Das Reizwort heißt E-Fuels: Die Europäische Union plant, ab 2035 auch Neufahrzeuge zuzulassen, die mit klimaneutralem Kraftstoff funktionieren. Ursprünglich sollten ab diesem Datum nur Pkw und Leichttransporter auf die Straße kommen, bei denen null Gramm Kohlendioxid aus dem Auspuff kommen. Die Mehrheit der Nationalstaaten aber hat beschlossen, dass E-Fuels eine Zukunft haben können. Und die meisten Menschen vermuten, dass so Verbrennungsmotoren verkauft werden sollen. Roland Gumpert dagegen denkt an Elektroautos.
E-Fuels im Elektroauto? Klingt paradox, ergibt aber Sinn. Für bestimmte Einsatzzwecke jedenfalls.
Roland Gumpert ist nicht irgendwer. Der heute 77-jährige Ingenieur war Sportchef von Audi in den wilden 80er Jahren und verantwortlich für etliche Rallye-Siege der Quattros. Er hat das Hypercar Apollo konstruiert und verkauft. Der V8 im Apollo hatte bis zu 633 Kilowatt Leistung – in alter Währung 861 PS. Inzwischen aber ist Gumpert vom Elektromotor überzeugt. Nur die Einschränkungen, die Traktionsbatterien mit sich bringen, kann und will er nicht hinnehmen.
Mit indirekter Methanol-Brennstoffzelle
Das Resultat ist der oder besser der Gumpert Nathalie. Ein Sportwagen mit vier Elektromotoren, die nah am Rad positioniert sind. Quattro modern gewissermaßen. Der Strom dafür kommt zwar aus der Traktionsbatterie mit 60 Kilowattstunden (kWh) Energieinhalt. Es gibt aber zwei Wege, wie er dort hineinkommt: Entweder konventionell per Ladekabel mit Wechsel- oder Gleichstrom aus dem Netz. Oder über eine indirekte Methanol-Brennstoffzelle.
Der Wasserstoff, den die Brennstoffzelle braucht, um Strom zu produzieren, wird nicht wie etwa beim Toyota Mirai in aufwendigen und sehr teuren Kohlefaser-basierten Drucktanks mitgeführt. Stattdessen haben die Konzepte von Roland Gumpert einen preisgünstigen Kunststofftank fürs Methanol. Dieses kann so schnell wie jeder andere Flüssigkraftstoff und ohne besondere Vorkehrungen getankt werden.
Traktions- und Pufferbatterie zum Rekuperieren und Boosten
An Bord des Elektrofahrzeugs wird aus dem Methanol der Wasserstoff abgespalten. In der Fachsprache: Der Wasserstoff wird reformiert. Die Hochtemperatur-Brennstoffzelle kann im Leistungsbereich von fünf bis 25 Kilowatt modulieren – es muss lediglich genug Power vorhanden sein, um die Dauerleistung für die Spitzengeschwindigkeit bereitzustellen. Und die ist physikalisch gering.
Die Traktionsbatterie ist also ein sehr großer Pufferspeicher für Energie und Leistung. Sie kann hohe Strommengen rekuperieren und boosten. Und sie ermöglicht es, trotz der geringen Leistung aus der Brennstoffzelle kraftvoll zu beschleunigen: Nathalie soll in 2,5 Sekunden auf 100 km/h sein und eine Reichweite von 820 Kilometern haben.
1.000 Kilometer im Transporter
Kurze Tankzeit, hohe Reichweite. Darum geht es. Im Sommer 2022 hat Gumpert einen weiteren, praxisnahen Anwendungsbereich gezeigt: Er ist mit einem umgebauten MAN TGE-Transporter (gehört zur Sprinter-Klasse) 1.000 Kilometer am Stück gefahren.
Elektrofahrzeuge mit indirekter Methanol-Brennstoffzelle sind auch vergleichsweise leicht, weil die Traktionsbatterie wie beschrieben ein Pufferspeicher und nicht für die maximale Reichweite ausgelegt ist. Eine schwere Lkw-Zugmaschine etwa könnte mit 100 Kilowattstunden auskommen, wo sonst 1.000 kWh Speicherkapazität plus entsprechend lange Ladezeiten notwendig sind.
Allerdings wurde dieser Antrieb in Europa bis vor Kurzem nicht ausreichend in Betracht gezogen. Einerseits ist die Kombination schlüssig und fast genial: Eine relativ kleinen Traktionsbatterie zum Fahren, für die Rekuperation und zum Boosten. Dazu eine Brennstoffzelle, die den Wasserstoff aus Methanol gewinnt. Andererseits hatte der ursprünglich vorgesehene CO2-Flottenmechanismus der Europäischen Union das Aus solcher Fahrzeuge vorgesehen.
