Die Idee ist nicht ganz neu. Thomas Alva Edison wollte schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts in New York ein Netzwerk von Batterie-Wechselstationen aufziehen. Fahrer von Elektro-Taxen sollte in wenigen Minuten den von ihm entwickelten Nickel-Eisen-Akku tauschen können, wenn die gespeicherte Energie zur Neige ging. Anfang des 21. Jahrhunderts griff Shai Agassi das Konzept wieder auf. Mit dem Ziel, die Welt bis 2020 zu einem besseren Platz zu machen, entwickelte er zusammen mit Renault nicht nur ein Elektroauto mit Wechsel-Akku, sondern auch noch Stationen, in denen Roboter den erschöpften Energiespeicher automatisch gegen einen frischen tauschten.

Erfolg hatten beide Unternehmer nicht. Zu teuer war die Technik, zu viel Geld hätte in den Aufbau der Infrastruktur investiert werden müssen. Und die Menschen waren auch noch nicht reif für die Idee, ein Auto zu nutzen statt zu besitzen. Oder elektrisch zu fahren – ohne sich um die Alterung des Stromspeichers Gedanken zu machen. Denn hier wie da sollte das Fahrzeug Eigentum des Herstellers bleiben.

Dynamiker mit Entenbürzel 
Der NIO ET5 kommt serienmäßig mit einem 360 kW starken Allradantrieb daher. Der Akku ist im Kaufpreis nicht inbegriffen.
Dynamiker mit Entenbürzel
Der NIO ET5 kommt serienmäßig mit einem 360 kW starken Allradantrieb daher. Der Akku ist im Kaufpreis nicht inbegriffen.

Aber das ändert sich gerade – und ein Treiber des Wandels ist der chinesische Autohersteller NIO. Innerhalb kürzester Zeit hat das von William Li gegründete Unternehmen in China nicht nur 1323 Batterie-Wechselstationen in Betrieb genommen, sondern mit Hilfe von Ingenieuren und Designern aus aller Welt in nur fünf Jahren auch eine hochatrraktive Palette von Elektroautos auf die Räder gestellt. Die Luxuslimousine ET7, den SUV EL7 und – als jüngstes Produkt – die allradgetriebene Mittelklasse-Limousine NIO ET5.

Preise beginnen bei 47.500 Euro – ohne Batterie

Seit kurzem ist der 4,79 Meter lang Stromer nun auch bei uns zu haben. Zu einem Preis von 47.500 Euro (wenn man das Auto immer noch besitzen möchte) ohne Akku – der müsste für 169 Euro (75 kWh Akku) oder 289 Euro (100 kWh) im Monat gemietet werden. Oder für 12.000 Euro (75 kWh) oder 21.000 Euro (100 kWh) hinzugekauft werden. Aber Vorsicht: Dann dürfen die NIO-Wechselstationen nicht genutzt werden. Am einfachsten ist es, den ET5 zu abonnieren – mit einer fixen Laufzeit von 36 Monaten für 999 Euro, oder einer flexiblen Laufzeit ab einem Monat Haltedauer. Dann werden zunächst 1238 Euro im Monat fällig. Mit zunehmender Dauer der Bindung sinkt der Betrag dann auf 978 Euro. Und bis zum Jahresende 2023 sind die Batteriewechsel in einer „Power Swap Station“ (PSS) kostenlos. Wie teuer es danach wird, bleibt vorerst noch ein Betriebsgeheimnis.

Elegante Erscheinung
Der neue 4,80 Meter NIO ET5 kann sich sehen lassen, die Designer haben gute Arbeit geleistet.

Kaufen (eher nicht), leasen (gewerblich) oder abonnieren (privat) – die Frage sollte also geklärt sein, wenn der NIO als Alternative zum Tesla Model 3, zum Polestar 2 oder BMW i4 ernsthaft ins Auge gefasst wird. Denn ansonsten ist die Konfiguration des Traumwagens vergleichsweise einfach. Denn die Aufpreisliste ist erfreulich kurz.

Allradantrieb mit 360 kW Leistung

Zwischen neun Außenfarben (vier davon gibt es ohne Aufpreis) und vier Farbkombinationen für den Innenraum (nur eine kostet Aufpreis) ist zu wählen, dazu die Kapazität der Batterie und die Rädergröße. Die Antriebsleistung von 360 kW oder 480 PS ist beim NIO ET5 immer gleich, die Höchstgeschwindigkeit von 200 km/h auch. Ebenso wie das 1,28 Quadratmeter große Panoramadach oder die 33 Hightech-Sensoren (inklusive Ultra-Langstrecken-Lidars) für das hochautomatisierte Fahren auf Level 3. Das Genehmigungsverfahren dafür ist gerade angelaufen.

Wer mag, kann sich dann noch für 1200 Euro eine Anhängerkupplung (für Lasten bis zu 1400 Kilogramm) montieren lassen, orangefarbene Bremssättel (500 Euro) oder ein Komfortpackage mit Sitzbelüftung, Lenkradheizung und Duftsystem (1500 Euro) – das war’s dann aber schon. Oder fast: Soll „Nomi Mate“ noch an Bord, der kleine witzige Assistent auf dem Armaturenträger, der auf Zuruf die Fenster öffnet, die Temperatur im Innenraum regelt oder auf Fahrfehler aufmerksam macht? Im großen ET7 gehört Nomi zur Bordbesatzung, beim NIO ET5 will sie für 600 Euro extra angeheuert sein. Serienmäßig und ohne Aufpreis gibt es „Nomi Halo“ – eine dezent integrierte Sprachsteuerung mit gleicher Intelligenz, aber zurückhaltenderem Auftritt. Unser Tipp: Wer keine kleinen Kinder hat, wird damit genauso glücklich.

