Wenn Cosimo De Carlo an die Stadt der Zukunft denkt, verfinstert sich erst einmal seine Miene. Denn wenn das Weltwirtschaftsforum recht behält, dann leben im Jahr 2050 zwei Drittel aller Menschen in riesigen Megacities und wenn sich bis dahin nichts ändert, wird das Leben dort kein Spaß sein.
Der Grund: Auf fast jeden Haushalt kommt auch ein Auto, bisweilen sind es sogar zwei oder mehr. „Rund 90 Prozent der Zeit stehen diese ungenutzt in der Garage oder auf dem Parkplatz und nehmen nur Platz weg“, betont der Chef des Ingenieursdienstleisters EDAG Group. Zudem drohen in den Städten Dauerstaus, durch die es sowohl für Autos wie für Busse kein Durchkommen gibt.
Doch De Carlo hat eine Vision, wie sich dieser Stau auflösen könnte – und Gerhard Körbel soll diese für ihn umsetzten. Am Standort Fulda leitet der Luft- und Raumfahrtingenieur als Senior Project Manager Vehicle Engineering die Entwicklung des CityBots – eines hochautomatisierten Roboterfahrzeugs, welches das eigene Auto in der Stadt überflüssig machen und gleich auch noch die Nahversorgung und den kommunalen Dienst übernehmen könnte.
Bis zu zwölf Arbeitsstunden ohne Pause
Herzstück dieses integrierten Mobilitätssystems sind elektrische Kraftpakete, die kaum größer sind als ein Smart und dabei nur hüfthoch aufragen. Mit einem aufgeständerten Computerkopf am Bug sehen sie ein wenig aus wie große Ameisen in einem Science-Fiction-Film. Gespeist von Batterien mit einer Nettokapazität von 20 kWh für idealerweise mindestens zwölf Betriebsstunden, bis zu 25 km/h schnell und mit vier jeweils über 130 Grad einschlagbaren Rädern extrem wendig, sollen die EDAG-„Ameisen“ eines Tages durch die Städte surren und mit verschiedenen Anhängern und Aufbauten die unterschiedlichsten Jobs erledigen.
Mit einer Kabine groß wie ein VW Bus wird der CityBot zum People Mover oder Robotaxi, mit Pritsche zum Mülllaster, mit Kofferaufsatz zum Kurier für Post und Pakete. Der CityBot mäht auch selbständig große Rasenflächen, fegt die Straßen oder leert Müllcontainer. Und weil sich die Aufbauten wie Rucksäcke minutenschnell – und mittelfristig auch vollautomatsch – wechseln lassen, können die Robotermobile im Endeffekt 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche unterwegs sein. Sie würden damit nicht nur private Pkw ersetzen, sondern in der EDAG-Vision auch hunderte Fahrzeuge von Stadtwerkern und Dienstleistern. Und natürlich jede Menge an hochbezahltem Fachpersonal im klammen öffentlichen Dienst der Länder und Kommunen.
Avatar kommuniziert mit der Umgebung
Bis zu zehn Lidar-Augen, hochauflösende Kameras und Infrarotsensoren für den Nahbereich – das Sensorset kennt man von autonomen Autos. Doch weil der CityBot vollkommen unbemannt unterwegs ist, hat EDAG zusätzlich zum Autopiloten auch noch ein System entwickelt, über das die mobilen Einheiten mit ihrer Umgebung kommunizieren können: Es gibt große Displays an Front und Bug und der Sensorkopf, den sie Avatar nennen. Das Fahrzeug hat zudem ein Gesicht, das freundlich den Blickkontakt sucht, hören und sprechen kann. Und im Notfall kann sich ein Tele-Operator aufschalten, den Passagieren Rede und Antwort stehen oder den Bot ferngesteuert ans Ziel bringen.
Vor vier Jahren bei der Premiere auf der letzten IAA in Frankfurt noch eine kühne Vision und kaum mehr als ein Kunststoff-Modell, hat EDAG mittlerweile die ersten zwei funktionsfähigen Prototypen auf die Räder gestellt und ein halbes Dutzend Aufbauten dafür gebaut. Und parallel dazu haben sie in Fulda zusammen mit einer Handvoll Projektpartnern die Software dazu geschrieben, die den Einsatz koordiniert, die Fahrten organisiert und auch die Bezahlung der jeweiligen Dienstleistungen abwickeln könnte.
CityBots brauchen ihren eigenen Verkehrsraum
Zwar weiß auch EDAG-Chef De Carlo, dass das vollautonome Fahren auf Level 5 wegen der zahlreichen Zwischenfälle bei den Fahrten der Robotaxen der GM-Tochter Cruise in San Francisco gerade einen schweren Stand hat und dass die Industrie in den letzten zehn Jahren zwar viele großspurige Versprechungen gemacht, aber wenige davon erfüllt hat. Doch anders als die fahrerlosen Autos in San Francisco oder die teilautomatisierten Limousinen von BMW, Ford und Mercedes, die bei uns bislang nur durch den Stau fahren dürfen, will sich EDAG mit den CityBots vorerst nicht unter den fließenden Verkehr mischen.
