Der Autohandel spielt bei der Antriebswende eine nicht ganz unwichtige Rolle: Ob sich ein Kunde bei der Anschaffung eines neuen Wagens für ein Elektroauto entscheidet oder lieber beim alten Eisen bleibt, hängt vom Geschick der Verkaufsberater ab, die Vorteile in eines Stromers herauszustreichen. Wie Philipp Kranich von der BMW-nahen, auf den Autohandel spezialisierten Unternehmensberatung rpc Retail Performance Company aus eigener Erfahrung weiß, gibt es da noch große Defizite. Beim Personal, aber auch in den Vertriebsorganisationen. Im Interview mit EDISON schildert er, wie wie Autohäuser durch strategische Maßnahmen gestärkt aus der Transformationsphase hervorgehen können.

“Wollen Sie sich das wirklich antun?“ fragte mich vor ein paar Jahren ein Autoverkäufer, als ich Interesse an einem Elektroauto signalisierte. Könnte mir das heute noch passieren?

Durchaus – je nachdem, welche Marke der Verkäufer vertritt. Je stärker die DNA der Kernmarke von Erfolgen im Verbrenner-Zeitalter geprägt wurde, desto schwerer fällt es den Verkaufsberatern, sich auf die neue Technologie einzulassen. Was aber auch daran liegt, dass sich viele Hersteller über Verbrenner-Technologie vom Wettbewerb differenziert haben. Und die Verkäufer, die im Jahr mehr als 100 konventionell angetriebene Autos verkaufen, tun sich extrem schwer, ein Elektroauto in ihr Herz zu lassen.

Autohandel neu denken
Philipp Kranich ist seit 2023 Senior Manager Automotive Market Intelligence bei der Unternehmensberatung rpc – The Retail Performance Company in München. Das 2013 gegründete Unternehmen ist ein Joint Venture von BMW mit der Münchner Managementberatung H&Z. Zuvor war der gelernte Automobilkaufmann mehrere Jahre lang in unterschiedlichen Management- und Beratungsfunktionen in der Automobilbranche aktiv. Unter anderem für Mercedes-Benz und BMW. Bei rpc arbeitet er an den strategisch relevanten Themen rund um den Automobilhandel der Zukunft. Bild: rpc

Wie man hört, verkaufen sie bei Porsche bestimmte Sportwagen inzwischen nur noch, wenn zusätzlich ein Taycan geordert wird.

Das vielleicht nicht. Aber es muss schon ein Kunde mit einem starken Interesse an einem Taycan zu ihm kommen, damit der Verkäufer den auch eintütet. Wenn jemand mit einem Verbrenner-Wunschfahrzeug, etwa nach einem Panamera, zu ihm kommt, wird er nicht versuchen, ihm einen Taycan schmackhaft zu machen. Das Umpolen von Kunden findet noch nicht in dem Maße statt, wie es nötig wäre.

Die Rahmenbedingungen für Elektroautos waren und sind ja auch nicht gerade günstig gewesen. Das sogenannte Verbrennerverbot der EU hat bei vielen Menschen für eine Abwehrhaltung gesorgt.

Das ist auch ein Riesenpunkt. Wir predigen seit Jahren, die Bedürfnisse des Kunden zu sehen. Und nun sollen plötzlich Elektroautos verkauft werden, damit die Fahrzeugherstellen die CO2-Flottenzielwerte erreichen. Das passt nicht mit der Customer-Centricity-Forderung zusammen. Da verstehe ich jeden Verkäufer, der das Thema Elektromobilität nur kurz anspricht – und schon bei der ersten Unmutsäußerung des Kunden auf den alten Pfad zurückkehrt.

Auf der anderen Seite sehen wir, dass das Interesse von Kunden sprunghaft steigt, wenn ein Hersteller ein günstiges Angebot macht – wie jüngst VW in der Sonderleasingaktion für die ID.3. Das zeigt, dass der Widerstand gegen die neue Antriebstechnik über den Preis durchaus gebrochen werden kann.

Durchaus. Aber wenn Rabatte die einzige Möglichkeit sind, Elektroautos in großer Zahl abzusetzen, dann ist das kein nachhaltiges Modell. Der Fahrzeughersteller muss sich dann noch andere Dinge einfallen lassen. Ich kann jeden Handelsbetrieb verstehen, der darüber nicht begeistert ist: Er soll E-Autos mit einer Mini-Marge in den Verkehr bringen, nur damit die Bänder in der Produktion ausgelastet sind.

Was wäre dann die bessere Strategie?

Man muss das Thema ganzheitlich denken, darf nicht nur auf den Vertragsabschluss abzielen.

Sondern?

Indem man im Servicebereich noch Kombinationsprodukte entwickelt und anbietet, um das Fahrzeuge dem Kunden über die gesamte Haltedauer schmackhaft zu machen. Ich kenne Autohäuser, die sehr tief in das Thema hineinleuchten und für ihre Kunden die Gesamtkosten eines Elektroautos gegen die eines Verbrenners rechnen. Insbesondere für Gewerbekunden mit einer eigenen kleinen Flotte. Da wird ein Elektroauto dann plötzlich schon interessant für den Kunden, weil die Wartungs- und Energiekosten des Stromers deutlich unter denen eines baugleichen Verbrenners liegen und es Steuervorteile für den Fahrer gibt. Eine Vollkostenbetrachtung kann schon starke Argumente liefern. Der sogenannte Sweet Spot liegt nicht allein auf der Leasingrate oder dem Kaufpreis.

