Aller guten Dinge sind zwei! So heißt es zumindest bei Leapmotor. Das chinesische Start-up will mit einem BEV-Duo, bestehend aus dem preiswerten Kleinwagen T03 und dem Mittelklasse-SUV C10, in Europa Fuß fassen. Ein Vorhaben, mit dem sich die großen Autobauer aus dem Reich der Mitte derzeit schwer tun. Fragen Sie mal bei BYD und Great Wall Motor nach. Die hatten allerdings auch nicht den Stellantis-Konzern an ihrer Seite.
Den T03 haben wir bereits unter die Lupe genommen, jetzt ist das SUV C10 an der Reihe. „Das ist Familienauto, das alle Leapmator-Technologien vereint“, sagt Leapmotors Produktplaner Zhong Tianyue und fügt dann lächelnd hinzu: „Alle wichtigen Technologien machen wir übrigens selbst.“ Das Konzept, möglichst viel selbst herzustellen und eine hohe Fertigungstiefe zu erzielen, ist sicher kein falsches und auch von anderen chinesischen Autobauern wie Great Wall Motor praktiziert. Das senkt die Kosten und reduziert die Abhängigkeit von Lieferketten, was in Zeiten volatiler Versorgungsketten sicher keine schlechte Sache ist. Entsprechend selbstbewusst tritt der chinesische Manager auch auf.
„Unsere Elektronik-Architektur im C10 nutzt vier Domains. Die deutschen Automobilhersteller versuchen es, bekommen es aber nicht hin“, schmunzelt Tianyue und verweist im gleichen Atemzug auf die Vorteile dieses Konzepts. Zum Beispiel haben die Asiaten die Software in einzelnen Schichten aufgebaut. So können Probleme schneller behoben werden. „Falls Sie einen Fehler finden und wir wirklich hart arbeiten, ist der Fehler schon behoben, bevor Sie den Artikel veröffentlichen“, trommelt Tianyue eine Kampfansage heraus. Dazu später mehr.
Viel Aufwand für hohe Laufruhe
Und weil der Produktstratege gerade so in Geberlaune ist, knöpft er sich die deutschen Hersteller gleich weiter vor. Diesmal ist München dran: „Wir haben im C10 extrem leise Elektromotoren und drücken damit den Geräuschpegel auf 76 db(A). Das ist leiser als die deutschen Premiummodelle, auch die von BMW.“ Leapmotor hat 40 Akustikmaßnahmen installiert, damit auch im Innenraum möglichst viel Ruhe einkehrt. Soviel lässt sich jetzt schon sagen: Leise geht es im Leapmotor wirklich zu. Inwieweit der chinesische Stromer die deutsche Konkurrenz aussticht, werden Messungen zeigen. Stolz sind die Chinesen auch auf die Sitzbezüge, die so weich sein sollen, dass selbst ein „Baby-Popo“ nicht schmerzt. Zudem sind die Stoffe auch noch nach dem Öko-Tex Standard 100 zertifiziert.
Genug der Vorrede. Schauen wir uns zu zunächst die Maße an: Mit einer Länge von 4,74 Metern ist der Stromer ein Mittelklasse-Fahrzeug, das vor allem im Revier des Tesla Model Y wildern will – und sich beim Bedienkonzept klar an dem US-Modell orientiert. Das wird schon beim Einsteigen deutlich. Das Cockpit ist in bester Tesla-Manier auf das Notwendigste reduziert. Reichlich Dreh- und Druckknöpfe finden sich nur am Lenkrad. Das Display für die Fahrinformationen dahinter misst 10,25 Zoll und der zentrale Touchscreen für die Steuerung des Infotainment-Systems 14,6 Zoll. Sonst findet man keine analogen Bedienelemente. Das sieht gut aus und ist für jeden Spartaner sicher ein Fest.
