In der Formel E ist ein Rennen schon nach 45 Minuten und einer Runde zu Ende, ein Lauf der Jaguar iPace eTrophy dauert sogar nur 25 Minuten – dann fällt nach einer Auslaufrunde die Zielflagge, müssen die Autos an die Ladesäule. Ein 24 Stunden-Rennen mit Elektroautos erscheint da illusorisch, frühestens in zehn Jahren und nach einem großen Sprung in der Speichertechnologie denkbar. Und doch gibt es diesen Wettbewerb bereits – und das schon einer ganzen Weile. 2013 hob der gebürtige Spanier und langjährige Kölner Rafael de Mestre die internationale EcoGrandPrix aus der Taufe – einen Ausdauerwettbewerb für Elektroautos im Serientrimm. Mal über sechs, mal über zwölf oder mehr.
Im Unterschied zur Formel E oder zur Jaguar iPace eTrophy geht es dabei nie um Geschwindigkeit, sondern immer darum, während der Dauer des Rennens möglichst viele Kilometer und Runden zurückzulegen. „Es geht um die richtige Ladestopp- und Fahrstrategie, es geht um Teamgeist und vor allem um Spaß an der Elektromobilität“, umschreibt der Erfinder des Formats den Sinn und Zweck der Veranstaltung. Das muss man gesehen haben, ach was, einmal gefahren haben. Also nichts wie hin nach Oschersleben in Sachsen-Anhalt, wo zum Saisonfinale erstmals ein Rennen rund um die Uhr ausgetragen wird. Angeboten ist ein Platz hinter dem Lenkrad eines Kia e-Soul. Der sieht zwar nicht gerade wie ein Rennwagen aus, hat sich aber in den Rennen zuvor respektabel geschlagen. Kurzum: Es verspricht spannend zu werden.
Im „Turtle“-Modus zur Rennstrecke
Die Anfahrt zur Motorsport-Arena nahe Magdeburg in Sachsen-Anhalt gibt reichlich Gelegenheit, sich einzugrooven: Kia hat mir für die 455 Kilometer lange Strecke vom Rheinland nach Oschersleben freundlicherweise einen e-Niro zur Verfügung gestellt. Der Kompakt-SUV verfügt über die gleiche Motorleistung (150 Kilowatt/kW) und Batteriekapazität (64 Kilowattstunden/kWh), ist allerdings 55 Kilo schwerer als das Schwestermodell. Bei einem durchschnittlichen Energieverbrauch von 15,9 kWh soll man damit exakt bis zu 455 Kilometer weit rollen können – das passt. Zumindest in der Theorie und bei frühsommerlichen Idealtemperaturen. Jetzt aber steht der Winter vor der Tür, der Bordcomputer kündet von Außentemperaturen um die 8 Grad. Um es kurz zu machen: Trotz zahlreichen Staus auf der Strecke schaffe ich es nicht ohne Zwischenstopp ans Ziel. Am Autohof in Hamm-Uentrop muss ich für eine halbe Stunde an den Ionity-Lader, der an diesem Tag aus welchen Gründen auch immer maximal 54 kW pro Stunde spenden mag, obwohl der Wagen bis zu 70 kW aufnehmen kann). Und weil ich mich auf der Autobahn nicht mit einer Reisegeschwindigkeit von 100 km/h begnügen mag, rolle ich Stunden später trotzdem im „Turtle-Modus“ und mit einer Rest-Reichweite von 4 Kilometern ins Fahrerlager ein. Die Quittung für den „Bleifuß“ ist ein Durchschnittsverbrauch von 20,2 kWh pro 100 Kilometer. Damit würden wir im Rennen nicht allzu weit kommen.
Dirk Frischknecht lässt sich durch meinen von leichter Reichweitenangst beeinflussten Er-fahrungs-Bericht jedoch nicht aus der Ruhe bringen. Zum einen, belehrt mich der Teamchef, sei der e-Soul leichter und sparsamer. Und zum anderen sei die Rennstrecke keine Autobahn: „Wir fahren einen 60er Schnitt, mit maximal 82, 83 km/h auf der Zielgeraden.“ Der Kia-Manager kennt nicht nur sein Auto bestens, sondern auch die Rennserie: In der Deutschland-Wertung liegt er nach zwei von drei Läufen auf dem dritten Platz. Unseren schwarz-roten Kasten-, sorry, Rennwagen hat er mit allerlei Aufklebern versehen und den Luftdruck der rollwiderstandsarmen Sommerreifen (!) auf 3,7 bar erhöht. Ansonsten bleibt alles im Serienzustand. Tricksereien sind weder am Auto, noch an der Ladetechnik erlaubt: Damit alle Teams die gleichen Chancen haben, darf in der Boxenstraße der Strom nur mit einer maximalen Ladeleistung von 32 Ampere (22 kW) aus dem Netz gezogen werden. Ob Wechselstrom mit Hilfe eines mobilen Umrichters in Gleichstrom umgewandelt wird, bleibt den Teams überlassen.
Die richtige Ladestrategie ist somit mindestens genauso wichtig wie die Aufteilung der 24 Stunden auf die sechs Fahrer (aus Sicherheitsgründen ist die Lenkzeit auf vier Stunden begrenzt) und das Fahrverhalten auf der 2,4 Kilometer langen Piste. Zusätzlich kompliziert werden die Berechnungen durch die Tatsache, dass sich immer zwei Autos eine Box und damit eine Ladestelle teilen. Auch deshalb wollen die Einsatz- und Ladezeiten sorgsam eingeteilt sein.
