Die Unternehmensberatung Roland Berger warnte dieser Tage, dass wichtige Rohstoffe für die Batterieherstellung bald knapp werden könnten. Lieferengpässe wurden in der Studie vor allem für Nickel, Kobalt und vor allem für Lithium prognostiziert. Da traf es sich gut, dass wir auf einer Reise nach Chile Michael Schmidt trafen. Bei der Deutschen Rohstoffagentur (DERA) in der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) in Berlin beschäftigt sich der Diplom-Geologe seit Jahren mit Rohstoff-Risikobewertungen speziell zu Lithium. Derzeit bereitet er eine neue Fassung seiner zuletzt 2017 veröffentlichten Studie zu dem begehrten und bislang für die Kathodenherstellung von Lithium-Ionen-Batterien unverzichtbaren Leichtmetall mit der Ordnungszahl 3 vor – zu viel hat sich in den zurückliegenden fünf Jahren auf dem Weltmarkt getan. Vor allem durch die Antriebswende in der Automobilindustrie.

Michael Schmidt
Der Geologe der Deutschen Rohstoffagentur warnt die Autoindustrie schon seit Jahren vor sich abzeichnenden Versorgungsengpässen bei Lithium. Foto: DARA

Herr Schmidt, einer Studie von Roland Berger zufolge wächst der weltweite Markt für Lithium-Ionen-Batterien bis 2030 um 30 Prozent pro Jahr. Wachstumstreiber ist die schnell steigende Nachfrage nach Elektroautos. Der Nachfrageschub hier könnte zu Lieferengpässen unter anderem bei Lithium führen, warnen die Unternehmensberater. Sehen Sie das auch so?

In den zurückliegenden Monaten hat sich der Lithium-Markt extrem dynamisch entwickelt – was die Nachfrage anbetrifft, die Preise sowieso. Diese sind seit Dezember extrem gestiegen, was nicht nur die Fahrzeug-, sondern auch Batterie- und Kathodenhersteller massiv in Bedrängnis bringen dürfte. Und das wird sich so schnell nicht beruhigen, wenn man sich all die Ankündigungen der europäischen Autohersteller und Zellfertiger zu neuen Elektroautos anbetrifft. Wenn man diese alle zusammenzählt, sind wir bei rund 1000 Gigawattstunden an Batteriefertigungskapazitäten, die in den kommenden Jahren benötigt werden. Europa entwickelt sich also gerade zu einem Hotspot der Elektromobilität.

…ohne allerdings die dafür nötigen Rohstoffe zu besitzen.

Richtig. Wir können uns auch mit den für die Batterieherstellung erforderlichen Rohstoffen wie etwa Lithium nicht vollständig selbst versorgen. Weder primär, noch durch das an Bedeutung zunehmende Recycling.

Projekte in Europa existieren nur auf dem Papier

Noch nicht: Es gibt ja immerhin Projekte im Erzgebirge und im Oberrheingraben, dort Lithium zu gewinnen.

Ja, das stimmt. Wenn all diese Projekte – auch die in Spanien, Portugal, Österreich, Finnland und Serbien – zu 100 Prozent und zeitgleich umgesetzt werden, kommen wir vielleicht auf eine Abdeckung des Bedarfs von 15 bis 25 Prozent.

„Wir haben in Europa keinen real existierenden Lithiumabbau.“

Wenn alle Projekte tatsächlich wie geplant umgesetzt werden können. Noch sind das ja nur Hoffnungsträger – gefördert wird aktuell noch nichts.

Genau. Wir haben im Moment in Europa keinen real existierenden Lithiumabbau. Dass es beispielsweise Lithium im Tiefenwasser des Oberrheingrabens gibt, ist seit Jahrzehnten bekannt. Aber gerade da sind durchaus noch viele Fragen offen, die geklärt werden müssen, ehe diese Vorkommen angehängt an die tiefe Geothermie gewonnen werden können.

Sie rechnen also nicht damit, dass in Europa so schnell Lithium gewonnen werden kann?

Ich besitze natürlich keine Glaskugel. Zudem ist der Markt wie erwähnt extrem  dynamisch. Aber aufgrund von Genehmigungsverfahren und unterschiedlichen Projektstadien sind signifkante Mengen vermutlich nicht vor 2025 zu erwarten. Eher später.

Förderaktivitäten müssten massiv wachsen

Aber die Bundesregierung will schon in acht Jahren, 2030, bis zu 15 Millionen Elektroautos auf den deutschen Straßen sehen. Das bedeutet, das Lithium für die Batterien all dieser Autos werden wir uns außerhalb Europas beschaffen müssen.