„Sprungwagen“ hüpft über Unebenheiten
Beim Betätigen der Fensterheber fällt auf, dass die Richtung vertauscht ist. Schiebt man den Hebel nach vorne, senkt sich das Fenster, zieht man ihn nach hinten, fährt das Glas nach oben. Anders als man es in Europa gewohnt ist. Auch die Klimaautomatik schaffte es während der gesamten Testfahrt nicht, die gewünschte Temperatur von 21 Grad zu halten. Zeitweise blies ein starker kalter Luftzug auf die Beine der beiden Insassen vorne. Auch das Navigationssystem agiert bisweilen träge und gibt die Anweisungen zu spät. Da müssen die von Zhong Tianyue so hochgelobten chinesischen Techniker noch einmal nachsitzen. Also ist auch bei Leapmotor nicht alles Gold was glänzt.
Leapmotor heißt so viel wie „Sprungwagen“. Und der C10 trägt den Namen nicht umsonst. Das Fahrwerk, merken wir schnell, ist auf Komfort getrimmt, was prinzipiell nichts Schlechtes ist. Zumal der C10 ja ein Familienauto sein soll. Im Detail ist das Fahrwerk allerdings unharmonisch: Weil die Federn straff (der C10 wiegt immerhin 1.980 Kilogramm) und die Dämpfer weich sind, wippt die Karosserie beim Überqueren von Unebenheiten nach. Dass die Lenkung sehr indirekt arbeitet, macht die Sache nicht besser.
Laden mit maximal 84 Kilowatt
Immerhin stimmt die Antriebsleistung von 218 kW oder 296 PS. Selbst im Eco-Fahrmodus geht es ordentlich voran. Die anderen Einstellungen „Comfort“ und „Sport“ unterscheiden sich vor allem im Ansprechverhalten des Antriebs. Der Leapmotor C10 beschleunigt in 7,5 Sekunden aus dem Stand auf 100 km/h und erreicht eine Höchstgeschwindigkeit von 170 km/h.
Wir waren meistens im Komfortmodus unterwegs und kamen auf einen Durchschnittsverbrauch von 18,8 Kilowattstunden pro 100 Kilometer, genau eine kWh/100 km weniger als im Datenblatt steht. Die Batterie hat eine Kapazität von 69,9 Kilowattstunden, was für 420 Kilometer (WLTP-Zyklus) reichen soll. Das ist kein überragender Wert, aber in Ordnung. Allerdings sollte man die Reichweite nur ausreizen, wenn am Zielort Schnellladesäule steht. Denn die Ladeleistungen sind, gelinde gesagt, unterirdisch: An einer DC-Stromtankstelle werden maximal 84 kW aufgenommen, an einem AC-Ladepunkt maximal 6,6 kW. Das können die deutschen Premiumhersteller definitiv besser. Und nicht nur die!
Hier geloben die Chinesen Besserung. Während der aktuelle C10 noch die 400-Volt-Architektur nutzt, ist eine 800-Volt-Variante schon in Vorbereitung. Warum bringt Leapmotor dann nicht gleich die Top-Technik in die anspruchsvollen Märkte nach Europa? Der Grund dürfte der Preis sein. Der Leapmotor C10 kostet bei uns mindestens 36.400 Euro, die Top-Ausstattung „Design“ 1.500 Euro mehr. Und man bekommt ähnlich wie beim Kleinwagen T03 wirklich viel Ausstattung fürs Geld. Zum Vergleich: Für das Model Y ruft Tesla aktuell mindestens 44.990 Euro auf. Allerdings mit einer guten Lade-Infrastruktur, etwas größerer Reichweite (455 Kilometer) und deutlich kürzeren Stromtank-Zeiten: Der Akku ist hier spätestens nach 20 Minuten wieder zu 80 Prozent gefüllt.
Unterm Strich ist der C10 ein weiteres beliebiges SUV aus dem Reich der Mitte mit viel Platz, gutem Infotainment und vielen Assistenzsystemen, das sich seine Marktanteile über den (noch) sehr günstigen Preis sichern will.