Die Hitzesommer der vergangenen zwei Jahre haben Atom- und Kohlekraftwerke Probleme bereitet. Denn die hohen Temperaturen ließen zum einen die Wasserstände der Flüsse sinken. Dadurch konnten Binnenschiffe nicht mehr so viel Fracht laden, was den Nachschub etwa mit Brennstoff für die Kohlemeiler beeinträchtige. Zum anderen erwärmte sich das Flusswasser in Rhein und Neckar auf bis zu 28 Grad. In solchen Fällen dürfen die Kraftwerksbetreiber den Gewässern nicht mehr so viel Kühlwasser entnehmen. Sonst droht den Fischen und anderen Lebewesen der Sauerstoff auszugehen.

Zum Blackout kam es dennoch nicht. Die Netzbetreiber konnten sich auf die Schwankungen einstellen. Zudem lieferten Photovoltaikanlagen dank der erhöhten Sonnenstrahlung mehr Energie, was das System insgesamt stabilisierte.

Das Beispiel zeigt, wie extreme Wetterlagen die Sicherheit der Stromversorgung beeinträchtigen können. Und deren Wahrscheinlichkeit nimmt nach übereinstimmender Meinung der Klimaexperten zu. Ein Team von schwedischen, schweizerischen und amerikanischen Wissenschaftlern rund um Amarasinghage T.D. Perera von der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne haben nun versucht zu simulieren, wie sich unterschiedliche Wetterextreme auf die Stromversorgung in 30 schwedischen Städten auswirkt.

Ihr Ergebnis: Besonders die Erneuerbaren Energien sind vom Klimawandel betroffen. Die Verlässlichkeit der Stromversorgung nimmt insgesamt in den Städten um bis zu 16 Prozent ab und es können Versorgungslücken von bis zu 34 Prozent auftreten. Ihre Simulationen haben sie gerade in der Fachzeitschrift „Nature Energy“ veröffentlicht.

Passanten im Hochwasser
Durchwachsene Aussichten
Je nach Extremwetterlage liefern die Modelle der Klimaforscher für Europa unterschiedliche Ergebnisse: Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden Hitzewelle zunehmen. Bei Stürmen und Hochwasser ist die Prognose noch unsicher.
Foto: Unsplash | Jonathan Ford

Dabei gibt es zwei gegenläufige Trends. Durch den Treibhauseffekt sinkt den Simulationen zufolge der durchschnittliche Wärmebedarf in schwedischen Wohngebäuden langfristig (bis zum Jahr 2100) um 30 Prozent gegenüber heute. Gleichzeitig kann in extremen Wetterlagen der Wärme- beziehungsweise Kühlungsbedarf kurzfristig zwischen 50 und 400 Prozent zunehmen. Was die Versorgungsnetze stark belastet, insgesamt die geringere Nachfrage aber Investitionen ins Energiesystem weniger attraktiv macht.

Energiesysteme „nicht auf Kante nähen“

„Extreme Klimaereignisse sind grundsätzlich eine Herausforderung für jegliches Energiesystem, egal ob konventionell oder regenerativ,“ kommentiert Professorin Claudia Kemfert die Studie. Sie leitet die Abteilung „Energie, Verkehr und Umwelt“ des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. Sie warnt davor die Ergebnisse der Simulationen 1 zu 1 auf Deutschland zu übertragen. „Denn Aufgrund des hohen Anteils von Wasserkraft und Atomkraft sind die Herausforderungen in Schweden andere als in Deutschland – insbesondere, wenn Wasserknappheiten bei extremer Hitze auftreten.“

Entwurf für geplante Solaranlagen in den Niederlangen entlang der Autobahn A37 Die holländische Wasserwirtschaftsbehörde will entlang der A37 Solarzellen installieren lassen. Um so neue Flächen zur Grünstrom-Erzeugung zu gewinnen. Das Projekt ist längst nicht das einzige, das Straßen zu Kraftwerken machen will. Energiewende, Solarenergie

Für Professor Christian Rehtanz macht die Studie klar, dass „das Energiesystem bezüglich Leistungsreserven in der Erzeugung und Netzkapazitäten nicht zu stark ausgeknautscht oder auf Kante genäht werden darf.“ Er leitet an der Technischen Universität Dortmund das Institut für Energiesysteme, Energieeffizienz und Energiewirtschaft. Anderseits warnt Professor Bruno Burger vor Panikmache. Er ist Abteilungsleiter „Neue Bauelemente und Technologien für die Leistungselektronik“ am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme in Freiburg.

