemlich häufig vor: Man konzentriert sich auf die Technik an Bord und vor allem auf die Navigation – das ist die interessante Sache, über die man nachdenkt, wenn es um autonome Operationen geht“, erzählt sie. „Aber ein großer Teil der Arbeit dreht sich um Logistik oder IT-Systeme, die miteinander reden.“

„Wenn alles funktioniert, sollte das Be- und Entladen schneller gehen als heute und die gesamte Logistik wird nahtlos ineinander integriert sein, so dass alles mit perfektem Timing erfolgt“, sagt Meling. „Das Schiff wird die Entscheidungen selbst treffen. Die Operatoren überwachen es und müssen nur eingreifen, wenn es nicht mehr weiter weiß.“

In einem solchen Fall soll das Schiff sich in einen sicheren Zustand versetzen, in dem es weder der Umgebung noch sich selbst Schaden zufügt. Das kann beispielsweise eine dynamische Positionierung sein; also dass es aktiv seine aktuelle Position mithilfe der Maschine und des Ruders beibehält, bis jemand eingreift.

Die Crew sitzt im Kontrollzentrum

Im Kontrollzentrum wird dann eine Crew sitzen, die fünf bis sieben Schiffe betreuen kann. Außerdem sollen von dort aus andere Funktionen überwacht oder gesteuert werden, wie etwa die automatisierten Kräne an der Laderampe. In einem Projekt soll eine autonome Zugmaschine Anhänger auf das Schiff und wieder herunterbringen. „Das Unternehmen, das die Software dafür entwickelt, wird auch in unserem Kontrollzentrum sitzen“, sagt Meling.“Es wird mehr das Logistikzentrum der Zukunft sein als nur der Schiffsmanager.“

Alle Funktionen werden schrittweise getestet und eingeführt. Das hat auch mit der rechtlichen Situation zu tun. Für die Systeme gibt es noch keine fertigen Vorschriften, es gibt aber auch keine Systeme, auf die diese sich beziehen könnten.

„Ich sehe das als einen Catch 22„, beschreibt Ryste die Problematik. „Die Behörden kommen nicht voran, solange es keine Testplattformen gibt. Auf der anderen Seite braucht man die Testplattformen und die Erlaubnis, damit zu arbeiten.“ Die Arbeit gehe deshalb in einem iterativen Prozess voran: Man bekommt die Erlaubnis, etwas zu testen, bringt dann dieses Wissen zurück in die Schleife und entwickelt es weiter. „Es entwickelt sich also nicht wirklich schnell.“

Allerdings seien die norwegischen Schifffahrtsbehörden derzeit anderen Flaggenstaaten voraus, sagen Melung und Ryste. Das liegt daran, dass es politisch gewollt ist, den Gütertransport von der Straße zu verlagern und zu dekarbonisieren. Da passt das Projekt gut hinein.

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