Das sind alles andere als rosige Aussichten: Die Städte werden immer größer, der Verkehr wird immer dichter, die Luft immer dicker – und die Kritik am Auto immer lauter. Das vermeintliche Grundrecht auf individuelle Mobilität lässt sich so womöglich nicht mehr dauerhaft garantieren, fürchtet Vincent Cobée. Denn entweder wird das Auto für viele Städter schlicht zu teuer, oder gleich ganz aus der City verbannt. Und über die Freude am Fahren will er dabei schon gar nicht reden.

Doch der Citroën-Chef ist kein Schwarzmaler, sondern präsentiert staugeplagten Städtern und besorgten Bürgermeistern gerade eine Vision, wie sich der Verkehrsinfarkt in der City vielleicht doch noch abwenden lässt: Urban Collectif nennt Citroën die Vision eines autonomen Mobilitätssystems für das urbane Umfeld, das sozial- und umweltverträglicher sein will als das Auto. Und das zugleich individueller und in post-pandemischen Zeiten wohl auch sicherer vor Infektionen ist als der überfüllte Stadtbus oder die U-Bahn.

Hotelsuite oder Fitnessstudio auf Rädern

Dafür haben die Franzosen eine elektrische Plattform entwickelt, die vollautonom wie ein überdimensionales Skateboard durch den Stadtverkehr surrt und dabei sogenannte Pods von der Größe eines Berlingo transportiert, die von anderen Mitgliedern des „Urban Collectif“ entwickelt und im Stadtgebiet verteilt werden. Bei der Premiere des neuen „Stadt-Kollektivs“ in Paris waren das eine rollende Hotelsuite und Champagnerlounge von Arccor, ein mobiles Fitnessstudio mit Rudergerät und Liegerad von Pullmann. Gezeigt wurde aber auch eine Art Parkbank auf Rädern, die der Stadtmarketing-Spezialist JCDecaux ins Rennen schickt.

Eine Plattform, drei denkbare Aufbauten
Das Konzept "Urban Kollektif" besteht aus zwei Teilen - und lädt Partnerunternehmen zum Mitmachen ein. Foto: Citroën
Eine Plattform, drei denkbare Aufbauten
Das Konzept „Urban Kollektif“ besteht aus zwei Teilen – und lädt Partnerunternehmen zum Mitmachen ein. Fotos: Citroën

„Die Zahl der Aufbauten ist schier unendlich und schon nach 24 Stunden Brainstorming hatten wir Dutzende Ideen“, sagt Cobée und zeigt auf eine Leinwand, über die Skizzen von Paketfahrzeugen, mobilen Apotheken, rollenden Schreibtischen, Werkstattwagen, Yoga-Suiten oder sogar Friseurstudios auf Rädern flimmern. In der Vision der urbanen Collectifisten sind die Skates so quasi rund um die Uhr im Stadtverkehr unterwegs. Sie nutzen ganz unterschiedliche Pods – und die Kunden bestellen ihr mobiles Erlebnis bedarfsgerecht, natürlich per Smartphone-App.

„Hütchenspiel“ auf Rädern

Das Prinzip erinnert ein bisschen an die Hütchenspiele: Nur dass hier niemand abgezockt wird, sondern es ausschließlich Gewinner gibt, hofft ein Citroën-Manager. Denn in der Stadt sind mit diesem Prinzip weniger Fahrzeuge unterwegs und der Verkehr fließt besser, die Elektrifizierung lindert die Luftverschmutzung. Und statt die Zeit im Stau einfach abzustehen, bekommen die endlosen Stunden auf der Straße endlich wieder einen Sinn – und wenn es nur etwas Ruhe in der Rushhour ist.

Die Idee ist zwar nicht ganz neu und wurde vor allem bei Nutzfahrzeugen schon öfter durchgespielt, unter anderem vor einigen Jahren vom Volkswagen-Konzern unter dem Namen „Moia“. Doch niemand hat dabei den Stadtverkehr der neuen Art so weit gedacht wie die Franzosen. Denn nicht nur das Elektro-Skate selbst ist besonders innovativ, weil zum Beispiel großen Akkus induktiv geladen werden. Oder weil Goodyear spezielle Motoren entwickelt hat, die in kugelrunden Reifen groß wie Medizinbälle integriert sind und damit Fahrbewegungen in jede erdenkliche Richtung erlauben. Die Skates können damit auf der Stelle wenden, diagonal oder quer fahren. So passen sie noch in die letzte Lücke am Straßenrand.

