Luca de Meo, 57, hat eine lange Karriere in der Autoindustrie hinter sich. Nach Stationen bei Fiat, Audi und Seat steht der Italiener seit 2020 an der Spitze des französischen Renault-Konzerns. Dort entwickelte der Betriebswirt den Strategieplan „Renaulution“ – um die Wettbewerbsfähigkeit und Rentabilität der Unternehmensgruppe zu steigern und sie gleichzeitig zu einem Vorreiter in der neuen Mobilität zu machen. Die ersten Erfolge sind bereits sichtbar: Im vergangenen Jahr erzielte der Konzern mit weltweit 2.264.815 verkauften Fahrzeugen ein Absatzplus von 1,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr. In Europa stieg der Absatz um 3,5 Prozent, während der Gesamtmarkt nur halb so stark wuchs. 

Und nach vorläufigen Zahlen soll auch die operative Marge im Automobilgeschäft deutlich gestiegen sein. Wenige Tage vor der offiziellen Bekanntgabe der Jahresbilanz 2024 sprach unser Autor in Paris mit dem Konzernchef – über die Entwicklung von Renault, aber auch aktuelle Herausforderungen der Autoindustrie durch die Antriebswende und die Klimapolitik der EU.

Luca de Meo 
Der 57-jährige Italiener aus Mailand steht seit Sommer 2020 an der Spitze der Renault Group. Zuvor war der Betriebswirt CEO von Seat.
Luca de Meo
Der 57-jährige Italiener aus Mailand steht seit Sommer 2020 an der Spitze der Renault Group. Zuvor war der Betriebswirt unter anderem Marketingleiter des Volkswagen-Konzerns und zuletzt CEO von Seat.

Herr de Meo, sind Sie ein sentimentaler Mensch? Viele der Autos, die unter Ihrer Regie entstanden wie der Fiat Ciquecento oder der Renault 5, schlagen mit ihrem Retro-Design einen Bogen zu Erfolgsmodelle aus der Vergangenheit.

Ich bin immer dafür, das Erbe der Marken zu nutzen und ihre Wurzeln auf moderne Weise neu zu interpretieren. Wenn es etwas gibt, das man als Autohersteller nicht kaufen kann, dann ist es Heritage. Wie die Luxusmarken Cartier oder Hermes sollte auch ein Autohersteller sein Erbe und die damit verbundenen zeitlosen Werte pflegen. Denn diese schaffen eine einzigartige Verbindung zu ihrem Publikum. Die Menschen gehen doch auch in die Oper und hören sich dort Musikstücke an, die 200 Jahre alt sind. Und sie lieben das. Ich versuche ähnliches bei Renault: Der R5 weckt positive Erinnerungen an die Vergangenheit und befördert gleichzeitig Innovationen, was Software und Hardware anbetrifft.

Der kommende R4 setzt diese Linie fort. Im vergangenen Jahr haben Sie auch eine Neuinterpretation des Renault 17 gezeigt. Hat der eine Chance auf Realisierung?

Der Markt für solche Sportcoupés ist sehr begrenzt, und ich muss unsere Ressourcen mit Bedacht einsetzen. Ich ziehe es deshalb vor, Entwicklungsgelder in den elektrischen R5 Turbo zu stecken, der in nicht allzu ferner Zukunft auf den Markt kommen wird. Kreativität zu fördern ist gut. Aber es ist schwierig, ein Projekt wie den R17 aufgrund der begrenzten Stückzahlen in ein profitables Projekt zu verwandeln.

Renault 5 Turbo 3E
46 Jahre nach der Weltpremiere des Renault 5 Turbo soll der vollelektrische Nachfolger auf den Markt kommen. Mit drei Elektromotoren und einer Spitzenleistung von 360 kW oder 500 PS soll die "Rennsemmel" in 3,5 Sekunden auf Tempo 100 sprinten.
Renault 5 Turbo 3E
46 Jahre nach der Weltpremiere des Renault 5 Turbo soll der vollelektrische Nachfolger auf den Markt kommen. Mit drei Elektromotoren und einer Spitzenleistung von 360 kW oder 500 PS soll die „Rennsemmel“ in 3,5 Sekunden auf Tempo 100 sprinten.

Ein gutes Stichwort: Von den 2,26 Millionen Fahrzeugen, die der Konzern im vergangenen Jahr verkaufte, trugen zwei Drittel die Renault-Rombe auf der Haube. Wird das so bleiben oder wollen Sie Dacia und Alpine mehr Raum geben?

Es gibt keine Vorgaben für den Anteil der einzelnen Marken an unserem Gesamtvolumen. Ich überlasse es den CEOs der Marken, das Potenzial jeder Marke voll auszuschöpfen. Wobei die Kundenzufriedenheit und der Gewinn im Vordergrund stehen und nicht das Volumen. Bislang hat das gut funktioniert: Renault war in seiner 125-jährigen Geschichte noch nie so erfolgreich und profitabel wie heute. Trotz Dacia und dem Einstieg der Marke in das C-Segment. Denn die Gefahr, dass sich beide Marken kannibalisieren, besteht nicht. Anders als bei einem Wettbewerber. Auch wenn das bei uns mit drei Marken leichter zu bewerkstelligen ist als bei denen mit zwölf.