Vollkommen richtig. Und das wird vermutlich schwer: Der Markt für Lithium hatte 2015 eine Größe von etwa 33.000 Tonnen weltweit. 2020/21 waren es schon 80 respektive etwa 85.000 Tonnen. 2030 erwarten wir einen weltweiten Bedarf von etwa 350 bis 400.000 Tonnen. Das heißt, der Markt muss in acht Jahren um den Faktor vier bis sechs wachsen – um sich dann bis 2040 vermutlich noch einmal auf eine Million Tonnen zu verdoppeln. Die Bergbauindustrie müsste also extrem wachsen und die Förderkapazitäten erweitern. Und das muss sie nachhaltig tun – darum geht es ja letztlich bei der Elektromobilität. Das stellt eine enorme Herausforderung dar.

Gelb ist die Hoffnung 
Unter der brennenden Sonne über der Atacama-Wüste wird Lithiumchlorid in großen Mengen aus der hochprozentigen Salzlake gewonnen - ganz klimafreundlich, nur durch Verdunstung der Sole. Und auch nur unter minimalem Einsatz von Wasser.
Gelb ist die Hoffnung
Unter der brennenden Sonne über der Atacama-Wüste wird Lithiumchlorid in großen Mengen aus der hochprozentigen Salzlake gewonnen – ganz klimafreundlich, nur durch Verdunstung der Sole. Und auch nur unter minimalem Einsatz von Wasser.

Im Klartext heißt das aber doch: Die Autoindustrie, speziell in Europa und noch spezieller in Deutschland, wird eventuell ein massives Versorgungsproblem bekommen.

Vermutlich ja. Angebot und Nachfrage werden global weiter auseinander driften. Wir rechnen mit einem sehr großen Defizit, das sich schon 2024 deutlich herauskristallisieren könnte.

Wie kann man darauf reagieren? Was müsste man tun?

Man müsste jetzt sehr viel Geld in die Hand nehmen – oder es schon getan haben. In Australien und Chile, den beiden wichtigsten Lieferländern, sind die Unternehmen  dabei, ihre Kapazitäten entsprechend zu erweitern. Aber, das geht eben aber nicht von einem Tag auf den anderen. Vor allem nicht in Chile, da die Lithiumindustrie hier durchaus sehr komplex ist.

„Der Markt muss in acht Jahren um den Faktor vier bis sechs wachsen.“

Wie die Frage der Wasserversorgung?

Ja, das ist beispielsweise eines der großen Themen, zu dem es leider viele Fehlinformationen gibt. Gerade in Europa.

Was bremst eine schnelle Erweiterung der Kapazitäten noch?

Nun ja: Die Vorkommen müssen erst einmal gefunden und erschlossen werden. Basis hierfür stellen gesetzliche Rahmenrichtlinien und eben Explorationstätigkeit vorraus. Das braucht Zeit. Auch kann man die Produktionskapazitäten eines Werks nicht einfach verdoppeln. Die Lithiumindustrie ist chemische Industrie und kein klassischer Bergbau. Und es ist  eine große Menge Risikokapital notwendig: Der Markt ist aktuell in einem hohen zweistelligen Milliarden US-Dollar-Bereich unterfinanziert.

Elon Musk könnte wieder einmal wegweisend sein

Trotz der hohen Preise und großen Margen, die in dem Geschäft erzielt werden?

Ja. Und kaum jemand – schon gar nicht in Europa – ist bereit, Risikokapital in diesen Höhen in die Hand zu nehmen, um in solche Projekte einzusteigen.

Elon Musk vielleicht. Er deutete so etwas kürzlich in einem Tweet an.

Ja, ich habe den Tweet gelesen. Ich traue ihm diesen Schritt drchaus zu. Er könnte, je nach Art und Weise des Engagements, wegweisend sein für die Automobilindustrie. Wieder einmal.

Lithium-Raffinerie von SQM im chilenischen Antovagasta 
Aus dem flüssigen Lithiumchlorid werden in der riesigen Fabrik nahe des Pazifik pro Jahr aktuell 120.000 Tonnen Lithiumcarbonat und gut 20.000 Lithiumhydroxid gewonnen. Erweiterungen der Anlage werden gerade vorbereitet.
Lithium-Raffinerie von SQM im chilenischen Antovagasta
Aus dem flüssigen Lithiumchlorid werden in der riesigen Fabrik nahe des Pazifik pro Jahr aktuell 120.000 Tonnen Lithiumcarbonat und gut 20.000 Lithiumhydroxid gewonnen. Erweiterungen der Anlage werden gerade vorbereitet.

Sieht die deutsche Autoindustrie die Problematik und die Lieferengpässe, die daraus entstehen?