Für Elektroautos sprechen in der Tat die niedrigen Wartungskosten – immerhin fällt der teure Ölwechsel weg. Doch jüngst haben die Renault-Niederlassungen die Preise für die Jahresinspektion massiv angehoben, weil, so die Begründung eines Werkstattleiters, sie sonst nicht mehr auf ihre Kosten kämen.

Das ist nicht zu rechtfertigen, dass die Wartungsstunde genauso hoch oder noch höher sein soll wie die bei einem Verbrenner. Manche Vertragswerkstätten aber veranschlagen inzwischen zusätzliche Arbeitswerte – mit der Begründung, dass mit den Elektroautos die Auslastung der Werkstatt sinkt und der Umsatz mit Ersatzteilen sinkt. Mit höheren Arbeitslöhnen soll das kompensiert werden. Die zusätzliche Qualifikation einer Elektro-Fachkraft ist zwar mit Kosten verbunden. Und auch die Spezialwerkzeuge gehen ins Geld. Aber das kann nicht auf den Kundenabgewälzt werden. Wir befinden uns in einem Transformationsprozess. Dazu gehört, dass man Werkstattkapazitäten an die neuen Entwicklungen anpasst. Das lässt sich nicht mit absurden Preismodellen aufhalten.

Elektroauto schmackhaft machen
"Für die erste Probefahrt mit einem Elektroauto sollte nach Möglichkeit immer eine Begleitung angeboten werden, damit der Kunde das System Elektroauto versteht." Bild: https://depositphotos.com/de/
Elektroauto schmackhaft machen
„Für die erste Probefahrt mit einem Elektroauto sollte nach Möglichkeit immer eine Begleitung angeboten werden, damit der Kunde das System Elektroauto versteht.“ Bild: https://depositphotos.com/de/

Was wäre die bessere Strategie für ein Autohaus?

Es sollte neue Geschäftsmodelle rund um die Elektromobilität aufbaut. Etwa Second-Life-Services für die Antriebsbatterie. Das kann ein lukratives Geschäft werden, wie wir bei der Lueg-Gruppe sehen. Der Mercedes-Partner steigt gerade ins Batterie-Recycling ein. Das wird nicht für jeden Autohändler möglich sein. Aber für die Großen, die strategisch weiterdenken müssen, ist das ein interessantes Feld in der Wertschöpfungskette.

Stimmt. Woran denken Sie noch?

An neue Aktivitäten im Gebrauchtwagen-Geschäft. Bei Porsche kann man inzwischen auch gebrauchte Elektroautos leasen. Damit wird das Restwert-Risiko für den Kunden aufgefangen – das könnte helfen, die Elektroautos der ersten Welle von den Höfen zu bekommen. Viele scheuen sich heute, einen gebrauchten Taycan zu kaufen, weil sie nicht wissen, wie sich dessen Wert in den kommenden Jahren entwickeln wird. Spätestens beim dritten Besitzer wird das ein Problem.

Ein Batteriezertifikat wäre da schon mal hilfreich. Heute bieten das nicht alle Händler für gebrauchten E-Autos an.

Da sollten die Autohersteller in der Tat ihre Gebrauchtwagenprogramme noch einmal zu überdenken. Das Gebrauchtwagen ist der Katalysator des Neuwagens: Die Verlässlichkeit des Gebrauchtwagens zieht irgendwann einen Neuwagen nach sich. Ich bin deshalb überzeugt, dass ein Batteriezertifikat für E-Autos ein Standard im Handel mit Gebrauchtwagen wird. Heute dauert es noch recht lange, bis ein „State of Health“ (SoH)-Zertifikat erstellt ist, weil es dafür unterschiedliche Systeme und Anbieter gibt. Ein Käufer eines Dieselautos macht sich heute keine Gedanken über die Rest-Lebensdauer des Motors. Der Käufer eines Elektroautos hingegen will schon wissen, wie gesund der Akku nach drei oder vier Jahren im Betrieb noch ist.

Die Käuferklientel ist auch eine andere.

In der Tat. Wer sich für ein Elektroauto interessiert, kommt mit ganz anderen Informationen zum Händler, ist oftmals sogar besser informiert als der Verkäufer, der darüber manchmal in eine Defensivhaltung kommt. „Mit den Kunden“, sagte mir kürzlich einer, „ist so schwer zu diskutieren wie mit Klassik-Enthusiasten.“

Sind wir über die Nerd-Phase nicht schon hinweg? Inzwischen sind mit E-Autos auch ganz normale Menschen unterwegs – die mitunter im Alltag Probleme mit dem Fahrzeug haben, weil sie der Verkäufer nicht auf das Laden an öffentlichen Ladesäulen vorbereitet hat.

