Gegen ihn ist selbst Elon Musk nur ein kleiner Glücksritter. Ja, der Amerikaner mag mehr Geld haben, mehr Einfluss und mehr Fans. Doch was der chinesische Bauernsohn Wang Chuanfu, 57, geschafft hat, das ist weithin unerreicht. Denn die von ihm 1995 als Yadi Electronics gegründete Firma ist unter dem Namen BYD (Marketing-Slogan: „Build Your Dreams“) in nicht einmal 30 Jahren erst zum vielleicht wichtigsten Akku-Hersteller der Welt aufgestiegen und dann zu einem Industriegiganten geworden, der schon bald den Verkehrssektor weit über die Straße hinaus dominieren könnte.
Denn BYD baut nicht nur mehr elektrifizierte Autos als jeder andere Hersteller der Welt und nebenbei noch immer Batterien für Laptops, Telefone und die heimische PV-Anlage. Der Shooting-Star aus Shenzhen hat zudem von den roten Doppeldecken in London bis zum Stadtverkehr in Bonn tausende elektrische Busse im Rennen; er baut Laster mit Akku-Antrieb für nahezu jede Tonnage und will mit elektrischen Hochbahnen die Schienenverkehr in der Stadt sowie zwischen den Metropolen umkrempeln.
„Wir sind da, wo Tesla hinwill“, tönt Brian Luo aus dem Strategie-Team in der Zentrale. Er macht dabei allerdings eine selbstkritische Einschränkung: „Es kennt uns bislang keiner. Wir sind die größte Marke, von der noch nie jemand etwas gehört hat!“
Furcht vor dem stillen Riesen
Aber das ändert sich gerade. Denn auch wenn BYD nach wie vor über 90 Prozent der allein im ersten Halbjahr 1,25 Millionen produzierten Autos in der Heimat verkauft und das Auslandsgeschäft erst sein ein paar Monaten anläuft, wächst die internationale Bekanntheit Schlag auf Schlag. Und mit ihr die Furcht, von dem stillen Riesen überrollt zu werden. Denn es vergeht kaum ein Monat, in dem nicht irgendeine neue Erfolgsmeldungen aus Shenzhen ertönen, die nicht nur in Wolfsburg und Paris als Hiobsbotschaft ankommen dürften. Der imposante Stand von BYD auf der IAA Mobility in München kündete im Herbst jedenfalls von den großen Ambitionen des Unternehmens und wurde als Kampfansage verstanden.
Der raketenhafte Aufstieg des Mr. Chuanfu liegt, wenn man Markensprecher Luo glauben darf, vor allem in der Innovationskraft seines Unternehmens. Nicht nur, dass BYD allein 79 Forscher und Entwickler in einem knappen Dutzend Institute beschäftigen. Sondern sie stellen diesem Heer von Wissenschaftlern auch mehr Geld zur Verfügung, als sie einnehmen: „Im letzten Jahr war unser R&D-Budget größer als unser Gewinn,“ sagt Luo.
Jede Menge Patente
Das zahlt sich aus: An einer Wand in der Hauptverwaltung in Shenzhen in der Provinz Guangdong, die mit Produktion, Forschung, Entwicklung, Design, Verwaltung und Wohnungen sowie Einkaufszeile für allein hier über 60.000 Mitarbeiter eine eigene Stadt ist, hängen die Urkunden für 30 000 Patente – und jeden Tag kommen 19 neue dazu.
Entsprechend schnell entwickelt sich das Produktportfolio der Marke: Erst 2005 hat BYD sein erstes Auto gebaut, 2008 haben sie den ersten chinesischen Plug-In-Hybriden vorgestellt und seit 2010 kommen aus Shenzhen auch reine Elektroautos – mittlerweile selbstredend auf einer dezidierten Plattform, die einem MEB oder einer EVA in nichts nachsteht.
Blade-Batterie als Schlüsseltechnologie
Im Gegenteil ist die BYD-Technik der westlichen Konkurrenz womöglich sogar überlegen. Das liegt an der einzigartigen Blade-Batterie, die Männer wie Luo als Basis des Erfolgs bezeichnen: Die heißen so, weil die Zellen nicht rund sind oder prismatisch, sondern dünn und lang wie die Klingen eines Messers und sich im Unterboden über nahezu die gesamte Fahrzeugbreite erstrecken. Das erhöht nicht nur die Sicherheit und senkt die Kosten, sondern das erlaubt auch eine sehr kompakte und vor allem flache Batterie, die obendrein zum integralen Bestandteil der Plattform wird und so die Steiffigkeit erhöht, während das Gewicht sinkt.