Der CityBot braucht seinen eigenen Raum, sagt Projektleiter Körbel und spricht für den Anfang von separaten Fahrspuren oder besser noch von mehr oder minder geschlossenen, vielleicht sogar verkehrsberuhigten Zonen. Das macht die Arbeit des Autopiloten auf der einen Seite deutlich leichter. Doch dafür ist die Vermarktung umso schwieriger. Denn welche Stadt sollte von dem ohnehin schon knappen Verkehrsraum auch noch welchen für ein einzelnes, neues und erstmal zusätzliches Verkehrsmittel reservieren?
Barcelona hat Interesse
Natürlich kennt auch De Carlo diese Bedenken und glaubt nicht daran, dass es auf absehbare Zeit eigene CityBot-Spuren kreuz und quer durch Metropolen wie London oder Frankfurt gibt. Doch Barcelona hätte zumindest für einzelne Viertel bereits Interesse bekunden. Und vor allem in Asien entstehen ständig neue Städte wie auf dem Reißbrett, bei denen solche Lösungen von vorne herein mit eingeplant werden könnten, sagt De Carlo – von Gewerbegebieten, Flughäfen oder Veranstaltungsgeländen ganz zu schweigen.
Außerdem ist der EDAG-Chef davon überzeugt, dass die Zeit mittlerweile reif ist für Anwendungen wie den CityBot. Nicht nur, weil sie die Technik dafür – zumindest ihren eng eingegrenzten Szenarien – im Griff haben. Sondern vor allem, weil es mittlerweile dafür einen echten Bedarf gibt.
Erster Einsatz im Frankfurter Waldstadion
„Überall fehlt Personal“, sagt De Carlo, und der Stimmungswandel nach der Pandemie hat es nicht leichter gemacht: „Menschen bevorzugen Tätigkeiten, in denen sie ihre Kreativität und Stärken einbringen können.“ Seine Roboter dagegen mähen den Rasen auch bei Wind und Wetter und zur Not an Weihnachten, sie leeren ohne zu murren den Müll, schieben klaglos Nachtschichten und fragen weder nach Arbeitszeiten noch nach Work-Live-Balance.
Kein Wunder, dass schon beim Debüt der Studie die ersten Kunden auf die Messe kamen und lieber heute als morgen ihre Flotte bestellt hätten, erinnert sich Projektleiter Körbel. Natürlich hat der EDAG-Chef mit allen gesprochen. De Carlo kennt mittlerweile Dutzende Bürgermeister und die Chefs von Industriezonen, Flughäfen, Logistikparks und Messezentren. Doch bislang gibt es weder einen Business-Case noch ein Preismodell. Und auch noch keine Vorstellung davon, was ein einzelner Bot oder gar ein komplettes System samt Betriebszentrale und Steuersoftware mal kosten könnte.
Aber es gibt zumindest gibt es einen Plan, der bald von der Theorie- in die Praxisphase wechselt. Denn im neuen Jahr geht das Projekt in die öffentliche Erprobung und die CityBots müssen sich im Dienst des Fußballvereins Eintracht Frankfurt rund um das Waldstadion bewähren. Dort sollen sie das automatische Bewässerungssystem unterstützen, die Verkaufsstände mit frischer Ware versorgen, behinderte Besucher chauffieren und den Grünschnitt der Rasenwarte entsorgen. Allerdings erst einmal nur zwischen den Spieltagen und auch nur bis zum Sommer, wenn die UEFA das Stadion für die EM-Spiele übernimmt.
Perfekt für Flughäfen-Einsätze
Der nächste logische Entwicklungsschritt wäre für De Carlo der Einsatz der „Ameisen“ auf einem Flughafen. Schließlich sind dort allein auf dem Vorfeld je nach Flughafen bis 20.000 Fahrzeuge unterwegs, die problemlos auch ohne Fahrer ans Ziel kämen. Darüber hinaus kann durch die Modularität des Konzepts auch die Anzahl der Fahrzeuge in Summe reduziert werden.
Will EDAG deshalb jetzt gleich ein paar Tausend Bots bauen lassen und einen internationalen Großflughafen automatisierten? Sicher nicht, sagt De Carlo und favorisiert eine Politik der kleinen Schritte: „Lasst uns mit einfachen Anwendungen wie der Reinigung der Rollbahnen oder Transport von Personal anfangen. Und je mehr Module und Aufgabengebiete wir mit dem CityBots erschließen desto größer wird das Interesse.“ Die Technik müsse man erleben, um zu verstehen, wie die Fahrzeuge agieren und welches Potenzial in ihnen stecke, sagt der Deutschitaliener und zieht Parallelen zur Küche: „Der Appetit kommt bekanntlich beim Essen.“