Polestar macht gerade schwere Zeiten durch. Die Aktie des Tesla-Konkurrenten an der US-Technologiebörse Nasdaq notierte zum Ende des Monats Mai nur noch bei 80 Cent – vor zwei Jahren betrug der Eröffnungskurs noch 12,98 Dollar. Und wurde der Wert des schwedisch-chinesischen Automobilbauers damals noch auf rund 21 Milliarden Dollar geschätzt, beträgt der Marktwert derzeit nur noch 1,66 Milliarden Dollar. Zum Vergleich: Konkurrent Tesla ist aktuell etwa 558 Milliarden Dollar wert, Rivian immerhin noch 10,9 Milliarden Dollar.

Schuld an der schlechten Performance der Polestar-Aktie sind schlechte Verkaufszahlen – im vergangenen Jahr konnte die Geely-Tochter weltweit nur rund 54.600 statt wie geplant 65.000 Elektroautos verkaufen. Und im ersten Quartal dieses Jahres sah es nicht besser aus: Mit einem Verkauf von 7200 Einheiten wurde das Vorjahresergebnis angeblich noch einmal um 40 Prozent unterschritten. Genaue Zahlen sollen Ende Juni bekanntgegeben werden, wenn Polestar mit mehrmonatiger Verzögerung seine Jahres- und Quartalsbilanz vorlegt.

Modellpflege
Die Polestar-Ingenieure haben kräftig gewerkelt, um den Mittelklasse-Stromer zum Modelljahr 2024 antriebstechnisch auf ein neues Niveau zu heben und mit mehr Antrittskraft und Ausdauer zu versehen. Es hat sich gelohnt. Fotos: Rother
Modellpflege
Die Polestar-Ingenieure haben kräftig gewerkelt, um den Mittelklasse-Stromer zum Modelljahr 2024 antriebstechnisch auf ein neues Niveau zu heben und mit mehr Antrittskraft und Ausdauer zu versehen. Es hat sich gelohnt. Fotos: Rother

Dabei hatte alles so verheißungsvoll angefangen – 2017, mit der Ausgliederung des Unternehmens aus der Volvo Car Corporation als eigenständige und auf Elektroautos fokussierte Marke. Die schwedische Mutter lieferte die technische Basis und mit dem 155.000 Euro teuren Luxus-Hybridmodell Polestar 1 auch gleich noch ein ikonisches Erstlingsfahrzeug als Brautgabe.

Mit dem Polestar 2 folgte 2020 auch schnell das erste vollelektrische Modell, das sich in Vergleichstests einschlägiger Autozeitschriften dem Model 3 von Tesla nicht nur ebenbürtig erwies, sondern hier und da daraus sogar als Sieger hervorging. Auch auf uns hatte der Mittelklasse-Stromer bei mehreren Ausfahrten einen positiven Eindruck hinterlassen. Und nicht nur bei uns: 2022 war der Polestar 2 nach Analysen von LeasePlan der beliebteste Elektro-Dienstwagen in Deutschland.

„Frontkratzer“ war einmal

Und im vergangenen Jahr ist der Stromer nochmals besser geworden. Zum Modelljahr 2024 verpasste Polestar seinem bislang einzigen Stromer nicht nur neue Felgen und eine neue, geschlossene Frontpartie, sondern auch gleich noch einen neuen Antriebsstrang samt optimierten Batteriezellen, um Reichweite, Effizienz und Leistung zu verbessern. Den größten Eingriff erfuhr dabei die Single-Motor-Variante: Das Fahrzeug wurde kurzerhand von Front- auf Heckantrieb umgestellt – um „Frontkratzer“ (durchdrehende Vorderräder beim Start auf nasser Fahrbahn) zu verhindern und insgesamt den Fahrspaß zu optimieren. Und die Operation ist durchaus gelungen, so unser Eindruck nach einem ausgiebigen Alltagstest mit dem neuen Fahrzeug.


Im Innenraum des Polestar hat sich durch die Modellpflege nichts geändert. Dabei wäre eine Verkleinerung der Mittelkonsole durchaus wünschenswert: Sie engt den Raum für Fahrer und Beifahrer stark ein.
Fahrerorientiert
Im Innenraum des Polestar hat sich durch die Modellpflege nichts geändert. Dabei wäre eine Verkleinerung der Mittelkonsole durchaus wünschenswert: Sie engt den Raum für Fahrer und Beifahrer stark ein.

Um es vorwegzunehmen: Die versprochene Reichweite von bis zu 655 Kilometern (ab Modelljahr 2025 sollen sogar 659 Kilometer möglich sein) erreichte unser 220 Kilowatt starker Testwagen in mit seinem (brutto) 82 kWh großen Akku zwar nicht. Auf einer Fahrt aus dem Rheinland bis nach Berlin (Entfernung 597 Kilometer) mussten wir tatsächlich zweimal eine Schnellladestation ansteuern.

