Das Geschäft mit Pedelecs, Fahrrädern mit elektrischen Hilfsantrieben, brummt europaweit. Nach Angaben des Zweirad-Industrie-Verbands (ZVI) ist der Absatz der Elektroräder in Deutschland vergangenes Jahr um 43,4 Prozent auf 1,95 Millionen Stück gestiegen. Der Anteil der E-Bikes am Gesamtfahrradmarkt beträgt mittlerweile 38,7 Prozent.
Einer der Profiteure der Entwicklung, wahrscheinlich der größte, ist Bosch e-Bike-Systems. Das 2009 gegründete Unternehmen ist weltweit einer der führenden Hersteller von Antriebssystemen für E-Bikes. Fast 100 Fahrradmarken vertrauen auf die Antriebe der Active-, Performance- oder Cargo- Line von Bosch. Seit dem vergangenen Jahr ist die Radsparte des Autozulieferers ein eigenes Geschäftsfeld.
Geführt wird Bosch e-Bike-Systems seit 2012 von Claus Fleischer. Der 53-Jährige Maschinenbau-Ingenieur aus Bad Kreuznach ist seit mehr als 20 Jahren ein enthusiastischer Mountainbiker und Rennradfahrer mit einem besonderen Faible für den Bergsport. In einem Video-Interview sprach EDISON mit ihm über die Faszination E-Bike, den Radverkehrsplan der Bundesregierung und neue Trends im Markt.
Hallo Herr Fleischer, Deutschland ist fest im Griff von Corona, aber das Geschäft mit E-Bikes boomt – obwohl für die Räder Preise von bis zu 10.000 Euro und sogar mehr aufgerufen werden. Wie erklären Sie sich das?
Ich will das gar nicht als Boom bezeichnen, sondern als nachhaltigen gesellschaftlichen Trend, der sich schon fünf bis acht Jahre lang abzeichnet. Die Menschen fahren schon immer gerne Fahrrad. Und mit dem E-Bike nehmen wir ihnen viele Ausreden, warum sie gerade nicht radeln können oder wollen – weil entweder die Strecke zu lang, zu steil ist oder weil zu viel Wind weht. Diese Ausreden gelten nicht mehr – mit dem Ergebnis, dass die Menschen heute öfter und länger Rad fahren.
Es fällt auf, dass sich längst nicht mehr nur ältere Menschen ein E-Bike zulegen.
Die Zielgruppe ist in der Tat über die Jahre immer jünger geworden. Bei der Gründung von Bosch eBike Systems 2009 hatten wir uns vorgenommen, den Elektroantrieb in alle Altersgruppen und Lebensbereiche zu tragen. Um von dem Senioren-Image wegzukommen, mussten die E-Bikes sportlicher, stylisher, schöner werden. Zusammen mit den Fahrradherstellern ist uns das gelungen: E-Bikes schaffen sich heute auch 20-Jährige an. Und es gibt sogar schon Pedelecs für Jugendliche.
Trotzdem überrascht mich der aktuelle Run auf die E-Bikes. Sie nicht?
Als die Corona-Pandemie im letzten Jahr für einen Lockdown sorgte und es erstmals Reiseverbote gab, haben sich in der Tat viele ein E-Bike zugelegt. Das war für die Fahrradbranche eine Sondersituation, weil das Geschäft stark saisonal ist – gekauft wird normalerweise im Frühjahr und im Frühsommer. Vergangenes Jahr hatten wir da ausgerechnet den Lockdown. Anschließend entschieden viele Familien, die Sommerferien in der Heimat zu verbringen und die mit E-Bikes zu erkunden.
Mit dem Ergebnis, dass 2020 über fünf Millionen Fahrräder verkauft wurden, rund zwei Millionen davon mit elektrischem Hilfsantrieb. Geht 2021 die Rekordfahrt weiter?
Davon gehen wir aus. Wir haben jetzt schon längere Liefer- und Wartezeiten im Fahrradhandel – was eine Folge der erhöhten Nachfrage im vergangenen Jahr ist. Wir haben in der Branche eine angespannte Liefersituation an den Kapazitätsgrenzen wahrscheinlich bitte Mitte nächsten Jahres.
Wie kommt das?
