Lex Hoefsloot strahlt über das ganze Gesicht. Je gleißender die Sonne vom Himmel brennt, desto breiter wird sein Grinsen. Und der Holländer denkt nicht im Traum daran, sich in den Schatten zu stellen. Schließlich ist er genau deshalb in die Gluthitze von Tudela nach Spanien gekommen und hat sich zudem den längsten Tag des Jahres dafür ausgesucht, an dem der Planet hier gerne mal 15 Stunden vom Himmel brennt. Denn mit seinen gerade 31 Jahren ist er der Chef des holländischen Startups Lightyear und bittet zur Jungfernfahrt im ersten serienreifen Solarauto der Welt.
„Zero“ heißt die vornehme Flunder im Format von Lucid Air und Tesla Model S, die das Elektroauto mindestens eine Generation weiterbringen will, weil Ladestopps in der Vorstellung der Macher künftig nur noch alle 1000 Kilometer nötig werden. Profitieren werden davon allerdings erst einmal nur ein paar Auserwählte.
Zwar träumt Hoefsloot schon von einem Massenmodell im Format von VW ID4 oder Fisker Ocean für etwa 30 000 Euro, das zur Mitte der Dekade in sechsstelligen Stückzahlen starten soll. Doch fürs erste kostet der Sonnenwagen, den Valmet in Finnland weitgehend von Hand zusammenbaut, mindestens 297.500 Euro und wird höchstens 946 Mal produziert – weil das die ersten drei Stellen der Lichtgeschwindigkeit sind, erläutert Technikchef Arjo van der Ham mit einem Augenzwinkern.
Alles ist auf Effizienz getrimmt
Dafür gibt es allerdings auch ein Technologiepakt, das selbst ein zukuntfsgewandtes Forschungsauto wie den Mercedes EQXX ziemlich als aussehen lässt. Denn mit den in unseren Breiten im Schnitt 40 bis 50 Sonnen-Kilometern pro Tag, die der Lightyear mit seinen fünf Quadratmetern Solarzellen vom Himmel holt, wollten sich die Entwickler nicht begnügen. Sondern ihr Ziel war maximale Effizienz, der sie so ziemlich alles untergeordnet haben.
Das beginnt beim Interieur, das bei über fünf Metern Länge zwar geräumig ist und bequemen Platz bietet für vier Erwachsene und 640 Liter Gepäck. Es spart sich allerdings das bei Autos dieser Preisklasse standesgemäße Leder ebenso wie die üblichen Bildschirmlandschaften. Und auch auf Spielereien wie eine Ambientebeleuchtung oder Raumbeduftung müssen die Insassen verzichten. Zudem hocken sie auf ganz gewöhnlichen Sitze ohne Klimatisierung und Massagefunktion. Und das Panoramadach verbietet sich natürlich von selbst, wenn die solare Nutzfläche maximiert wird.
Das gilt aber auch für die Aerdynamik, die mit voll verkleideten Reifen, geschlossenen Radhäusern am Heck, Kameras statt Spiegeln und einer schlanken Grundform auf einen cw-Wert von 0,19 kommt und damit den EQS als aktuellen Windkanal-Champion unter den Serienautos vom Thorn holt. Und es gilt für das Gewicht, das mit nicht einmal 1,6 Tonnen jede konventionelle Limousine zum Panzer stempelt – von elektrischen Konkurrenten vom Schlage eines BMW i7 oder Lucid Air ganz zu schweigen. Aber es gilt auch für den Antrieb selbst, der auf neue Inverter setzt und die Motoren zur Reduzierung der Antriebsverluste von den Achsen erstmals in die Radnaben verlegt.
Erster Stromer mit Radnabenmotoren
Vor allem aber merkt man die Sparanstengungen der Entwickler an den Fahrleistungen, die so gar nichts gemein haben mit den hochgezüchteten Stromern, die sonst in dieser Preisklasse angeboten werden: Die vier Motoren leisten zusammen kaum mehr als 132 kW (180 PS). Trotz mehr als 1.700 Nm Drehmoment gönnt sich der Lightyear stolze zehn Sekunden für den Sprint auf Tempo 100. Und wer bei diesem Auto auch nur annähernd Lichtgeschwindigkeit erwartet, dem steht die Enttäuschung ins Geschicht geschrieben, wenn schon bei 160 km/h wieder Schluss ist.
Das ist auch der mit Abstand größte Unterschied, den man bei der Jungfernfahrt des Lightyear Zero durch die spanische Hochebene spürt. Wo etwa der Lucid bei der Beschleunigung jedem Lamborghini die Schau stiehlt, lässt es der Lightyear eher gemächlich angehen und rollt entsprechend sanft an. Das gibt dem Fahrer, der gefühlt noch tiefer sitzt als etwa im Porsche Taycan und zu den Insassen eines EQS weit aufschauen muss, die Gelegenheit für einen detaillierten Blick auf den Bildschirm des Bordcomputers, der in Echtzeit neben dem Verbrauch auch den Gewinn an Solarstrom anzeigt und das Auto umso gelber einfärbt, je mehr Energie die über die vielen Hundert Zellen auf dem Blech liefern. Dass man dafür auf die Heckscheibe verzichten muss und die Welt hinter dem Auto nur mit einer Kamera sieht, ist ein zumutbares Opfer.
