Ist ein Porsche noch ein Porsche, wenn kein Boxermotor mehr in seinem Heck arbeitet? Oder wenn das Fahrzeug als Sport Utility daher kommt? Solche Fragen werden in der Community immer wieder heiß diskutiert, wenn die Stuttgarter ein neues Fahrzeug vorstellen, das auf den ersten Blick so gar nicht in das Weltbild der „gusseisernen“ Porsche-Fans passt. Ein Neunelfer mit einem Boxermotor, der statt mit Luft mit Wasser gekühlt wird? Bäh, sagten die Fans der Marke, als 1997 der 911 der Baureihe 996 vorgestellt wurde. Ähnliche Reaktionen erfuhr 2002 der Porsche Cayenne der ersten Generation. Der mächtige, 4,80 Meter lange und über zwei Tonnen schwere SUV hatte auf den ersten Blick so gar nichts mit den leichten Sportwagen der Wirtschaftswunderjahre gemein. Schon gar nicht in der Version mit Dieselmotor. Igitt.
Einen noch größeren Frevel beging Porsche nach Ansicht vieler Fans mit dem ersten Elektroauto der Neuzeit – dem Taycan. Die Aufregung legte sich erst, als erste Videos von den spektakulären Sprints der viertürigen Sportlimousinein den Sozialen Medien auftauchten und das Modell auf der Nordschleife etliche Rundenrekorde aufstellte. Ein früherer Rallye-Weltmeister und Porsche-Markenbotschafter blieb trotzdem auf Distanz: Nach seiner Auffassung sind Elektroautos nur etwas für den Stadtverkehr. Basta.
Seine Meinung zum zweiten Elektroauto der Marke – dem Macan Electric – haben wir noch nicht vernommen: Zur Weltpremiere des Modells im Frühjahr hatte Porsche ihn vorsichtshalber gar nicht erst eingeladen. Dafür hatten wir jetzt Gelegenheit, den Macan Electric in Turbo-Ausführung nach einem kurzen Kennenlernen am Mittelmeer nun ausgiebig im Alltagsverkehr zu erleben. Auf über 1500 Kilometern Autobahn und Landstraße, ja, auch im Stadtverkehr. Ein allradgetriebenes, 470 kW oder 639 PS starkes SUV von fast 4,80 Meter Länge und einem Leergewicht von 2480 Kilogramm. Wie „porschig“ kann ein solches Fahrzeug noch sein?
Wachstum in allen Dimensionen
Der erste Eindruck von unserem Testwagen enttäuschte erst einmal: In der Lackierung „Eisgraumetallic“ (Aufpreis 952 Euro) kommt der Turbo-Macan eher wie ein Schaf denn wie ein Wolf daher. Und die äußere Gestalt sorgte auch nicht gerade für einen Volksauflauf vor dem Büro – die Porsche-Designer haben dem 2013 erstmals vorgestellten und seitdem in etlichen hunderttausend Exemplaren verkauften Macan kein revolutionär neues Gewand geschneidert. Der Antrieb mag den einen oder anderen noch schrecken – die Optik tut es nicht. Was prinzipiell eine gute Entscheidung war: Die Umgewöhnung dürfte so vielen Interessenten deutlich leichter fallen.
Dabei überragt der Neue den Alten in fast allen Dimensionen. Er ist mit 4,78 Meter zehn Zentimeter länger als das konventionell angetriebene Vorgängermodell, hat einen um neun Zentimeter längeren Radstand – wiegt aber auch rund 400 Kilogramm mehr als der Verbrenner. Na klar, die 100 kWh fassende Batterie fordert Tribut. Auch das Kofferraumvolumen musste ein wenig leiden: Hinter der Rücksitzbank finden jetzt unter der Abdeckung nur noch 480 Liter Platz – acht Liter weniger als beim Vorgängermodell. Geschenkt, zumal es unter der Fronthaube noch einen „Frunk“ gibt, der weitere 84 Liter fasst.