Es werde bei solchen Simulationen prinzipiell immer vergessen, dass sich die Energiesysteme auch weiterentwickelten. „In Deutschland hieß es früher, dass Erneuerbare Energien aus physikalischen Gründen nicht mehr als vier Prozent zur Stromerzeugung beitragen könnten“, erinnert er. Heute liegt der Anteil bei über 40 Prozent.

Das deutsche Netz hat bereits 75 Prozent Erneuerbare verkraftet

Auch seien, so Burger, beim Sturm „Sabine“ vor kurzem, nicht die Lichter ausgegangen, weil sich die Übertragungsnetzbetreiber rechtzeitig vorbereitet hätten. Sie könnten große Erneuerbare-Energien-Erzeuger fernsteuern und bei Netzüberlastung drosseln. Diese Anlagen seien zudem heute autark in der Lage, innerhalb von Sekundenbruchteilen zu reagieren, um das Netz zu stabilisieren.

„Am Sonntag den 9. Februar 2020 hatten wir fast 75 Prozent Erneuerbare Energien im Tagesdurchschnitt in der Stromerzeugung“, berichtet Burger. Um eine Überproduktion zu verhindern, hätten die Netzbetreiber insbesondere Offshore-Windparks morgens ab 9 Uhr schrittweise in ihrer Leistung von circa fünf auf ein Gigawatt gedrosselt. So sei Platz für den zunehmenden Solarstrom geschaffen worden. „Ich halte die Gefahr, dass Bäume auf Leitungen fallen und so lokale Stromausfälle entstehen für viel größer, als dass die Netzbetreiber das Verbundnetz bei Extremwetter nicht geregelt bekommen“, ist der Energieexperte zuversichtlich.

Solarpark Herzogenrath Schwimmende Solaranlagen, Windräder, Power-to-X: Tief im Westen, nördlich von Aachen ist die Stadt Herzogenrath bei der Stromerzeugung komplett unabhängig von externen Lieferanten. Und auch Wärme wollen die Projektpartner demnächst für Bürger und Betriebe bereitstellen. Energiewende

Es drohen „Herdenverhalten“ und „extreme Korrekturen“ an den Börsen

Neben der Studie zum schwedischen Energiesystem hat die Zeitschrift „Nature Energy“ auch eine Reihe von Kommentaren zu den Folgen von Wetterextremen auf die Energiesysteme und -branche veröffentlicht. Beispielsweise warnt Amy Myers Jaffe vom Council on Foreign Relations, einer US-Denkfabrik mit dem Schwerpunkt Außenpolitik, vor „Herdenverhalten“ in der Finanzbranche, wenn Wetterextreme Energiekonzerne in Bedrängnis bringen. Dann könnten Anleger, Banken und Versicherer die Preise für fossile Rohstoffe wie Öl und Gas genauso wie die Aktienkurse der betroffenen Unternehmen abstürzen lassen sowie Kredite verteuern.

Ähnlich argumentiert der renommierte Finanzexperte Paul A. Griffin, Professor an der Graduate School of Management der University of California. Er wirft den Finanzinvestoren vor, die „Folgen des Klimawandels nicht angemessen bei der Ermittlung der Aktienkurse zu berücksichtigen“, obwohl es mittlerweile Dienstleister gebe, die Risiken durch die Erderwärmung für einzelne Energiekonzerne ermittelten. Gebe es kein Umdenken, könnte es zu „extremen Korrekturen“ an den Börsen kommen – sprich zu einem Aktiencrash.

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