Da kommen drei Sachen zusammen: Eine erhöhte Nachfrage, begrenzte Produktionskapazitäten und Störungen in der Logistikkette. Letztes Jahr war aufgrund der überhöhten Nachfrage die ganze Pipeline leer – alle Händler waren ausverkauft. Und um die Pipeline wieder zu füllen und gleichzeitig die erhöhte Nachfrage zu bedienen, musste die Produktion in den Werken erhöht werden. Aufgrund der Reisebeschränkungen war das nicht einfach. Die Werke der Fahrradhersteller und -zulieferer sind bekanntlich über die ganze Welt verteilt, viele mechanische Fahrradkomponenten kommen aus Asien, aus Taiwan, Vietnam und Kambodscha. Seit über einem Jahr konnte aber niemand mehr reisen und somit konnten auch nicht genügend neuen Linien aufgebaut werden. Und dann kamen noch einige Desaster dazu.
Was für Desaster?
Dass Elektronikbauteile plötzlich überall sehr gefragt waren. In der Autoindustrie, aber auch in der Fahrradindustrie. Zudem legte ein Blizzard in Texas eine Fertigung lahm und ein Feuer eine Fertigung in Japan. Und obendrauf kam dann noch ein Containerschiff, das den Suez-Kanal blockierte. Das alles waren Ereignisse, die noch on Top kamen. Die Fahrradhersteller kämpfen deshalb aktuell um jedes Fahrrad. Denn Fahrräder werden nach Stücklisten produziert. Wenn eine Komponente fehlt, kann das Rad nicht ausgeliefert werden. Alle Hersteller, auch wir, haben die Lagerbestände erhöht. Trotzdem fehlt immer wieder das falsche Teil. Für den Endkunden ist es natürlich enttäuschend.
Bosch hat sein Angebot an E-Bike-Antrieben sukzessive ausgebaut und mittlerweile, wenn ich richtig gezählt habe, elf Varianten im Programm.
Sie haben richtig gezählt. Zum Teil sind es Leistungsvarianten für unterschiedliche Anwendungszwecke mit schwächerer Unterstützung wie zum Beispiel für City Bikes und stärkerer Unterstützung etwa für Cargo- und Mountainbikes. Und dann gibt es noch Software-Varianten für unterschiedliche Charakteristika und Anwendungen wie etwa Naben- oder Kettenschaltungen. Einige Nabenschaltungen sind nicht so belastbar wie Kettenschaltungen, das steuern wir dann über die Software
Sie reagieren damit auf verschiedene Einsatzgebiete der Antriebe?
Ja. Bis auf BMX-Räder und Kinder-Räder ist ja heute praktisch jede Fahrradgattung elektrifizierbar. Damit muss das Portfolio wachsen. Wir bieten dafür eine Art Lego-Baukasten für Antriebe, Batterien, Anzeige- und Bedieneinheiten an, aus dem sich der Fahrradhersteller seine Modelle zusammenstellen kann. Damit kann man schnell einen neuen Fahrradtyp elektrifizieren. Wir gehen davon aus, dass sich das Angebot in Zukunft noch weiter auffächern wird. Wir haben mit Antrieben für City-, Touring- und Trekking-Bikes angefangen, mit Tiefeinsteigern und Gepäckträger-Batterien für eher ältere Menschen. Heute gibt es Antriebe für Mountainbikes, die auch in den Alpen oder bei Wettkämpfen eingesetzt werden – da braucht es andere Leistungsparameter und eine höhere Robustheit.
Die Speed-Varianten für S-Pedelecs, vermute ich mal, läuft am schlechtesten?
In punkto Fahrgeschwindigkeit sicher nicht.
Meine Frage bezog sich auf den Absatz.
Die Marktdurchdringung ist in der Tat in dem Segment am schlechtesten. Das liegt an der Gesetzgebung und Regulierung in Deutschland.
Wann fällt denn bei E-Bikes das Speedlimit von 25 km/h?
Wenn die Limitierung von 25 km/h fiele und das Tempo angehoben würde, dann würden die Regeln für Kleinkrafträder gelten und das Pedelec 25 wäre nicht mehr dem konventionellen Fahrrad gleichgestellt. Dann wären ein Helm und eine Versicherung verpflichtend und man dürfte die Radwege nicht benutzen. Diese Regulierung– man kann das auch Überregulierung nennen – gilt momentan auch für Speed-Pedelecs – und macht sie somit unattraktiv.
Im zweiten Teil des Interviews erklärt Claus Fleischer, warum der Bau neuer Radwege in Deutschland so lange dauert – und warum Wanderer in den Alpen keine Vorrechte genießen.