Hohe Sitzposition, kleine Kofferraumöffnung

Ansonsten hat NIO mit dem ET5 ein Elektroauto auf die Räder gestellt, das zu beeindrucken versteht. Nicht nur optisch und durch eine hochwertige Verarbeitung, sondern auch fahrwerks- und antriebstechnisch. Gewöhnungsbedürftig ist lediglich die hohe Sitzposition in Kombination mit einer niedrigen Fensterlinie. Sie sorgt zwar für eine gut Übersicht nach vorne und zu den Seiten. Aber so richtig verwachsen kann ein großgewachsener Fahrer mit dem ET5 nicht, wenn seine Kniescheiben auf den Armaturenträger zielen und die auf den ersten Blick sportlichen Sitze auf kurvenreichen Strecken nicht den erwarteten Seitenhalt bieten.

Aug‘ in Aug‘ mit der Konkurrenz
NIO ET5 im Ladepark Hilden – neben acht Schnellladepunkten von Fastned gibt es hier 40 Supercharger von Tesla.

Und beim Blick auf das sportliche Heck mit dem kleinen Entenbürzel hatten wir auf eine größere Kofferraumöffnung als beim Tesla Model 3 gehofft – und wurden dann doch enttäuscht: Für den Transport sperriger Güter ist die Öffnung nicht konzipiert. Erschwerend kommt hinzu, dass die Gurtführung für den Mittelsitz beim Umklappen der Rücksitzlehnen in der Position verharrt: Da gilt es beim Beladen aufzupassen, um den Sicherheitsgurt nicht zu beschädigen. Wer da mehr erwartet, muss auf den geplanten Shooting-Brake warten, der ebenfalls noch in diesem Jahr vorgestellt werden soll.

Kleinerer Akku mit höherer Ladeleistung

Aber das sind eher Petitessen. Der Wumms, mit dem der Stromer in der Einstellung Sport beschleunigt, beeindruckt ebenso wie die hohe Laufruhe im Komfort-Modus bei hohen Geschwindigkeit. Die Bremsanlage von Brembo liefert eine erstklassige Verzögerung, die Vorderräder setzen die Lenkbefehle zügig um. Da gibt es nichts zu meckern. Unbefriedigend ist im direkten Vergleich mit den Wettbewerbern allerdings die Ladeleistung des Premium-Stromers: Mehr als 150 kW sind am Gleichstrom-Schnelllader nicht drin. Wobei der größere, mit Lithium-Nickel-Mangan-Kobalt-Oxid (NMC)-Zellen befüllte 100 kWh-Akku sogar nur auf 130 Kilowatt kommt. Schneller befüllt ist der kleinere 75 kWh-Akku. Denn hier sind NMC-Zellen mit Lithium-Eisenphosphat (LFP)-Zellen gemixt, die höhere Ladeleistungen vertragen.

In fünf Minuten ist alles vorbei 
Der Batterietausch erfolgt in den Wechselstationen vollautomatisch. Um die Alterung des Akkus muss sich ein NIO-Fahrer keine Gedanken machen. Zudem kann er zwischen zwei, bald drei Batteriegrößen wählen.
In fünf Minuten ist alles vorbei
Der Batterietausch erfolgt in den Wechselstationen vollautomatisch. Um die Alterung des Akkus muss sich ein NIO-Fahrer keine Gedanken machen. Zudem kann er zwischen zwei, bald drei Batteriegrößen wählen.

Und auf Ladestationen ist der NIO ET5 noch eine ganze Weile angewiesen. Denn der Aufbau des geplanten PSS-Netzes in Europa dauert länger als von NIO erhofft. Gerade einmal zwei Stationen sind derzeit in ganz Deutschland in Betrieb, in Hilden bei Düsseldorf und in Zusmarshausen bei Augsburg. Dort kann die erschöpfte Batterie in fünf Minuten gegen eine frische ausgetauscht werden, während die Insassen im Auto bleiben.

Die bereits fertiggestellte Station in Berlin soll immerhin in Kürze in Betrieb gehen, weitere sind in der Nähe von Osnabrück sowie in Hamburg in der Planung. Bis zu den insgesamt 70 Wechselstationen, die bis zum Jahresende europaweit aktiv sein sollen, ist es also noch ein weiter Weg. Schuld daran hat allerdings nicht die Technik, sondern die Bürokratie: Den Beamten in den Genehmigungsbehörden sind die Anlagen mit einer Anschlussleistung von aktuell 550 Kilowatt, bald 1,25 Megawatt nicht ganz geheuer. Oder sie wissen sie zumindest nicht so recht einzuorden: Sind es Ladestationen, Garagen oder Gewerbeanlagen? Zumindest an der Stelle haben die NIO-Manager noch viel Arbeit vor sich.

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1 Kommentar

  1. Steff

    „LCM-Zellen“ werden vom Rest der Welt NMC-Zellen genannt.

    Bei den trinären Zellen (NCA, NMC) wird das Lithium in der Abkürzung nicht erwähnt.

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