Das E-Bike-Jahr 2024 scheint klar im Zeichen der sogenannten „Light-E-Bikes“ zu stehen. Damit sind Modelle gemeint, bei denen dank kleinerer Akkus und kompakterer Motoren ein Gewicht von unter 20 Kilogramm erreicht wird. Beispiele sind für das urbane Umfeld das „Upstreet SL“ von Flyer mit dem nagelneuen Bosch-Motor der Performance-Line in SX-Ausführung (Gewicht: 18 Kilogramm) und für den sportlichen Bereich das E-Gravelbike „E-Getaway“ von Stevens mit Fazua-Antrieb, das laut Herstellerangaben sogar nur 14,9 Kilogramm wiegt.
Ist somit die Zeit der kraftvollen Antriebe und großen Reichweiten vorbei? Mitnichten. „Aus unserer Sicht ist das kein Gegentrend, sondern ein neues Feld wird erschlossen“, sagt Silas Furrer vom Schweizer E-Bike-Pionier Flyer. Das kraftvolle E-Bike mit großer Akku-Reichweite bleibt bei gewissen Käufern weiterhin gefragt, wird allerdings um ein weiteres Feld ergänzt, was neue Nutzergruppen erschließen soll – sowohl im urbanen Bereich als auch im sportlichen Segment.
„Der Vorteil: Die Räder fahren sich mehr wie ein herkömmliches Fahrrad“, erklärt Volker Dohrmann vom Hamburger Hersteller Stevens. Durch die kleineren Akkus und Starrgabeln anstelle von Federgabeln seien die Räder auch günstiger in der Herstellung und man sähe manchen Modellen die E-Unterstützung gar nicht mehr an, was das Thema noch interessanter mache.
Light E-Bikes schwer gefragt
Aktuell sei die Nachfrage nach den leichteren Modellen im Handel und auch bei den Käufern äußerst hoch. Dohrmann schätzt, dass der Marktanteil in diesem Jahr zwischen einem Drittel und einem Viertel aller E-Bike-Verkäufe liegen wird. Darauf haben sich die Hersteller eingestellt und ihr Angebot entsprechend erweitert. Allerdings sagen beide Experten auch, dass die leichten Modelle nicht für jeden Fahrer-Typ geeignet sind. Einsteiger und nicht so sportliche Biker könnten sich an Anstiegen mit den Light E-Bikes schwertun. Anders als bei E-Bikes mit durchzugsstarken Motoren muss hier am Berg deutlich mehr Kraft aufgebracht werden.
Für den städtischen Einsatz bleiben Cargobikes auch 2024 ein Trendthema. Das Segment legt stetig zu und wird immer facettenreicher. Dreirädrige Modelle wie das schwere „F.U.B. 3W“ von Winora oder zweirädrige wie das „Packster2 70“ von Riese & Müller sind auf die Ansprüche von Familien mit kleinen Kindern wie für den Transport von Gütern ausgelegt. Allerdings brauchen die Räder mehr Platz beim Abstellen und sind somit nicht für alle Radfahrer eine Option.
Utility- statt Cargobike
Als Alternative kommen deshalb sogenannte Utility-Bikes auf den Markt. Diese zeichnen sich durch eine kompakte Bauart, meist mit kleinen Rädern, und viele Gepäckmöglichkeiten aus. Mit dem „CS 100“ von Ca Go lassen sich sogar Getränkekisten transportieren. Das „Multitinker“ von Riese & Müller etwa erlaubt durch einen längeren Gepäckträger die Mitnahme einer weiteren Person bei entsprechenden Sitzmöglichkeiten. Und das „Moca“ der gleichnamigen Firma aus München ist trotz seiner kompakten Bauweise für den Transport auch von sperrigen Lasten gedacht.
Mit dem „Delta tx“ stellt HP Velotechnik ein sogenanntes Sesseldreirad vor, das es auch älteren Menschen und Menschen mit Handicap ermöglicht, mit dem Rad einkaufen zu fahren. Diese Optionsvielfalt zeigt, dass das Fahrrad als Transportmittel immer mehr geschätzt wird.
Anhänger für Transport von Kindern und Hunden
Stevens-Mann Dohrmann bringt noch eine weitere pragmatische Idee für den innerstädtischen Transport ins Spiel: „Wir sind der Meinung, dass ein City-E-Bike in Verbindung mit einem Anhänger eine sinnvolle Lösung ist.“ Anhänger gibt es dabei mittlerweile zum Transport von Kindern und sogar Hunden. Auch möglich sind gefederte Varianten, mit denen Kinder auf Touren im Wald und leichtem Gelände komfortabel mitfahren können.
Aufgrund der zu transportierenden höheren Gesamtmasse wächst inzwischen auch das Segment an E-Bikes, die ein zulässiges Gesamtgewicht (Fahrrad, Gepäck und Fahrer) von 180 Kilogramm aufweisen, wie etwa das „Gotour 3“ von Flyer. Diese Räder brauchen wiederum einen größeren Akku und stärkeren Motor, was das Gewicht des Rades erhöht.