Anderes Thema: Ihre Planung sah vor, bis Ende 2025 20 bis 22 Prozent des Gesamtabsatzes mit Elektroautos zu bestreiten. Bleibt es dabei?

Als ich zu Renault kam, stellte ich sofort fest, dass das Unternehmen ein hohe Kompetenz bei Elektroantrieben hat sowie eine wettbewerbsfähige Elektro-Plattform für den Mégane und den Scenic E-Tech Electric. Zudem hatten einige Leute im Unternehmens fast ein Jahrzehnt lang für den Hybridantrieb gekämpft. Ich habe entschieden, beide Entwicklungsstränge weiter zu verfolgen und die Produktpalette von Renault darauf aufzubauen – bis runter zum B- und A-Segment. Die beiden Antriebstechnologien werden in den kommenden Jahren die Grundlage für unsere Fahrzeugpalette sein, die 80 Prozent des gesamten europäischen Automobilmarktes abdeckt. Vor drei oder vier Jahren hätte niemand für möglich gehalten, dass Renault mit einem Anteil von 16 Prozent die Nummer zwei in Europa beim Verkauf von Autos mit Hybridantrieb sein würde – knapp hinter Toyota, einem Autohersteller mit bereits zwei Jahrzehnten Erfahrung auf dem Gebiet. Ich bin deshalb zuversichtlich, dass wir in der Lage sein werden, die strengeren Emissionsvorschriften der EU zu erfüllen und den genannten Elektroauto-Anteil von 22 Prozent zu erreichen.

Renault 17 Electric Restomod 
"Es ist schwierig, ein Projekt wie den R17 aufgrund der begrenzten Stückzahlen in ein profitables Projekt zu verwandeln." Fotos: Renault
Renault 17 Electric Restomod
„Es ist schwierig, ein Projekt wie den R17 aufgrund der begrenzten Stückzahlen in ein profitables Projekt zu verwandeln.“ Fotos: Renault

Ansonsten würden Renault Bußgelder in Milliardenhöhe für einen übermäßigen CO2-Ausstoß drohen.

Wir haben bislang weder von Tesla noch von BYD Emissionsgutschriften kaufen müssen, ganz im Unterschied zu Ford, Stellantis und anderen Autoherstellern. Strafzahlungen ergeben keinen Sinn. Die Autoindustrie investiert jedes Jahr rund 250 Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung, um die Technologie voranzutreiben – mehr als jede andere Branche. Und wir sind die einzige Industrie, die bei einer Verfehlung der Ziele Strafzahlungen leisten müssen. Warum eigentlich? Bis zum Ende dieses Jahrzehnts wird es in Europa mehr als hundert neue Elektrofahrzeuge geben. Wir machen also unseren Job. Leider nur fehlt es aktuell an der Nachfrage nach E-Autos.

Für Renault mögen die CO2-Flottenziele aufgrund des hohen Anteils von Kleinwagen an den Verkäufen kein Problem sein. Andere Hersteller hingegen stecken aufgrund der geringen Nachfrage nach Elektroautos in ernsten Schwierigkeiten. Was raten Sie denen?

Sie könnten die Produktion der so genannten „großen Sünder“ drosselt. Wir sprechen da in Summe von 2,8 Millionen Autos mit einem großen CO2-Fußabdruck. Das würde sich schon auf die Klimabilanz auswirken. Allerdings wahrscheinlich aber auch auf die Beschäftigungszahlen.

Elektroautos sind aufgrund der hohen Kosten der Batterien deutlich teurer als Verbrenner. Werden die Fortschritte in der Batterietechnologie bald daran etwas ändern?

Derzeit arbeiten wir daran, die Energiedichte der NMC (Nickel-Mangan-Cobalt, Anm. d. Red.)-Zellen zu erhöhen, aber auch die Potenziale von LFP (Lithium Eisenphosphat)-Akkus zu erhöhen, die mit etwas Mangan eine höhere Energiedichte erreichen könnten. Die Feststoffbatterie wird wohl erst weit nach 2030 in großen Stückzahlen verfügbar sein, auch wenn einige Marken schon vorher „Halo“-Cars mit der Batterietechnik auf den Markt bringen werden. Allerdings nur in sehr begrenzten Mengen und in Luxusautos.

Im vergangenen Jahr hatten Sie eine Kooperation mit Volkswagen zu Bau eines elektrischen Kleinwagens vorgeschlagen. Woran ist die eigentlich gescheitert?

Das müssen Sie Volkswagen fragen. Wir könnten aus dem R5 eine kostengünstige Elektroplattform für das B-Segment machen, und ich dachte, das könnte ein Weg sein, um den Absatz von Kleinwagen in Europa wieder zu steigern. Kleinwagen sind in Europa ja fast vom Markt verschwunden, weil in den zurückliegenden zwei Jahrzehnten die Gewichts- und Technologiestandards dramatisch gestiegen sind und damit auch die Herstellkosten. Das hätte sich in Verkaufspreisen niedergeschlagen, die kein Kunde zu zahlen bereit gewesen wäre oder die den Herstellern keinen Gewinn mehr einträgt.