Gefertigt werden die Akkus im eigenen Werk in Chongqing. In nur einem Jahr haben sie dort für zwei Milliarden Euro eine Fabrik aus dem Boden gestampft, die mittlerweile 90 000 Blade-Zellen am Tag produziert und so auf eine Jahreskapazität von 35 Gigawattsunden kommt. Und während die alte Autowelt noch eine Antwort auf die innovativen Zellen aus China sucht, bereitet BYD bereits den nächsten Coup vor – und hat angeblich mittlerweile den Dreh für die revolutionäre Natrium-Ionen-Zellen heraus, von denen dramatische Preisvorteile erwartet werden.
Exporterfolge mit deutschem Design
Ein nicht unbedingt herausragendes, aber schlüssiges und vor allem authentisches Design aus der Feder des ehemaligen Audi-Stilführers Wolfgang Egger, solides Fahrverhalten, ein ordentliches Ambiente und die konkurrenzlose Blade-Batterie – spätestens seit sie ihre dezidierte E-Plattform haben und die Modelle der sogenannten Ocean-Serie sind die Chinesen fit für den Export.
Schon im ersten Jahr haben sie bei uns deshalb mit Han, Atto3, Dolphin und Tang gleich vier Modelle im Handel und die nächsten zwei sind bereits auf dem Weg nach Europa: Erst kommt der Seal, der als schmucke Elektrolimousine mit guten 500 Kilometern Reichweite gegen das Tesla Model 3 antritt. Und kurz darauf folgt der technisch eng verwandte Seal U, der auf Konkurrenten wie den VW ID.4 zielt.
Bezahlbare Elektroautos für die Masse
Denn auch wenn die Nachfrage in China unersättlich erscheint erhoffen sich Mr. Chuanfus Mannen bei uns noch größere Erfolge. „In China liegt der E-Anteil schließlich bereits bei 30, in Europa aber nur bei 15 Prozent. „Da ist also viel mehr Musik drin,“ sagt Lui.
Und die könnte für BYD bald noch lauter spielen. Denn anders als Nio, Zeekr oder HiPhi greift der Gigant nicht ganz oben an, sondern in den Volumensegmenten. Und er will womöglich bald noch mehr Masse machen. „Am stärksten aufmischen könnte man den Markt mit einem ebenso alltagstauglichen wie bezahlbaren Elektroauto“, sagt Brian Yang aus der Europazentrale in Amsterdam. Er zieht Parallelen zum Erfolg der Renault-Tochter Dacia in der Verbrenner-Welt. „Wer das Akkuauto für die breite Masse bringt, der wird den Markt dominieren.“
Wenn Yang über so einen elektrischen „Volkswagen“ mit 300 Kilometern realer Reichweite für unter 20 000 Euro spricht, klingt er sehr hypothetisch. Dabei könnte er ganz konkret werden. Denn genau so ein Auto hat BYD im April auf der Motorshow in Shanghai vorgestellt: Seagull heißt der Kleinwagen, der in China umgerechnet rund 10.400 Euro kostet, im chinesischen Zyklus schon in der Basisversion 300 Kilometer.
BYD hat Volkswagen in China überholt
Doch erstens will BYD in Europa partout nicht in die Billigecke verbannt werden, und zweites weiß jeder in Shenzhen, dass es für den Weg nach Westen mehr Ausstattung und vor allem mehr Sicherheit braucht – und dass der Kampfpreis dann nicht mehr zu halten wäre. Deshalb wird der Kleinwagen im Dialog mit ausländischen Gästen schnell zum großen Elefanten im Raum und man kann zwei Tage durchs Hauptquartier in Shenzen laufen, ohne auch nur einen konkreten Satz zu hören oder mehr vom Auto zu sehen als die schemenhafte Vorbeifahrt eines unvorsichtigen Entwicklers.
Doch Yang muss gar nicht viele Worte machen. Es reicht schon der Blick in die chinesischen Zulassungszahlen, dass VW & Co Angst und Bange werden sollte: Schließlich meldet BYD daheim für den Seagull monatlich fünfstellige Absatzzahlen.
In China hat sich Mr Chuanfu seinen Traum schon verwirklicht – und mit Build your Dream erst im Frühjahr VW nach mehr als 20 Jahren von der Spitze der Zulassungen verdrängt. Und dabei will es der große Unbekannte nicht belassen. Sondern wenn die Chinesen jetzt nach Europa durchstarten, dann mit dem erklärten Ziel, es unter die Top5 zu schaffen – und dafür so manchen Stammspieler vom Platz zu drängen. Gut möglich also, dass BYD bald gar vollends zum Alptraum der westlichen Autowelt wird.