In drei Sekunden auf Tempo 100
Auch innen fällt die Eingewöhnung leicht. Wenn man einmal davon absieht, dass links vom Lenkrad wie in Porsche-Urzeiten kein Schlüssel mehr gedreht wird, sondern ein Startknopf den Antrieb surrend hochfährt. Ansonsten sieht es vorne so aus wie in jedem anderen Porsche der Neuzeit. Über die Breite des Cockpit ziehen sich mehrere großformatige Displays, auf denen sich bis hin zum aktuellen Fernsehprogramm praktisch alles darstellen lässt, was heute im Auto für wichtig erachtet wird – an Informationen für den Fahrer und Unterhaltungsmöglichkeiten für den Beifahrer. Das ist sicher nicht mehr „porschig“ nach der ursprünglichen Sportwagenphilosophie der Marke, aber inzwischen unverzichtbar, wenn man auch bei einem jungen Publikum in Fernost noch Käufer finden möchte.
Die legen sicher auch Wert auf so etwas wie einen Soundgenerator und den synthetischen „Electric Sport Sound“, der die Beschleunigungsorgien im Macan Turbo mit lautem Knurren untermalt, wenn den meisten Insassen schon das Hören und Sehen vergeht. Handgestoppte 3,3 Sekunden nur brauchte es im Sport-Plus-Modus und mit Launch Control (Gas- und Bremspedal erst voll durchgedrückt, dann den Bremsfuß ruckartig gehoben), um Tempo 100 zu erreichen. Im Macan GTS des Modelljahrs 2023 wären darüber knapp fünf Sekunden vergangen. Dafür war dort die Gefahr eines Schleudertraumas deutlich geringer.
Wendig dank Allradlenkung
Noch mehr als die reine Dynamik begeisterte uns insbesondere im Stadtverkehr die Wendigkeit des Macan Turbo: Für eine Kehrtwendung braucht es dank Allradlenkung (Aufpreis: 1856 Euro) nur 11,3 Meter. Für ein Fahrzeug dieser Größe ist das ein ebenso spektakulärer Wert. Ein Kia EV9 etwa braucht fast eineinhalb Meter mehr. Auch enge Kurven auf der Landstraße lassen sich so spielerisch-leicht nehmen.
Die große „Stunde“ schlug dem Macan aber auf einer Langstrecken-Tour von Köln nach Wolfsburg und zurück. Weniger auf der Piste – mehr als Tempo 160 war an dem Tag aufgrund dichten Verkehrs nicht drin. Dafür umso mehr an den Schnellladestationen: Kaum angekommen, war man auch schon wieder weg. Hier wurde der Turbo wirklich seinem Namen gerecht.
Stabil hohe Ladeleistungen
Die Erklärung: Gleichstrom nimmt der Macan Turbo mit bis zu 270 kW auf. Die wird zwar nur kurzzeitig erreicht, aber Werte jenseits von 200 kW liegen erfreulich lange an. Und selbst als der Akku schon zu 60 Prozent gefüllt war, floss der Strom an den favorisierten Ionity-Stationen noch mit über 150 kW. Erst bei einem Füllstand (SoC) von 80 Prozent fiel die Ladeleistung deutlich ab. Passenderweise – da saßen wir meist schon wieder hinter dem Steuer und drückten den Start-Knopf.
Keiner der zwei Ladevorgänge auf dieser Tour dauerte länger als 20 Minuten. Denn der smarte Ladeplaner des Porsche hatte seine eigene Strategie: Das Ziel vor Augen – und wohl in Kenntnis der guten Ladeinfrastruktur am Zielort – diktierte er kurze Ladeaufenthalte mit relativ niedrigen Ladezielen. Wir selbst hätten sicherheitshalber wohl eher längere Ladepausen eingelegt und die Ladestationen auch wesentlich später mit einem niedrigeren Ladestand angefahren. Aber unter dem Strich – ergab die Hochrechnung bei Rückkehr – wären wir wohl trotz eines Boxenstopps weniger mit unserer gelernten Taktik einige Minuten später eingetroffen. Auch was die Ladeplanung anbetrifft, ist der Macan also wirklich „porschig“ – nämlich smart.