Nach 32 Minuten zurück an die Ladestation
Dirk hat dankenswerterweise an alles gedacht und seine Strategie mit dem Team von e4-Testival abgesprochen, mit dem wir die Box teilen – der Trupp geht mit einem Jaguar i-Pace an den Start, der einen fast doppelt so großen Stromspeicher mit sich herumschleppt. Die erste Ladepause für den Kia mit der Startnummer 21 ist für 18:29 vorgesehen, nach dem ersten „Stint“ (Rennabschnitt) von Startfahrer Dirk Frischknecht. Für exakt 32 Minuten soll der Wagen ans Netz – danach ist mein Einsatz gefordert.
Natürlich kommt es anders als geplant. Nach dem Start pünktlich um 16 Uhr liefern sich die 40 teilnehmenden Elektroautos aus drei Nationen – darunter ein Werksteam von Opel mit zwei Exemplaren des nagelneuen Corsa-e – eine wilde Hatz auf der Piste. Einige der Tesla-Fahrer drücken aufs Gaspedal, als würde bei ihnen die Energie endlos fließen und treiben die anderen Teilnehmern dabei in manche gefährliche Situation. So gut es geht, hält sich der Kia raus aus den Positionskämpfen: Mögen die anderen schneller unterwegs sein und auch schneller Runden sammeln – abgerechnet wird zum Schluss.
„Blackout“ in der Boxengasse
Dirk biegt nach zweieinhalb Stunden in die Boxengasse ab, für die erste Ladepause und den Fahrerwechsel. Weil die Tesla-Fahrer inzwischen gemerkt haben, dass die Gesetze der Physik auch für ihre Fahrzeuge gelten, ist der Andrang auf die Ladestationen plötzlich größer als gedacht. Das Ergebnis ist ein veritabler Blackout eine Viertelstunde nach dem Eintreffen von Wagen 21.
Was tun? Warten, bis der Strom wieder fließt? Oder lieber weiterfahren und weiter fleißig Runden sammeln? Wir entscheiden uns für die zweite Variante: Im Akku, findet Dirk, ist inzwischen eigentlich ausreichend Strom für den zweiten Stint. Das könnte passen. Also Helm auf, rein in den Wagen – und raus in die Nacht, rauf auf die Piste.
Ganz schön kalt ist es inzwischen geworden. Nicht nur draußen: Bewegt wird der Kia im Fahrmodus Eco plus – mit ausgeschalteter Heizung und gedrosselter Leistung. Doch mir wird schnell warm im Verkehr, bei der Suche im Dunkeln nach der Ideallinie, dem Blick auf den Verkehr ringsherum – und auf die Rundenzeiten, die mir eine App auf dem ans Armaturenbrett gepappte Smartphone stetig auswirft. Es dauert ein paar Runden, dann habe ich mich und den e-Soul bei einer Rundenzeit von 2:12 Minuten eingependelt. Die Verbrauchsanzeige stabilisiert sich dank sensiblem Gasfuß und dem weitgehenden Verzicht aufs Bremspedal bei 15,0 kWh – geht doch! Noch schlauer machen es die drei Fahrer eines Renault Zoe 50: Sie hängen sich in meinen Windschatten und lassen sich von mir um den Kurs ziehen. 72 Runden lang geht das so, dann ertönt aus dem Smartphone der Ruf „Box, Box“: Zeit zum nächsten Ladestopp. Lohn der Mühe: Position zwei in der Gesamtwertung. Wow!
473 Runden oder 1100 Kilometer elektrisch
Um es kurz zu machen: Die Position halten wir bis zum Schluss. Nach 24 Stunden haben wir mit unserem Kia e-Niro insgesamt 473mal den Kurs umrundet – mit einem Durchschnittsverbrauch von letztlich 14,9 KWh. Die eco-Grandprix-erfahrenen Teamkollegen Annette und Dino, Emma und Alexander waren trotz Temperaturen um den Gefrierpunkt und einer in der Nacht zeitweise vereisten Fahrbahn nochmals sparsamer unterwegs. Besser war nur ein Team aus der Ukraine, das mit einem Tesla Model 3 in der gleichen Zeit 487 Runden schaffte. Auf Platz 3 landete ein Renault-Händler aus Schleswig-Holstein mit einem frisch zugelassenen Zoe 50. Zugute kam ihm der Übereifer eines Tesla-Piloten, der seinen Roadster eine Viertelstunde vor Schluss mit leerem Akku am Streckenrand abstellen musste. Dumm gelaufen.
Vorausschauend, mit möglichst konstanter Geschwindigkeit und nicht schneller als 100 km/h fahren, sanft beschleunigen, idealerweise nicht bremsen, sondern rekuperieren. Und auf keinen Fall heizen. So kommt man mit einem Stromer schnell in die Nähe der Normverbräuche – und in unsrem Fall aufs Siegertreppchen.
Auf der Rückfahrt von Oschersleben nutze ich die Erkenntnisse aus dem Rennen für meinen privaten EcoGrandprix. Und tatsächlich: Der Durchschnittsverbrauch des Kia e-Niro sinkt um 20 Prozent. Den kurzen Ladestopp bei Ionity – sicher ist sicher – kann ich so auf 20 Minuten verkürzen und erreiche den heimischen Ladeplatz trotzdem noch mit einer Rest-Reichweite von 40 Kilometern. Na also, geht doch, wenn man das Antriebskonzept erst einmal verstanden hat.