Die Plattform für den elektrischen Twingo stelle ich gerne auch anderen Herstellern zur Verfügung, um auf der technischen Basis ein preisgünstiges Fahrzeug im B- oder A-Segment anbieten zu können. Durch die Teilung der Kosten und eine gemeinsame Fertigung in großer Stückzahl würde für die Hersteller auch noch ein Gewinn übrig bleiben. Das würde allen zugutekommen. Europa muss mehr kooperieren, so wie es die Amerikaner und die Chinesen tun.

Renault Twingo Electric 2026
„Die Plattform für den elektrischen Twingo stelle ich gerne auch anderen Herstellern zur Verfügung, um auf der technischen Basis ein preisgünstiges Fahrzeug im B- oder A-Segment anbieten zu können. Durch die Teilung der Kosten würde ein Gewinn übrig bleiben.“

Und wie es aussieht, werden die Kosten einer Autoproduktion in Europa in den kommenden Jahren aufgrund der Reglementierung durch die EU noch weiter steigen.

Bis 2030 werden in Europa jedes Jahr acht bis zehn neue Vorschriften in Kraft treten, die auf jedes neu produzierte Auto angewendet werden müssen. Wenn alle von ihnen wirklich durchgesetzt werden, wird dies die Kosten für ein Auto um 40 Prozent erhöhen. Und zwar in allen Segmenten. Wenn man auf den Preis eines jeden Autos im B-Segment 400 Euro aufschlägt, dann ist das dramatisch. Vor allem auf Märkten wie Portugal, Spanien, Italien oder Frankreich, die von Kleinwagen dominiert werden. Darunter wird die gesamte Wirtschaft leiden, weil das gesamte Ökosystem davon betroffen ist.

Bis 2028 soll Renault mit der neuen EV-Plattform für das C-Segment die besten chinesischen Anbieter in Bezug auf Produkt und Kosten einholen. Was macht Sie da so zuversichtlich?

Wir haben uns der Herausforderung gestellt, mit unseren in Europa entwickelten und produzierten Elektroautos mit den besten chinesischen Anbietern gleichzuziehen. Das ist alles andere als einfach bei dem industriellen Umfeld in China und den hohen Energiekosten hier in Europa. Wir haben dazu Ampere gegründet. Das Unternehmen arbeitet hart daran, die Kosten für die nächste Generation von Elektroautos um durchschnittlich 40 Prozent zu senken.

Stichwort China: Sie sind wahrscheinlich inzwischen froh, im Unterschied zu Volkswagen oder auch BMW nicht so stark vom dortigen Automarkt abhängig zu sein, oder?

Vor zwei oder drei Jahren sagte man uns, wir seien „nur“ ein südeuropäischer und lateinamerikanischer Autohersteller, wir hätten den russischen Markt verloren – alle sahen uns als klaren Underdog. Inzwischen hat sich die Lage total geändert. Wir sind vor den geplanten Zöllen der USA ebenso geschützt wie einem Zusammenbruch des chinesischen Automarktes.

Dafür haben Sie es, wir sprachen bereits darüber, mit dem Green Deal der EU-Kommission zu tun. Als Präsident des europäischen Autohersteller-Verbandes hatten Sie sich für eine Verschiebung oder zumindest Flexibilisierung der neuen CO2-Flottenziele eingesetzt. Wie stellt sich die Situation heute dar?

Wir hatten Anfang Februar ein Treffen mit der Kommissions-Präsidentin Ursula van der Leyen. Nach dem Feedback, das wir erhalten haben, wird es wohl irgendwann im März eine Reaktion auf unseren Vorstoß geben. Es fehlen vielfach Anreize zum Kauf eines Elektroautos, die Energiepreise sind zu hoch, die Ladeinfrastruktur weist immer noch große Lücken auf: Diese Themen müssen dringend angegangen werden. Wir als Autoindustrie haben unsere Hausaufgaben gemacht. Eine Rückkehr zu Dieselmotoren oder anderen veralteten Technologien macht keinen Sinn. Bedeutet das, dass wir in Europa bis 2035 zu 100 Prozent nur noch Elektrofahrzeuge fahren werden? Wahrscheinlich nicht. Wir müssen erreichbare Ziele für die notwendige Dekarbonisierung des Straßenverkehrs festlegen, aber nicht hohe Geldstrafen für die „Schuldigen“ festlegen. Das würde der Industrie 15 Milliarden Euro an Kapital entziehen, das ansonsten in Anlagen, Technologien und neue Arbeitsplätze investiert würde. Unsere Industrie erwirtschaftet zehn Prozent des europäischen Bruttoinlandsprodukts und steht für 30 Prozent des gesamten europäischen Budgets für Forschung und Entwicklung. Die Zahlen sollte die Politik im Hinterkopf haben.

Vielen Dank für das Gespräch.

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