Von wegen Dave Dudley, Hank Snow und Charlie Pride – die Zeiten in denen Lastwagenfahrer noch Rufnamen hatten wie „Rubber Duck“ und lautstark Country-Musik von Truckstopp aus der Kabine plärrte, sind vorbei. Weil die Lkw-Branche mehr noch als die Kollegen aus der Pkw-Welt am Klimapranger steht und ehrgeizige CO2-Ziele erfüllen muss, schalten die schweren Jungs jetzt zunehmend um auf Elektro-Pop und bringen auch die Laster an die Ladesäule.
Und so wie Tesla seit Jahren Mercedes & Co vor sich her treibt, gibt es auch bei den Nutzfahrzeugen einen Newcomer, der die etablierte Rangordnung auf den Kopf stellen könnte: Volta heißt das vor gerade mal drei Jahren in Schweden gegründete und nun aus England operierende Start-up, das im ersten Schritt mit einem 16-Tonner für den Frischedienst den Lebensmittel-Lieferverkehr im urbanen Umfeld auf den Kopf stellen will und später vom 7,5- bis zu 18-Tonner eine ganze Flotte vom Kühlkoffer bis zum Pritschenwagen plant.
Die ersten Prototypen laufen seit Monaten, jetzt beginnt beim Auftragsfertiger Steyr Automotive in Österreich die Vorserienfertigung und ab nächsten Frühjahr wollen die Schweden mit den Auslieferungen beginnen – im ersten Jahr 2.900 und ab 2024 dann über 10.000 Laster im Jahr allein in Europa und in den USA dann noch einmal die gleiche Flotte.
Akkus mit 150 oder 225 kWh Kapazität
Der Elektroantrieb mit einem samt des zweistufigen Getriebes in der von Meritor gelieferten Hinterachse integrierten E-Motor von 200 kW Leistung und den amerikanischen Proterra-Akkus mit 150 oder 225 kWh Kapazität für 150 oder 200 Kilometer Reichweite, die sich binnen einer Stunde wieder aufladen lassen, ist dabei allerdings nur ein Trumpf, der Konkurrenten wie Mercedes mit dem eActros oder Volvo mit dem FL ausstechen soll. Weil Volta eine neue Firma ohne historischen Ballast ist, die auf ihren Plattformen auch noch den Diesel durchschleppen muss, und deshalb auf einem weißen Blatt beginnen konnten, haben sie den Laster um den Antrieb herum gleich auch noch neu erfunden.
Schnittig und futuristisch wie ein Space Shuttle gleitet der Zero deshalb über das Testgelände vor den Toren von Paris und lässt herkömmliche Lastwagen wie Oldtimer aussehen: Denn der Zero ist nicht nur voll verkleidet und damit sehr aerodynamisch, sondern hat obendrein eine neuartige Front mit einer Panorama-Kanzel, die eher an einen Stadtbus erinnert als an einen Truck. Und wie sonst nur in der Formel 1 sitzt der Fahrer in der Mitte der Kabine.
Blickfeld von 220 Grad
Dieses Layout hat gleich mehrere Vorteile, sagt Kjell Walöen, der das Start-Up 2019 gemeinsam mit Carl-Magnus Norden gegründet hat: Statt in seine Kabine zu klettern, kann der Volta-Trucker seinen Zero ebenerdig und aufrecht betreten, was bei ein paar Dutzend Stopps am Tag eine echte Entlastung ist. Schiebe- statt Klapptüren sparen zudem Platz im engen Stadtverkehr und sind weniger riskant für Radler oder Fußgänger. Weil man im Volta tiefer sitzt und mehr Glas um sich herum hat als in jedem anderen Laster, misst das Blickfeld stolze 220 Grad, erläutert Walöen.
Und was der Fahrer trotzdem nicht mit eigenen Augen sehen kann, das zeigt ihm ein halbes Dutzend Kameras. Denn es gibt nicht nur virtuelle Außenspiegel wie bei Actros & Co, sondern der Zero hat auch einen digitalen Rückspiegel und obendrein flimmert über den Bildschirm im komplett animierten Cockpit auch noch eine 360 Grad-Ansicht aus der Vogelperspektive.