Absolut. Deshalb rate ich Autohäusern ja auch dazu, nicht nur den Vertragsabschluss im Auge zu haben, sondern das gesamte Ökosystem. Einige gute Autohäuser haben schon den Schulterschluss zwischen Sales und Aftersales geschafft. Die haben auch im Service Leute, die sich mit der Ladethematik auskennen. Wenn der aber nicht mal weiß, wie eine Wallbox funktioniert und welche für das Fahrzeug geeignet ist und statt dessen auf einen Elektriker verweist, haben sie schon den zweiten Bruch in der Kundereise.

Besser wäre es, wenn das Elektroauto und die Montag einer Wallbox daheim beim Kunden im Gesamtpaket angeboten würde. Vielleicht sogar bis hin zur Installation einer Solaranlage auf dem Dach. Das Komische ist: Welche Potenziale hier liegen, verstehen viel zu wenige Autohäuser. Die setzen nur auf einen Schuss, den Verkauf des Fahrzeugs. Alles andere danach interessiert die nicht. Da sind auch die Verkäufer angehalten, die Prozesse möglichst schlank zu halten – inklusive Auslieferung. Mit dem Ergebnis, dass manche Kunden mit dem Elektroauto vom Hof fahren ohne Kenntnis über Lademöglichkeiten und -anbieter. Die sind völlig auf sich gestellt.

Ist das nicht verständlich? Der Verkauf von solchen Gesamtpakete kostet viel Zeit. Und der Verkäufer verdient allein am Vertragsabschluss. Nicht mit der Vermittlung eines Elektrikers, der eine Wallbox installieren kann.

Das ist jetzt die große Frage. Es gibt findige Verkäufer und nicht so findige Verkäufer. Manche kriegen für die Zusatzleistungen oder für den Verkauf von Wallboxen schon eine Zusatzprovision. Bei manchen Automarken ist das stark ausgebaut, manche Fahrzeughersteller verlangen das inzwischen auch von den Autohäusern. Andere interessiert das Nullkommanichts, weil Sales und Aftersales durch Mauern stark getrennt sind.

Wer reißt die Mauer nieder?

Das müsste eigentlich von den Herstellern kommen. Und je kleiner die Hersteller sind, desto besser funktioniert es auch bereits.

Ausgerechnet bei den Kleinen?

Klein im Sinne von Luxuriöser. Weil sie weniger Volumen machen, haben sie mehr Zeit, sich andere Bereiche anzusehen. Die 360-Grad-Perspektive wird von ihren Kunden auch stark gefordert.

Wer hat da noch Nachholbedarf?

Mercedes hat da Nachholbedarf, auch Volkswagen ist so ein Klassiker. Andere Konzernmarken hingegen verknüpfen Sales und Aftersales schon richtig gut. Und das ist auch gut so. Denn bei den Elektroautos sind die Margen klein und der Preiskampf groß. Deshalb tut man als Händler gut daran, rechts und links nach möglichen Zusatzgeschäften zu schauen. Heute wird noch gar nicht der gesamte Customer Value über die Haltedauer des Fahrzeugs gesehen.

Heißt?

Was hat der Vertrieb des einen Elektroautos über die Jahre hinweg an zusätzlichen Leistungen erzeugt? Nur dann kann man sagen, ob es ein schlechtes Geschäft war. Oder ob es vielleicht sogar einen höheren Ertrag brachte und eine stärkere Kundenbindung. Die Kundenbindung ist nach unseren Feststellungen bei einem Elektroauto höher als bei einem Verbrenner.

Um es zusammenzufassen: Es gibt also noch einiges zu heben im Handel mit Elektroautos. An Umsatz für die Autohäuser, aber auch an Services für die Kunden.

Ja. Man muss im Autohandel dem Elektroauto vor allem das Alien-hafte nehmen. Das ist ein sehr gutes Produkt, das zu den Mobilitätsbedürfnissen vieler Menschen ideal passt. Man muss sie nur erst einmal in ein solches Auto hinein bekommen. Aber dann darf man die Interessenten auf der Probefahrt auch nicht alleine lassen. Das ist absolut falsch. Für die erste Probefahrt mit einem Elektroauto sollte nach Möglichkeit immer eine Begleitung angeboten werden, damit der Kunde das System Elektroauto versteht. Und die Probefahrt sollte nicht einfach nur einmal um den Kirchturm gehen, sondern länger dauern. Bei der Gelegenheit kann man auch demonstrieren, wie ein Ladevorgang vonstatten geht. Das pragmatische Anpacken ist viel effektiver als das lange Reden über die Vorteile der Elektromobilität. Bei BMW gibt es inzwischen neben dem Verkäufer einen Produktexperten, der sich nicht nur Zeit für die Erklärung des Fahrzeugs bei der Auslieferung nimmt, sondern nach einer gewissen Zeit noch einmal Kontakt zum Kunden aufnimmt, um Fragen zu beantworten, die vielleicht in der Zwischenzeit aufgekommen sind. Ich halte das für einen guten Ansatz.

Viele Dank für das Gespräch.

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