Ob die Volkswagen-Verantwortlichen sich grämen, mit dem ID.3 in die neue, bunte Elektrowelt gestartet zu sein, lässt sich ihnen leider nicht entlocken. Unverkennbar groß ist jedoch die Freude, dass mit dem ID.4 der erste SUV schneller als schnell nachgezogen wird. Auch er soll noch in diesem Jahr zum Kunden kommen – noch vor dem Skoda Enyaq iV, der nach aktuellem Stand erst im Sommer nächsten Jahres in Kundenhände kommt. Und vorerst auch in deutlich kleineren Stückzahlen als der Volkswagen, wie aus dem Handel zu hören ist. Optisch ist das neue Elektro-Crossover von Volkswagen gefälliger und deutlich größer als der ID.3. Aber auch einen Vergleich mit Tesla scheuen die Verantwortlichen von Volkswagen nicht: „Der ID.4 ist außen zwar kürzer als ein Model Y, aber im Innenraum spürbar größer“, strich VW-Markenchef Ralf Brandstätter jetzt in einem Skype-Call mit Journalisten heraus.
Was ihm aber noch viel wichtiger ist: Im Unterschied zum ID.3 und zum Skoda Enyaq wird der ID.4 nicht nur in Europa angeboten. „Der VW ID.4 ist ein echtes Weltauto“, betont Brandstätter. „Er wird nicht nur auch in den USA und in China auf den Markt kommen, sondern dort auch jeweils lokal gefertigt.“ Insgesamt vier Werke sind dafür vorgesehen, neben dem E-Stammwerk Zwickau Fabriken im chinesischen Foshan, im amerikanischen Chattanooga sowie – ab 2022 – auch Emden in Norddeutschland. Entsprechend hoch sind die Stückzahlen: Bis zu eine halbe Million Exemplare des „Elektro-Tiguan“ könnten in den vier Werken vom Band rollen. „Ich denke, mit dem ID.4 wird es uns gelingen, die E-Mobilität aus der Nische zu holen“, unterstrich eMobility-Vorstand Thomas Ulbrich in der Skype-Konferenz die strategische Bedeutung des neuen Modells.
Weltpremiere am 23. September
Corona-bedingt wurde die Premiere des VW ID.4 in diesem Jahr mehrfach verschoben. An sich wollte man bereits Anfang des Jahres das Tuch von dem elektrischen Familienmodell lüften. Doch der erste Termin wurde ebenso gestrichen wie die späteren Enthüllungen in den USA und so wurde der ID.4 nun sogar von einem Familienmitglied ausgestochen: Skoda enthüllte diese Woche seinen elektrischen Enyaq als identisches Schwestermodell mit großem Aufwand. Der nahezu baugleiche ID.4 parkte derweil über Nacht im Schatten unter einer unbeleuchteten Laterne – immerhin mit Stromanschluss. Doch jetzt gibt auch Volkswagen Gas und will seinen ID.4 am 23. September mit der Weltpremiere endlich auf die große internationale Bühne stellen. Ab dem Tag darauf kann er offiziell bestellt werden.
Und eines vorweg: Die potenziellen Kunden können sich freuen, denn das Paket des VW ID.4 passt. Bei den ersten Fahrten auf dem VW-Testgelände überzeugte der heckgetriebene ID.4 mit dem großen Akkupaket mit einer Speicherkapazität von brutto 82 Kilowattstunden – 77 kWh davon sind im Fahrbetrieb tatsächlich nutzbar. An Bord war zudem die Topmotorisierung mit 150 Kilowatt (204 PS) Leistung. Zunächst werden allerdings nur die Versionen mit den kleineren Akkupaketen angeboten: Mit 52 und 77 kWh sollen im Alltagsbetrieb Reichweiten von 360 und 520 Kilometern darstellbar sein. Die maximale Ladegeschwindigkeit am DC-Schnelllader beträgt 125 Kilowatt, wodurch der ID.4 in rund einer halben Stunde für 320 Kilometer Kraft tanken kann. Kombinierbar sind die Akkupakete mit einem Heck- und einem Allradantrieb und Elektromotoren, die eine Leistung von 109, 125, 129 oder 150 kW auf die Räder bringen. Im kommenden Jahr wird das allradgetriebene Topmodell als ID.4 GTX nachgelegt – 225 kW (306 PS) stark und bis zu 180 km/h schnell.
First Edition ab 49.000 Euro
Und was kostet der Spaß? In jedem Fall rund 7000 Euro mehr als ein ID.3. Der VW ID.4 startet Anfang kommenden Jahres mit der Pure-Edition und einem Einstandspreis von rund 37.000 Euro, erfuhr EDISON. Bereits im Dezember dieses Jahres werden die beiden Startversionen ID.4 First und ID.4 First Max verfügbar sein – zu Preisen von 49.000 und 59.000 Euro. Die exakten Preise – auch der Extras – sollen in der kommenden Woche bekannt gegeben werden.
