Das Verdikt der Verflossenen ist eindeutig. „So ein E-Mini Cabriolet braucht kein Mensch!“ Dazu muss man wissen, dass die Lady früher statt eines deutschen Premium-Kombis einen Mini Cooper als Dienstwagen gewählt hatte – aber jetzt eine begeisterte Tesla-Model-3-Fahrerin ist. Nun kann man argumentieren, dass die Musk-Jünger ziemlich vernarrt in ihre Marke sind und daher wenig Fahrzeuge anderer Hersteller goutieren. Aber mit einer Reichweite von rund 491 Kilometer (mit dem 60 Kilowattstunden-Akku) haben die Tesla-Aficionados zumindest auf diesem Gebiet die Argumente auf ihrer Seite. Vor allem, wenn man sich vor Augen führt, dass der E-Mini mit einer Akku-Ladung nur 201 Kilometer weit kommt. Da liegen bisweilen die Tesla-Super-Charger-Tankstellen weiter auseinander.
Renaissance des Cabriolets
Nun ist aber so, dass ein Mini Cabrio Cooper SE nicht mit schnöden Fakten zu bewerten ist. Der deutsch-englische Flitzer ist ohnehin eine Einstellungssache. Den bewegt man wie einen Tesla aus Überzeugung. Auch wenn die ursprünglichen Attribute während der BMW-Ägide etwas verwässert wurden. Dennoch strahlt ein Mini immer noch mehr Charme aus als der US-Stromer, erst recht als Cabriolet. Zumal das batterieelektrische Oben-Ohne-Gefährt Teil einer Renaissance ist. Elektroauto bedeutet längst nicht mehr nur SUV – es gibt sie bald auch als Cabriolets. Der Polestar 6 ist ein schmucker Roadster (soll 2026 kommen), ebenso wie der MG Cyberster, der schon im kommenden Jahr in Europa angeboten werden soll. Und auch beim neuen Mini SE wird es eine Version mit versenkbarem Dach geben. Da kriegt die offene Ausführung des Fiat 500e also bald eine Reihe von Mitstreitern.
Wir freuen uns über den Trend wider dem elektrischen Stelzen-Einerlei und schwingen uns hinter das Lenkrad des Minis. Klar, das gefaltete Stoffdach erschwert den Blick nach hinten, das Infotainment ist in die Jahre gekommen und die Fahrassistenten sind eigentlich nicht der Rede wert. Aber bei dieser Fahrt geht es um keine Plus-Minus-Bilanz, sondern allein darum, wie es mit dem Spaß-Faktor aussieht.
Mini Cabriolet glänzt auf Landstraßen
Ok, Cabrio-Puristen werden den fehlenden Motor-Sound bemängeln. Das E-Gebimmel unterhalb von 30 km/h ist jetzt keine besonders animierende Soundkulisse. Aber im Stop-and-go-Geschiebe in Palma de Mallorca fällt die fehlende Untermalung ohnehin nicht sonderlich auf. Wir lassen uns Richtung Nordwesten treiben und schnell zeigt sich, dass der Mini-Stromer sich auf Landstraßen und weite Kurven heimisch fühlt. Das sofort parat stehende Drehmoment von 270 Newtonmetern verleiht dem Mini Cooper SE Cabrio eine ganz spezielle Souveränität.
Mit einem leichten Druck auf das Gaspedal werden die auf spanischen Straßen scheinbar unvermeidlichen Kleintransporter und die mallorcatypischen selbst ernannten Tour-de-France-Radler überholt. So schaut Gleiten aus. Auch ohne den sonoren Sound eines Reihensechs- oder Achtzylinderkraftwerks unter der Motorhaube. Das E-Cabrio entschleunigt, auch weil auf den kleineren Straßen die Geschwindigkeitsbegrenzung von 150 km/h sich nicht in dem Maße auswirken, wie bei einer Fahrt von München nach Hamburg.
100 Kilogramm Mehrgewicht
Weiter geht es über den hellen Asphalt vorbei an kleinen Mauern, Olivenbäumen, Zypressen, Zistrosen oder Jacaranda-Bäumen in den Dörfern nach Esporles, einer kleinen Gemeinde in einem Tal der Gebirgskette Serra de Tramuntana. Im Frühjahr sind die Hügel noch saftig grün und die Luft strotzt vor Sauerstoff. Jetzt türmt sich die Königsetappe vor uns auf. Der Coll de Sóller, ein Gebirgspass der sich zwischen den beiden pittoresken Bergmassiven von Alfabia und Teix von Meeresniveau auf eine Höhe von 497 Metern hinaufwindet. Wir lassen den modernen Tunnel links liegen und nutzen die traditionelle Passstraße Ma-11A mit ihrem 6,8 Kilometer langen Anstieg und Steigungen bis zu 17 Prozent, nicht ohne zuvor noch einen Blick auf die berühmten wilden Ziegen zu erhaschen.
Das ist die richtige Herausforderung für den Sport-Modus. Jetzt holt das System alles aus den 135 kW / 184 PS Elektromotor heraus und wuchtet das 1.545 Kilogramm schwere Cabrio den Berg hinauf. Eine Kurve folgt auf die nächste, das Auto kommt nicht zur Ruhe, bleibt aber souverän, auch wenn die engen Kehren nicht zwingend das optimale Habitat für das Stromer-Cabrio sind. Doch mithilfe des dicken Lenkradkranzes haben wir den Mini immer im Griff und meistern auch Asphaltwindungen mit geringem Radius. Dass der Oben-Ohne-Stromer rund 100 Kilogramm mehr wiegt als die Blechdach-Version und wird durch eine ausgewogene Fahrwerksabstimmung kaschiert, nur bei aufgebrochener Straßendecke und Schlaglöchern merkt man die straffere Einstellung der Federn und Dämpfer.
60.000 Euro für ein Sammlerobjekt
Wir haben uns für die stärkste Rekuperation entschieden und schaufeln so, wann immer es geht, Energie in die Speicher zurück, was sich vor allem bergab positiv auf den Ladestand der Batterie auswirkt. Mit ein bisschen Voraussicht kommt man so sowohl bei leeren Straßen als auch im urbanen Umfeld ohne das Bremspedal aus. Das klappt auch in der Küstenstadt Deià, in der weltberühmte Persönlichkeiten wie der unvergessene Schauspieler Peter Ustinov, der große spanische Maler Pablo Picasso oder britische das Musical-Genie Andrew Lloyd Webber ein Zuhause gefunden haben. Wir streben weiter dem Endpunkt unserer Tour entgegen. Am Ziel angekommen, weist der Bordcomputer einen durchschnittlichen Stromverbrauch von 17,9 kWh auf 100 Kilometern aus. Das kann sich sehen lassen. Weniger allerdings der Preis: 60.000 Euro ruft Mini für das Cabriolet auf. Durch die Limitierung auf 999 Exemplare ist wohl schon ein gewisser Sammlerwert eingerechnet.