Mit der Elektro-Kutsche zum Eiffelturm 
Bei Bedarf werden die Elektrofahrzeuge per App herbeizitiert, um mit ihnen beispielsweise Familienausflüge zu unternehmen.
Mit der Elektro-Kutsche zum Eiffelturm
Bei Bedarf werden die Elektrofahrzeuge per App herbeizitiert, um mit ihnen beispielsweise Familienausflüge zu unternehmen.

Genial ist auch die Idee, das Elektro-Skate mit den Pods/Aufbauten von Partnerunternehmen zu bestücken. Denn im Grunde ist das der gleiche Open-Source-Ansatz wie beim Smartphone. Und so, wie es fürs Handy unzählige Apps für praktisch jede Gelegenheit und jeden Zweck gibt, stehen in dieser Vision für die 2,60 Meter langen und 1,60 Meter breiten Skates auch zahllose Pods bereit.

Citroën stellt das Fahrgestell, Partner bauen die Aufbauten

Und ganz nebenbei drückt diese Konzept die Kosten: Denn auch wenn jedes Skate mit dem Antrieb, der Sonsorik und der Intelligenz fürs autonome Fahren vielleicht Hunderttausend Euro kostet, so wird das Gesamtfahrzeug plötzlich bezahlbar, wenn man den Preis durch ein Dutzend Pods teilt, rechnen die Franzosen vor.

Mit Moped-Führerschein: Frankreichs neuer Elektrozwerg, der unsere großstädtische Mobilität entspannen soll. Er ist ein wenig gewöhnungsbedürftig. Aber so was von cool. Elektroauto

Erst recht, wenn das Fahrzeug im Grunde 24 Stunden am Tag im Einsatz ist, statt die meiste Zeit nur auf irgend einem Parkplatz herum zu stehen. Und weil das System erst einmal auf Tempo 25 ausgelegt ist und auf eigene Fahrspuren, muss die Technik ja auch nicht ganz so ausgefuchst sein wie bei einem autonomen Auto für alle Lebenslagen. So gibt Cobée dem System zusätzliche Bodenhaftung.

Elektro-Skateboad mit Kugelrädern
Das Radsystem von Goodyear erlaubt es, das "Skate" auf der Stelle zu wenden. Geladen wird der Elektroantrieb induktiv.
Elektro-Skateboad mit Kugelrädern
Das Radsystem von Goodyear erlaubt es, das „Skate“ auf der Stelle zu wenden. Geladen wird der Elektroantrieb induktiv.

Natürlich weiß auch der Citroën-Chef, dass das sein „Urban Collectif“ erst einmal nur eine schöne Vision ist und dass es selbst unter den günstigsten Umständen noch fünf bis zehn Jahre dauern dürfte, bis sich so ein Konzept auch nur ansatzweise umsetzen lässt. Und selbst dann wird das Skate wahrscheinlich nur auf konventionellen Rädern fahren und noch nicht induktiv laden. Und ob dann wirklich jemand im Stau auf der Peripherique einen Workout machen möchte, sei mal dahingestellt.

Doch viel wichtiger als die konkrete Umsetzung ist Cobée der Denkanstoß: „Wir müssen“, sagte der Automanager bei der Vorstellung des Konzepts in Paris, „den Verkehr in den Städten mit viel Phantasie und Kreativität neu denken, wenn wir die Lebensqualität verbessern und den Menschen ihr Recht auf Mobilität erhalten wollen.“ Und wenn es um Phantasie und Kreativität gehe, sei dafür „wohl kaum eine Marke besser geeignet als unsere.“ Nach dem Elektro-Vehikel Ami habe man bereits einen ersten Schritt in die neue Richtung getan.

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