Mittlerweile durchaus . Das zeigen ja diverse  Ankündigungen von Kooperationen und Joint Ventures – wie etwa von Volkswagen mit Northvolt. Die Awareness ist also da.

Aber meist geht es bei den Kooperationen um die Lieferung von Batteriezellen, nicht um Rohstoffe.

Ja, noch. Es ist aber auch schwierig für einen Fahrzeughersteller, da die Beschaffung der Rohstoffe sehr weit vom eigentlichen Kerngeschäft entfernt liegt. Eine Variante könnten beispielsweise Dreiecksbeziehungen zwischen OEM, Zellfertiger und Rohstofflieferant darstellen.

Sie sagen „könnte“. Anstrengungen in der Richtung sehen Sie aber noch nicht, oder?

Auch hier fehlt wieder die berühmte Glaskugel. Der chinesische Hersteller BYD ist ein Paradebeispiel für eine derartige vertikale Integration. Europäische Hersteller denken eher horizontal, in Lieferketten. Die Einkaufsabteilung haben hier immer noch eine sehr starke Position inne. Und dort setzen sie darauf, dass ihre Lieferanten und Sublieferanten alles unter Kontrolle  haben. Dass der Lithiummarkt vor einer Unterversorgung steht, dass es schlicht und ergreifend nicht genug Lithium für alle und jeden gleichzeitig zu den niedrigsten Preisen geben wird, ist einigen Unternehmen möglicherweise noch nicht bis in die letzte Konsequenz bewusst.

Auch LFP-Akkus brauchen Lithium

Was wären die Folgen?

Dass die ambitionierten Absatzpläne für Elektroautos nicht oder nur stark zeitversetzt realisierbar sind. Denn Lithium ist bei der aktuellen Batterietechnologie der limitierende Faktor.

„Wir müssen wegkommen von der Bekämpfung der Reichweitenangst durch immer größere Akkus.“

Es ist nicht zu ersetzen?

Bei den Lithium-Ionen-Batterien, auf die sich die Autoindustrie und Zellfertiger jetzt für die nächsten 10 bis 15 Jahre festgelegt haben, ist Lithium chemisch alternativlos. Jedenfalls, wenn man Stromspeicher für mehrere Millionen Elektroautos plant, sprich den Massenmarkt. Lithium hat spezielle Eigenschaften, die kein anderes Element so aufweist. Wir brauchen es, egal, ob es eine NMC oder eine LFP-Batterie ist.

Immerhin könnte man den Lithium-Bedarf reduzieren – etwa durch die Limitierung der Speicherkapazitäten, also den Einsatz kleinerer Batterien in den Fahrzeugen.

Absolut. Wir müssen wegkommen von der Bekämpfung der Reichweitenangst durch immer größere Akkus. Statt ein Auto mit einem Speicher von 100 Kilowattstunden könnten wir fünf Autos mit 20 kWh bauen.

Salar de Uyuni, Bolivien Nach einer neuen Studie ist der Lithium-Abbau besser als sein Ruf. Denn die Diskussion um den hohen Grundwasserverbrauch wird hierzulande mit veralteten Zahlen geführt. Rohstoffe

Oder zwei mit 50 kWh-Akkus.

Bei etwa 50 kWh liegt tatsächlich auch der Mittelwert für DERA-interne Berechnungen. Wir dürfen aber auch nicht vergessen: Es kommen ja künftig auch in großer Zahl Busse und auch Lkws, die batterie-elektrisch fahren sollen. Da reden wir von ganz anderen Speicherkapazitäten. Aber Sie haben vollkommen recht: Über die Batteriegrößen könnte man eine Menge steuern. Es macht, auch aus Sicht der Nachhaltigkeit, keinen Sinn, mit einem 2,5 Tonnen schweren E-SUV zum Supermarkt zu fahren.

Dazu müsste sich aber die Einstellung zum Auto grundsätzlich ändern.

Allerdings, ja.

So weit scheint auch die Politik noch nicht zu sein: 15 Millionen Elektroautos allein in Deutschland sind schon eine Menge Fahrzeuge.

Ich denke, dass die geplanten Zulassungszahlen von  E-Fahrzeugen nur eine ungefähre Orientierungsgröße darstellen. Mit der Dynamik der Märkte und der Verfügbarkeit von Rohstoffen wird sich diese sicher noch verändern. Bei der aktuellen Versorgungssituation und den absehbaren Lieferengpässen könnte es sein, dass  Verbrenner noch länger zum Straßenbild gehören werden als geplant. Denn China und auch die USA haben noch wesentlich ambitioniertere Ziele bei der Elektromobilität und einen entsprechend größeren Bedarf an Rohstoffen. Und sie sitzen näher an den Quellen oder sind anders aufgestellt.

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