Aber Volta will den Lastern nicht nur den Auspuff stopfen und für Ruhe in der Stadt sorgen sowie die Sicherheit verbessern. Ganz nebenbei soll der Zero auch noch Frieden stiften zwischen Lastwagen- und Autofahrern und die Akzeptanz der Brummis erhöhen: Weil unter ihnen kein Diesel mehr Platz braucht, sitzen die Volta-Trucker zwei Meter tiefer als ihre Kollegen quasi auf dem Asphalt und damit auf Augenhöhe mit den anderen Verkehrsteilnehmern.
Auf Augenhöhe mit Radfahrern
„Das ermöglicht Blickkontakt und schafft eine ganz neue Verbindung“, hofft Walöen. Außerdem erzielt Volta mit dem eigenwilligen Design dem gleichen Effekt wie BMW seinerzeit bei i3 oder i8: Jeder sieht auf Anhieb, dass dieser Truck etwas Besonderes ist, sagt der E-Trucker. „Damit punkten viele unserer Kunden wiederum bei ihren Auftraggebern.“
Am Steuer muss man sich zwar kurz an die neue Sitzposition gewöhnen, doch danach fährt sich der Zero so einfach wie eine Großraumlimousine, die ein bisschen aus dem Leim gegangen ist. Wie bei jedem E-Fahrzeug herrscht eine wunderbare Ruhe an Bord, beim Kickdown kommt selbst in so einem Schwergewicht ein bisschen Sportwagen-Gefühl auf. Und weil vorne kein Motor mehr im Weg ist, können die Räder weiter einschlagen, so dass der Zero ohne Tangieren auch um enge Ecken kommt.
Es gibt eine Luftfederung, die den Fahrkomfort verbessert, die mit ihren Sensoren gleich das Gewicht der Ladung kontrolliert und die den Truck zudem etwas Anheben kann, wenn der flache Aufbau sonst an Bordsteinkanten hängen bleiben würde. Und wo es Trucker sonst oft schon beim Anlassend es Diesels kräftig durchschüttelt, klappern und knarzen hier allenfalls die Kunststoffkonsolen, die lange vor dem Beginn der Serienfertigung noch nicht so recht in die Kabine passen wollen.
Preise ab 265.000 Euro
Natürlich gibt’s für die Trucker das Ticket in die Zukunft nicht zum Nulltarif. Sondern mit einem Stückpreis von 265.000 Euro ist der Volta mehr als doppelt so teuer wie ein Standardlaster in dieser Liga. „Aber erstens zahlt bei uns der Staat 80 Prozent vom Aufpreis zu einem vergleichbaren Diesel und noch einmal 80 Prozent für den Aufbau der Ladeinfrastruktur auf dem Fuhrhof. Und zweitens haben wir deutlich geringere Betriebs- und Wartungskosten“, argumentiert Walöen. Wer fünf Tage die Woche Touren von 100 Kilometern fährt, der fängt nach fünf Jahren an zu sparen, rechnet er über den dicken Daumen vor.
Das kommt bei potentiellen Kunden offenbar an. Nicht nur die Investoren schenken dem Startup ihr Vertrauen und haben es mit bislang 300 Millionen Euro ausgestattet. Auch die Transportunternehmer trauen Volta große Stücke zu und haben schon insgesamt über 6000 Trucks bestellt. Allein der Logistikriese DB-Schenker hat für knapp 1500 Laster unterschrieben und damit den bis dato größten Einzel-Auftrag für elektrische Nutzfahrzeuge in Europa abgegeben.
Wenn Walöen das erzählt, wirkt er stolz und zufrieden. Aber alles andere als aufgeregt und angespannt. Denn erstens hatte er nie Zweifel an der Überzeugungskraft des Volta, und zweites hat er mit dem erfolgreichen Aufbau erfolgreich Marken so seine Erfahrung. Schließlich war er im letzten Leben im Gründungsteam des boomenden Volvo-Ablegers Polestar.