Furrer erklärt, dass die 180 Kilogramm Gesamtgewicht zukünftig aber nicht zum Standard bei E-Bikes werden – obwohl die Menschen größer und schwerer werden. Zu hoch sind die Anforderungen an die einzelnen Fahrradkomponenten und die Rahmen, um diese auf jedes Modell zu übertragen und die entsprechenden Tests durchzuführen. Dennoch reagieren die Hersteller auf die Entwicklung und erhöhen das zulässige Gesamtgewicht für E-Bikes. Bei vielen Modellen liegt es schon bei 140 Kilogramm, vor ein paar Jahren waren es noch 120 Kilogramm.
SUV für Stadt und Gelände
Die neuen Entwicklungen sind ein deutliches Zeichen dafür, dass der E-Bike-Markt sich im steten Wandel befindet. Waren anfänglich E-Trekkingräder das größte Segment, werden laut aktuellen Verkaufszahlen des Zweirad-Industrie-Verbandes mittlerweile E-Mountainbikes am häufigsten verkauft. „Es ist tatsächlich ein ziemliches Auf und Ab zwischen den Gruppen. Trends kommen und gehen“, sagt Dohrmann.
Eine wachsende Nachfrage verzeichnen schon seit längerem sogenannte Crossover-Modelle wie das „Kemen SUV“ von Orbea für die tägliche Flucht aus dem Alltag. Hier wird Geländetauglichkeit mit Vollausstattung verbunden, was ein komfortables Rad sowohl für das tägliche Pendeln als auch die Wochenendtour im leichten Gelände schafft. Jedes Segment hat seine speziellen Kunden, worauf sich die Hersteller einstellen müssen. Dazu kommen stetige Innovationen bei Motoren und Komponenten.
Digitalisierung treibt E-Bikes an
Innovative Lösungen wie die „Motor-Gearbox-Unit“ – kurz MGU – von Pinion sorgen in diesem Jahr sicherlich für neue Kaufimpulse. Bei der spektakulären MGU sind Motor und Schaltgetriebe in einer Einheit verbaut, was für einen möglichst wartungsfreien und langlebigen Antrieb sorgt. Zusätzliche Features wie eine halbautomatische Schaltfunktion erhöhen den Fahrkomfort. Mit digitalen Zusatzfunktionen vom Anbieter Fit E-Bike System Integration kann beispielsweise auch die Motorleistung individuell eingestellt werden. So kann man je nach Tourenprofil entscheiden, ob man in den einzelnen Unterstützungs-Modi eine Einstellung möchte, die entweder mehr Unterstützung oder mehr Akku-Reichweite ermöglicht.
Hochpreisig bleibt weiterhin gefragt
Die aktuelle Konsumzurückhaltung sowie die wirtschaftlichen und politischen Krisen gehen auch am E-Bike-Markt nicht spurlos vorbei. Eine Kaufzurückhaltung ist spürbar, viele Lager sind voll und es wird von Seiten der Fachhändler, aber auch teilweise der Hersteller, mit Preisnachlässen beworben. Innovationen und technische Entwicklungen können helfen, die Verkäufe anzukurbeln. Qualität und Komfort sind dabei wichtige Verkaufsargumente. „Highend läuft in der Krise besser als die Mittelklasse und der Einstiegsbereich“, weiß Stevens-Experte Dohrmann. Finanzierungsmöglichkeiten wie Leasing, Abo oder Ratenzahlung machen die Anschaffung eines hochwertigen E-Bikes im Wert von mehreren tausend Euro interessant.
Das Fazit: Wer sich zur Fahrradsaison 2024 ein neues E-Bike kaufen möchte, hat die Qual der Wahl. Der E-Bike-Markt ist mittlerweile äußerst ausdifferenziert. Vom klassisch-komfortablen City-E-Bike bis hin zum sportlich-leichten E-Rennrad ist für jeden Typ etwas dabei.
Erst testen – dann kaufen
„Die Hersteller kommen mit sehr spannenden, innovativen Produkten auf den Markt, die neue Nutzergruppen erschließen werden“, prognostiziert Silas Furrer. Spannend dabei ist zu sehen, dass der Gepäcktransport eine wachsende Rolle spielt und das E-Bike, gerade durch Light-Modelle und Utility-Bikes, als Autoersatz im urbanen Raum stärker ins Blickfeld rückt. Das ist ein wichtiger Fingerzeig der Branche in Bezug auf die politisch angestrebte Verkehrswende.
Wichtig aber für Kaufinteressierte bleibt weiterhin: Sich vor dem Kauf mit dem Wunschrad auseinanderzusetzen und unterschiedliche Varianten zu testen. „Man muss differenzieren: Passt das Rad zu mir oder nicht“, rät Dohrmann und schiebt lächelnd hinterher: „Vielleicht wird man auch mit einem Biobike glücklich.“ So nennt man inzwischen Fahrräder ganz ohne elektrische Trittunterstützung.