Zum Vergleich: Die Preisliste beim Skoda Enyaq iV startet bei 33.800 Euro. Für die vorläufige Topversion mit 82 kWh-Akku und 132 kW starkem Heckmotor werden 43.950 Euro aufgerufen – inklusive 19 Prozent Mehrwertsteuer. Der ermäßigte Steuersatz zählt hier nicht, da dieser zum Jahreswechsel auslaufen soll und der Enyaq erst 2021 in den Handel kommt.
Am Steuer des 4,58 Meter langen, an der Front noch teilweise getarnten VW ID.4 auf der Teststrecke in Ehra-Lessin, ein paar Kilometer nördlich von Wolfsburg, geht es trotz reinen Hinterradantriebs erst einmal ins leichte Gelände. Mit seiner leicht erhöhten Bodenfreiheit und den 21-Zöllern im 255er-Format schlägt sich der E-SUV flüsterleise und sehr solide. Feldwege, lockerer Sand und Wiesen – alles kein Problem. Dabei fällt die sehr leichtgängige Lenkung, das hohe Drehmoment ab Start, das geringe Geräuschniveau dank Doppelglas und der kleine Wendekreis auf. „Den bekommen wir nur mit einer reinen Elektroplattform hin“, sagt Thomas Ulbrich, VW-Vorstand für den Bereich Elektro, „der Wendekreis liegt bei 10,20 Metern.“ Das gefällt nicht nur im Gelände, sondern speziell in der Innenstadt, wo der ID.4 gerade mit dem kleinen Akkupaket seinen typischen Lebensraum haben dürfte.
Spitzengeschwindigkeit von 160 km/h
Es geht weiter über verschiedene Testrecken bis hin zum Handlingkurs, wo der VW ID.4 trotz seines Gewichts von rund 1,8 Tonnen mächtig durch Kehren und Kurven pfeift. Das maximale Drehmoment liegt je nach Motorvariante zwischen 220 und 310 Nm, wobei der ID.4 dank Hinterradantrieb keinerlei Probleme hat, seine Kraft auf den Boden zu bekommen. Keine Antriebskräfte im Steuer, die bei engen Kurven nerven, wenn auch die Lenkung sehr leichtgängig ist und trotz der optionalen 21-Zoll-Breitreifen mehr Informationen über die Beschaffenheit der Fahrbahn geben könnte. Mit wechselnden Fahrprogrammen passt sich der Elektro-SUV bei Gasannahme und Fahrwerk den Wünschen des Fahrers und den Bedingungen auf der Straße an. Wird es schnell und kurvig, geht es in den Sportmodus; sonst ist man mit dem Komfortprogramm bestens bedient.
Ähnlich souverän sieht es bei hohen Fahrgeschwindigkeiten aus. Auf den Rundkurs zieht der ID.4 flotter als erwartet an bis über 140 km/h – mit etwas Luft zur abgeregelten Spitzengeschwindigkeit von 160 km/h. Von 0 auf Tempo 100 geht es in 8,5 Sekunden. Nur die Sportversion des GTX soll wie der Skoda Enyaq iV RS im kommenden Jahr bis zu 180 km/h schnell sein dürfen. „Unsere Plattform kann noch mehr Leistung“, macht Elektro-Vorstand Thomas Ulbrich Vorfreude auf mehr Leistung. Die meisten Kunden werden sich jedoch eher über das gute Platzangebot freuen. Dank eines Radstands von 2,77 Metern sitzt es sich sowohl vorne wie hinten überaus bequem.
Die Instrumente hinter dem Steuer sind wie beim ID.3 einen Tick zu klein geraten, was das große Head-Up-Display nur zum Teil ausgleichen kann. Besser ist der 12 Zoll große Bildschirm in der Cockpitmitte, über sich die verschiedenen Funktionen ebenso steuern lassen wie per Sprachbefehl oder Tasten am Lenkrad.
Von an Anfang an mit allen Funktionalitäten
Im Unterschied zum ID.3 wird der ID.4 von Anfang an mit allen Funktionalitäten ausgeliefert, versprachen Brandstätter und Ulbrich in dem Skype-Call. Auch einige andere Kritikpunkte, die es beim ID.3 gab – beispielsweise in punkto Verarbeitungsqualität – sollen beim ID.4 abgestellt sein.
Spannender aber dürfte die Frage sein, wie schnell Volkswagen die Produktion des „Welt-Stromers“ hochfahren kann. Die Kapazität in Zwickau ist für eine Tagesproduktion von 1500 Autos ausgelegt – des ID.3 und ID.4. Beim Skoda Enyaq, der im tschechischen Mlada Boleslav produziert wird, deuten sich schon Lieferengpässe ab. Der Grund: In Braunschweig, wo die Hochvolt-Batteriesysteme für sämtliche Modelle auf der Basis des neuen modularen E-Antriebs-Baukastens (MEB) gebaut werden, hinkt die Produktion der Nachfrage hinterher.
Nach Informationen aus Händlerkreisen wurden deshalb bereits die Kontingente für Skoda so weit heruntergeschraubt, dass der Enyaq für 2021 bereits ausverkauft sein soll.