Auch wenn Siegfried Neuberger kein Freund von Verboten ist: Der Geschäftsführer des Zweirad-Industrie-Verbands (ZIV), der 90 Unternehmen vertritt, die Fahrräder, Elektroräder und Zubehör herstellen, sieht guten Zeiten entgegen. Denn die Dieselkrise bietet die Chance, mehr Bundesbürger aufs abgasfreie Rad zu locken.
„50 Prozent der Autofahrten liegen unter fünf Kilometern, 25 Prozent sogar unter zwei Kilometern“, sagt er. „Wir müssen die Menschen davon überzeugen, gerade für diese kurzen Distanzen aufs Fahrrad oder E-Bike umzusteigen.“ Die Städte wollten eine geringere Schadstoffbelastung möglichst ohne Diesel-Fahrverbote erreichen. „Wir sind zuversichtlich, dass in den Kommunen einiges passieren wird“, sagt der Radlobbyist. Die neue Bundesregierung könne zusätzliche Anreize schaffen, „wir sind da guter Dinge“.
Er hofft auf offene Ohren der Politiker, die Fahrverbote vermeiden wollen. Nötig hat die Branche das nicht: In Deutschland wurden im vorigen Jahr 720.000 E-Fahrräder verkauft, 19 Prozent mehr als 2016. Der Bestand stieg damit auf rund 3,5 Millionen. Wie EDISON berichtete, stieg der Branchenumsatz um drei Prozent.
„E-Bike ist in der Gesellschaft akzeptiert“
Als Gründe dafür sieht der Verband eine ausgereiftere Technik, die höhere Akkuleistung für größere Reichweiten und mehr Vielfalt im Angebot. „Es geht jetzt auch mehr Richtung sportive Einsätze, das E-Bike ist in, von der Gesellschaft akzeptiert“, sagt Neuberger.
Die E-Bikes retteten der Industrie aber auch das Geschäft, das unter einer sinkenden Nachfrage nach den herkömmlichen Fahrrädern litt. Die verkauften 3,13 Millionen Exemplare bedeuteten im Vergleich zum Vorjahr ein Minus von 320 000 Stück oder 9 Prozent. Die Branche versucht das damit zu erklären, dass die Qualität der Räder im Durchschnitt besser geworden sei und die Leute sie deshalb länger nutzten.
Der Verkaufspreis pro Fahrrad inklusive E-Bike lag nach Verbandsangaben im Schnitt bei 698 Euro, im Jahr 2016 waren es 643 Euro. Für E-Bikes allein habe der Durchschnittspreis etwa 2300 Euro betragen. Für die Hersteller kam so ein Umsatzplus von 3,2 Prozent auf 2,69 Milliarden Euro heraus. Zählt man die Erlöse von Werkstätten, für Zubehör und Textilien hinzu, dürften es nach einer Schätzung 5,4 Milliarden sein, also das Doppelte.
Produktion geht zurück
Deutlich auf dem Rückzug ist weiterhin die Fahrradproduktion in Deutschland. Die Konkurrenz kommt vor allem aus Asien und europäischen Staaten mit niedrigeren Löhnen: Aus Kambodscha, Polen und Bulgarien stammen die meisten der 2,65 Millionen Importräder. Nur noch 1,26 Millionen klassische Räder wurden 2017 in der Bundesrepublik gefertigt, nach 1,62 Millionen 2016 und sogar 1,88 Millionen 2015.
Immerhin geht es mit den E-Bikes aufwärts: 470.000 stammten aus deutscher Produktion, ein Plus von 120.000 im Vorjahresvergleich. Dass der Produktionswert in Summe dennoch um 2,4 Prozent auf 1,22 Milliarden Euro zulegte, lag an den E-Bikes.
Auch der Automobilclub ADAC ist für einen Umstieg aufs Rad, „gerade bei kurzen Strecken“, wie Sprecher Christian Buric sagt. Der Verein hält einen „Mobilitätsmix“ in der Stadt für wichtig. Dazu gehörten auch Mietfahrräder, die wegen des Wildwuchses diverser Anbieter zuletzt etwas in Verruf geraten sind. Aus Sicht des ADAC müssen „die Systeme eine hohe Angebotsdichte haben, einfach bedienbar sein, über gut gewartete und verkehrssichere Räder verfügen und kompatibel mit dem ÖPNV sein“. Die Radstationen müssten in der Nähe von Haltstellen entstehen, das Abrechnungsverfahren möglichst einfach sein.
Die Radindustrie hält nicht nur gut ausgebaute Radwege, sondern auch „sichere Abstellmöglichkeiten an Bahnhöfen und zentralen Plätzen“ für ein Muss. Nicht umsonst sei „der Absatz von hochwertigen Rädern in Städten unterproportional“, sagt ZIV-Chef Neuberger. Übersetzt heißt das: Wo viel geklaut wird, kauft sich keiner ein teures Rad.