Minutenlang einfach dahinrollen
Dazu kommen natürlich noch ein paar Eigenheiten, die alle Prototypen haben. So stecken zwischen den veganen Polstern noch Zierkonsolen aus dem 3D-Drucker, die erst noch gegen das geplante Rattan-Holz ersetzt werden müssen. Der Wind pfeift noch überraschend laut ums Gebälk und das Lenkrad ist noch viel zu schwergängig, als dass der Ritt auf dem Lightyear ein leichter wäre. Doch immerhin ist das Fahrwerk schon ziemlich komfortabel und bügelt die allermeisten Widrigkeiten aus.
Das klappt selbst in spanischen Dörfer, wo schon seit Jahrzehnten keine Straßenbautrupps mehr vorbei gekommen sind. Im Gewirr der Nebenstraßen rekuperiert der Lightyear bei langsamem Tempo so stark, dass die Bremse meistens Pause hat. Aber mit steigender Geschwindigkeit lässt er umso mehr Freilauf zu. Und wer die Regeneration ganz abschaltet, der spürt sofort, wie effizient der Wagen ist und rollt Minutenlang im Leerlauf dem Horizont entgegen, ohne dass die Geschwindigkeit nennenswert abnimmt.
Wie gut die Rechnung der Solar-Pioniere dabei tatsächlich aufgeht, beweist der Blick ins Datenblatt: Der Verbrauch sinkt so auf nur 10,5 kWh pro 100 Kilometer. Der Lightyear 0 liegt damit noch unter dem Niveau elektrischer Kleinwagen vom Schlag einer Renault Zoe oder eines Opel Carsa-e. Schon ohne die Sonne im Tank fährt der Zero damit im WLTP-Zyklus mehr als 600 Kilometer weit, rechnet der Technikchef vor. Weil das dem durchschnittlichen Mitteleuropäer für mehr als eine Woche reicht, kommen in dieser Zeit noch einmal über 300 Sonnen-Kilometer dazu. Unter Strich kalkuliert Lightyear mit einer Alltagsreichweite von 1000 Kilometern.
Solardach macht Ladesäulen (fast) überflüssig
Damit entlastet der Zero neben dem Budget, der Zeitplanung und dem Gewissen der Kunden auch die öffentliche Infrastruktur: „Denn wenn Elektroautos seltener an die Steckdose müssen, brauchen wir auch nicht so viele Ladesäulen und können mit den vorhandenen Säulen mehr Fahrzeuge versorgen“, argumentiert van der Ham.
Angenehmer Nebeneffekt: Weil der Zero so sparsam ist, reicht ihm eine mit 60 kWh Speicherkapazität vergleichsweise kleine Batterie, was Ressourcen schont, das Fahrzeuggewicht niedrig hält und für eine gute CO2-Bilanz sorgt. Und weil an der Steckdose mehr Kilometer pro Minute rumkommen, können sich die Holländer auch einen ebenso schweren wie teuren Lader sparen und sich zu Hause mit maximal 22 oder öffentlich mit gerade mal zu 60 kW Ladeleistung bescheiden.
Perfekte Aerodynamik, eine strenge Diät, minimales Gewicht, maximale Effizienz und die Nutzung des Solarenergie – es gibt tatsächlich auffallend viele Gemeinsamkeiten zwischen dem Lightyear Zero und dem Mercedes EQXX.
Studentenwerk übertrumpft Daimler
Doch an drei wesentlichen Punkten unterschieden sich die beiden extravaganten Stromsparer ganz entscheidend: Der Lightyear wurde von ein paar Studenten entwickelt, die vor zehn Jahren ihr erstes Solarrennen in Australien gewonnen, vier Jahre später ihre Firma gegründet, mittlerweile 150 Millionen Euro eingesammelt und 500 Mitarbeiter angestellt haben, die binnen drei Jahren einen Prototypen fertig hatten – und nun bereits sind für die Serienproduktion.
Hinter dem Mercedes dagegen stehen neben Zigtausenden Ingenieuren aus Sindelfingen auch noch die Renn-Wissenschaftler aus dem Formel 1-Team. Und während die Schwaben ein millionenschweres Einzelstück auf die Räder gestellt hat, kann man den Zero tatsächlich kaufen – selbst wenn der mit 297.500 Euro alles andere als ein Schnäppchen ist. Und während der EQXX wohl bald auf Nimmerwiedersehen im Museum verschwinden dürfte, ist ein Wiedersehen mit dem Zero garantiert, verspricht Hoefsloot: „Wer es ernst meint mit dem Sonnenstrom, der versteckt das Auto nicht in der Garage, sondern parkt es ausschließlich auf der Straße.“
Der EQXX hat auf seiner letzten mir bekannten Fahrt von Stuttgart mach Silverstone (ca. 1200km) einen Durchschnitts Verbrauch von 8,3 kwh gehabt und der EQXX hat dabei auch noch richtige Außenspiegel wobei ich nicht weiß wieviel man durch Kamera und Display gegenüber klassischen Außenspiel spart
Die Sonne ist ein Stern…
10.5 kWh / 100 km sind schon eine Ansage. Die mindestens 297.500 Euro aber auch. Spannend finde ich die Radnabenmotoren. Richtig aufgehängt sollte ein Fahrzeug mit Radnabenmotoren auf der Stelle wenden können.
Aber dann bleibe ich noch ein wenig bei meiner koreanischen Reissschüssel. Die kostete ein Sechstel – benötigt als Verbrenner Umbau 13.4 kWh auf 100 km und hat uns gerade von Zürich nach Lissabon und zurück getragen ….