544 Kilometer Reichweite – bestenfalls im Stadtverkehr
Die Reichweite des Macan Turbo gibt Porsche im Drittelmix mit 544 Kilometern an – Theoretisch hätten wir die Strecke Bonn-Wolfsburg also eigentlich in einem Rutsch zurücklegen können. Doch bei einem Durchschnittsverbrauch von 22,1 kWh (bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 99 km/h auf der Wolfsburg-Tour aufgrund einiger Zwischenspurts) war das nicht zu machen – rein rechnerisch waren da maximal 450 Kilometern drin.
Der eine oder andere wird jetzt maulen, weil er mit seinem Diesel-Macan von 2016 angeblich bis zu 1000 Kilometer an einem Stück durch die Lande brettern konnte. Aber nach gut vier Stunden am Steuer ist eine Pause wirklich angeraten. Und ja, gerne hätten auch wir eine Reichweite von 600 Kilometern, wenn die Batterie im Boden nicht schwerer gerät. Aber solange der „Wunderakku“ noch nicht serienreif und Tempo 120 noch nicht überall in Europa Standard ist, werden wir uns mit solchen Reichweiten arrangieren müssen. Bei aller Effizienz gibt ein Elektroantrieb zumindest in einem SUV derzeit im Alltagsbetrieb nicht mehr her.
Echt „porschige“ Preisgestaltung
Gewöhnungsbedürftiger ist da schon eher die Preispolitik von Porsche – und das nicht erst seit der Modelleinführung des Macan Electric. Das 265 kW starke Basismodell steht mit 80.700 Euro in der Preisliste, für den Turbo sind wenigstens 114.600 Euro hinzulegen. Und eine elektrische Heckklappe ist dann noch nicht einmal drin. Ebenso wenig wie Seiten-Airbags oder eine Sitzheizung im Fond. Immerhin ist eine Wärmepumpe serienmäßig an Bord – ebenso wie ein üppiges Paket an Assistenzsystemen. Auch verfügt der Macan auf beiden Seiten des Hecks standardmäßig über zwei Ladeanschlüsse, was das Laden daheim ungemein erleichtert. Nichtsdestotrotz summierten sich die Extras bei unserem Testwagen turbomäßig auf knapp 25.000 Euro – das ist echt „porschig“.
Und trotzdem: Wer es sich leisten kann, macht mit dem neuen Macan einen guten Griff. Er ist ungeheuer dynamisch und trotzdem effizient und den Porsche-Qualitäten spürt an vielen Stellen. Beim Bremsen oder auch beim Laden: An 400-Volt-Ladesäulen wird der 800-Volt-Akku automatisch in zwei Teile geteilt, um beide parallel mit 135 kW laden zu können. Außerhalb Deutschlands, wo Highpower-Charger noch Mangelware sind, werden diese pfiffige Ingenieurslösung viele Käufer zu schätzen wissen.
Alles in allem bringt der elektrische Macan viele Eigenschaften mit, um zum Erfolgsmodell zu werden. Wie der wassergekühlte Boxermotor im Neunelfer, wie der Porsche Cayenne und auch wie sein Vorgänger. Wie katholisch ist eigentlich noch der Papst?
Wer will mit einem SUV eigentlich in 3,3 s auf 100? Das ist sehr unbequem ruckartig. In einem luxuriösen SUV gleitet man viel lieber möglichst unbehelligt. Außerdem würde der Versicherungs-Tracker das jedes Mal mit einem Malus bei der Prämie bestrafen.
Für die 25.000 € nur für die Extras habe ich unlängst den Tucson als Auslaufmodell neu erhalten! Ist avantgardistischer als der konservativ aussehende Macan und bietet bei vorteilhaft kürzerer Länge innen mindestens genauso viel Platz.
Und wo ist bei einem Auto mit E-Antrieb eigentlich der Turbo? Zur Batteriekühlung? Ist wohl auch zum Marketing-Gag verkommen.
Aber vielleicht gibt es ja immer noch Leute, sie sowas haben wollen, obwohl sie es gar nicht brauchen, um in ihrer hedonistischen Tretmühle zu bleiben.