Fehler beim CO2-Mechanismus
Der Grund ist ein Fehler im Mechanismus der EU: Er berücksichtigt ausschließlich die Tailpipe Emissions, also das CO2, das direkt auf dem Laborprüfstand ausgestoßen wird. Ab 2035 wären also nach dem anfänglichen Plan lediglich drei Antriebe zulassungsfähig gewesen: Erstens Batterie-elektrische. Zweitens Brennstoffzellen-elektrische mit Wasserstofftanks. Und ja, drittens auch Wasserstoff-betriebene Verbrennungsmotoren, weil die zwar Stickoxide, aber eben kein direktes CO2 emittieren. Dass bei der Produktion von Strom und Wasserstoff Kohlendioxid frei gesetzt werden kann, war und ist dem Gesetzgeber egal.
Neu ist nun, dass außerhalb dieses Mechanismus auch Fahrzeuge mit E-Fuels zulassungsfähig werden sollen. Gemeint sind damit Kraftstoffe, die mit Strom aus Sonne und Wind gewonnen werden und nicht solche aus Pflanzen wie Ethanol.
Das geht so: Zuerst wird mit dem Grünstrom per Elektrolyse Wasserstoff produziert. Durch die Anlagerung von CO2 (Sabatier-Prozess) entsteht Methan. Und hieraus lassen sich in unterschiedlichen Verfahren nahezu alle Kohlenwasserstoffverbindungen bauen, was bei Methanol einfacher geht als bei E-Benzin oder E-Kerosin.
Ein Cent pro Kilowattstunde
Visionäre sprechen sogar von einer kommenden Methanol- statt von einer Wasserstoffwirtschaft. Gemeint ist fast das Gleiche, nur dass der im Methanol gespeicherte Wasserstoff sehr leicht zu transportieren ist. Der niederschwellige Transport ist der Schlüssel.
Denn so viel ist klar: In Deutschland ist die Produktion von E-Fuels wirtschaftlich praktisch ausgeschlossen. Zu hoch sind hier die Gestehungskosten des Stroms. Und noch viel höher sind die Steuern und Abgaben darauf.
Anders sieht es in anderen Weltregionen aus. In Chile zum Beispiel, wo ein internationales Konsortium unter Beteiligung von Porsche und zusammen mit Siemens Energy mit Windkraftanlagen grünes Methanol für den Motorsport produziert. Oder in den Maghreb-Staaten Nordafrikas und dem mittleren Osten: Strom aus Solaranlagen kostet in Marokko, Tunesien, Saudi-Arabien oder Dubai nur rund einen Cent pro Kilowattstunde. Das bedeutet nicht weniger, als dass E-Fuels perspektivisch auch bei uns konkurrenzfähig sein könnten. Der Wirkungsgrad auf diesem Pfad ist zwar deutlich geringer, aber der spielt unter den Bedingungen keine Rolle. Und die meisten Menschen interessiert am Ende ohnehin nur der Preis ihrer persönliche Mobilität.
In China längst erlaubt
So eröffnet der Beschluss der Mehrheit der Nationalstaaten in der Europäischen Union, Fahrzeuge mit E-Fuels nach 2035 zulassungsfähig zu machen, durchaus eine Alternative für die Elektromobilität: Neben den Batterie-elektrischen Fahrzeugen, die den Markt wahrscheinlich dominieren werden, könnte es als reichweitenstarke Alternative auch jene mit einer Brennstoffzelle und E-Methanol im Tank geben.
Bei nüchterner Betrachtung wird der Strommix im Jahr 2035 und in vielen Jahren danach ohnehin nicht komplett CO2-frei sein. Weder in Deutschland nicht noch in der Gesamtbetrachtung der Europäischen Union. Mit der Konsequenz, dass ein mit klimaneutralem e-Methanol betriebenes Elektroauto weniger CO2 emittieren würde als eines, das mit Strom aus dem Netz fährt.
Roland Gumpert freut sich jedenfalls über die neue Perspektive. Er hatte sich längst China zugewandt: Dort zählt sein Konzept schon heute zu den Nullemissionsfahrzeugen. Vielleicht bekommt es aber auch bei uns noch eine Chance. Das Rennen ist noch längst nicht gelaufen.