Hohe Reisegeschwindigkeiten treiben den Verbrauch

Aber schuld hatte im Wesentlichen der Fahrer selbst: Der dynamische Antritt des Stromers und die hohe Laufruhe des Stromers verführten ihn zu sehr, die für Elektroautos ideale Reisegeschwindigkeit um die 120 km/h immer wieder einmal zu vergessen und mit Blick auf die Uhr und die freie Fahrbahn hier und da auch einmal die Höchstgeschwindigkeit von 205 km/h anzutesten. Mit der Konsequenz, dass sich der Stromverbrauch auf der Reise bei 24 kWh/100 km einpendelte. Im Regionalverkehr mit nur kurzen Autobahn-Abschnitten waren zuvor Durchschnittswerte um die 17 kWh/100 km erreicht worden. Damit wären locker Touren von über 450 Kilometer, bei zurückhaltender Fahrweise vermutlich sogar 500 Kilometer in einem Stück möglich gewesen.

Facelift 
Die neue Front sowie die neuen 20-Zoll-"Pro"Räder stehen dem Polestar 2 gut, die 1200 Euro teure Metallic-Lackerung im Farbton "Jupiter" ist eher Geschmackssache.  Ein echter Gewinn hingegen: Der neue Heckantrieb.
Facelift
Die neue Front sowie die neuen 20-Zoll-Räder stehen dem Polestar 2 gut, die 1200 Euro teure Metallic-Lackerung im Farbton „Jupiter“ ist eher Geschmackssache. Ein echter Gewinn hingegen: Der neue Heckantrieb, der den Antritt verbessert.

Aber an der Reichweite bemisst sich die Qualität eines Autos nicht allein, auch nicht die eines Elektroautos. Mindestens genauso wichtig sind andere Aspekte. Die Fahrwerksabstimmung, die Verarbeitungsqualität, bei einem Elektroauto natürlich auch Ladeplanung und Ladeleistung. Und gerade hier hat der in China produzierte Polestar 2 seit der Markteinführung wohl die größten Fortschritte gemacht. Betrug die Ladeleistung anfangs gerade einmal 150 kW, so kann der Strom an einer mit Gleichstrom betriebenen Schnellladesäule nunmehr mit (theoretisch) bis zu 205 kW fließen – im Testbetrieb betrug die Peakleistung meist kaum mehr als 150, maximal nur 170 kW. Allerdings herrschten da auch noch eher spätwinterliche Außentemperaturen.

Bis Ende Juni mit 4500 Euro Rabatt

Die Ladeplanung hingegen zeigte sich bei den Testfahrten deutlich verbessert gegenüber den Erfahrungen, die wir damit drei Jahre zuvor gemacht hatten: Der Navigationsrechner ermittelte nicht nur blitzschnell die Reiserouten, sondern auch die idealen Ladepunkte entlang der Strecke. Wünschen würde man sich noch Plug & Charge – die Möglichkeit, eine Bezahlmethode im Fahrzeug zu hinterlegen, um sich die Suche nach der Ladekarte zu ersparen. Im neuen Polestar 3 wird das, so hören wir, schon möglich sein. Ansonsten brachte die Modellpflege einige Erweiterungen der Serienausstattung mit sich, die vor allem die Assistenzsysteme betreffen. Ja, im Zeitalter der Elektromobilität kommt der Fortschritt mit schnellen Schritten.

Huckepack 
Die 1260 Euro teure teilelektrische Anhängerkupplung macht es möglich, drei E-Bikes mit einem Gesamtgewicht von 90 Kilogramm auf die Reise mitzunehmen. Zusammen mit der großen Heckklappe erhöht das den Nutzwert enorm.
Huckepack
Die 1260 Euro teure teilelektrische Anhängerkupplung macht es möglich, drei E-Bikes mit einem Gesamtgewicht von 90 Kilogramm auf die Reise mitzunehmen. Zusammen mit der großen Heckklappe erhöht das den Nutzwert enorm.

Was leider auch Auswirkungen auf die Verkaufspreise hat. Der Polestar 2 in der Ausführung Long Range Single Motor kostete vor drei Jahren noch 44.930 Euro – mittlerweile werden für das gleiche Modell in der Basisausführung 49.975 Euro aufgerufen. Unser Jupiter-goldene Testwagen mit Plus- und Pilot-Paket sowie Anhängerkupplung hätte uns sogar knapp 62.000 Euro gekostet. Aktuell wären es allerdings 4500 Euro weniger: Um den Verkauf anzukurbeln, gewährt Polestar bis Ende Juni noch – und „solange der Vorrat reicht“ – einen „Innovation Boost“ genannten Rabatt auf den Fahrzeugpreis.

Mit der Verkaufsförderung und den neuen Modellen 4 (ab sofort) und 3 (ab Herbst) sollte Polestar die aktuelle Krise schnell überwinden können.

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