Die Unternehmensberatung MHP aus Ludwigsburg – „a Porsche Company“ – hat kürzlich eine große Umfrage durchgeführt. In China, in den USA und in Europa. Mit einem Ergebnis, das so manchen deutschen Automobilhersteller schrecken könnte: Bis zu 50 Prozent der Menschen auch hierzulande könnte sich vorstellen, ein Elektroauto aus chinesischer Produktion zu kaufen. „Die Akzeptanz ist deutlich gewachsen“, folgert MHP-Partner Marcus Willand, der die Studie betreut hat. „Wenn die Qualität einigermaßen stimmt, spielen die entscheidende Rolle das Design, das Infotainment-System und das Preis-Leistungsverhältnis.“
Die Reaktionen auf unseren Testwagen zeigen – da ist was dran. Ok, schon durch seine Lackierung ist der NIO ET5 ein Hungucker. „Sunbathe Yellow“ heißt sie und sie lockt während unseres Tests die Neugierigen an wie ein Stück Pflaumenkuchen die Wespen. Immer wieder. Vor dem Supermarkt, an der Ladestation, irgendwo am Straßenrand. Kaum ist man dem Auto entstiegen, steht der erste Interessent davor. Mit den immergleichen Fragen und Kommentaren. Was ist das für eine Marke? Woher kommt der? Was kostet der? Darf ich mich mal reinsetzen? Und: „Der sieht schick aus“.
Von NIO haben demnach noch die wenigsten Menschen in Deutschland gehört, das Markenlogo ist 99 Prozent der Fragesteller unbekannt. Aber vom Design der 4,79 Meter langen Elektro-Limousine sind fast genau so viele schwer angetan. Und vollends hat man die Aufmerksamkeit der Gesprächspartner, wenn das Stichwort „Power Swap“ fällt – die Möglichkeit, den weitgehend leeren Akku in nur fünf Minuten gegen einen frischen mit gleicher (100 kWh) oder kleinerer (75 kWh) Speicherkapazität zu tauschen statt lange an einer Ladestation zu verweilen. „Das geht?“ Oh ja.
Akkuwechsel ist noch kostenlos
Na ja, derzeit zumindest an sieben Stellen im Bundesgebiet. 50 weitere sollen, wenn die Genehmigungsbehörden endlich spuren, im Laufe des Jahres hinzukommen. Wir haben das Glück, im Einzugsgebiet der ersten deutschen Batteriewechselstation in Hilden bei Düsseldorf überwiegend unsere Runden zu drehen, konnten den spektakulären Service während des Testzeitraums also nutzen. Und obendrein kostenlos – zumindest bis zum Jahresende arbeitet das Netzwerk zum Nulltarif. Danach dürfte wohl wie heute schon in Norwegen eine Gebühr für den Akkutausch erhoben werden.
Wer schlau ist, schließt ohnehin ein Abo für das Elektroauto ab und mietet den Akku hinzu. Denn nur dann dürfen die Wechselstationen genutzt werden, braucht man sich um die Alterung des Batteriespeichers keine Sorgen zu machen und nimmt auch an der Entwicklung der Speichertechnik teil: Sollten eines Tages Feststoffbatterien verfügbar sein, werden sie per Power Swap auch in den eigenen NIO geladen. Wer den ET5 zusammen mit der Batterie gekauft hat, schaut dann in die Röhre.
Ja, da haben die Chinesen einen USP, ein einzigartiges Verkaufsargument für ihr Elektroauto. Das andere ist ebenfalls ein nettes Feature. Es hört auf den Namen NOMI und ist ein kleiner virtueller Kobold. Der sitzt auf dem Armaturenbrett und ist auf Zuruf sofort zur Stelle, wenn der Fahrer keine Lust hat, auf dem Zentralbildschirm in einem Untermenue nach einer Möglichkeit zu suchen, etwa die Temperatur im Innenraum zu senken oder ein neues Fahrziel zu programmieren. Er weiß sogar, wie das Wetter wird und mahnt, beim Verlassen des Fahrzeugs die Fenster zu schließen – weil Regenschauer drohen.
„Bleiben Sie konzentriert“
Aber wie Kobolde so sind: Sie können auch ganz schön nerven. Und NOMI ist einer von der hyperaktiven Sorte – ständig hat er (oder sie?) etwas zu meckern. „Bleiben Sie konzentriert“, heißt es da immer wieder. Und auch schon, wenn der Fahrer nur versucht, einen Blick auf die gerade auf dem Smartphone eingetroffene SMS zu werfen. Aber Manieren hat der kleine Begleiter: Er wünscht freundlich einen „Guten Morgen“ und verabschiedet sich mit „Auf Wiedersehen“. Und er lernt mithilfe von Künstlicher Intelligenz ständig hinzu. Da kann einem schon etwas unheimlich werden.
Der NIO ET 5 legt aber nicht nur ein beeindruckendes Zeugnis ab von der hohen Kunst chinesischer Autobauer, neuartige Fahrerlebnisse zu schaffen. Auch in den klassischen Disziplinen kann der Newcomer durchaus mit Anbietern aus Europa und den USA durchaus mithalten. Das Platz- und Raumangebot für Passagiere und ihr Gepäck ist mehr als ausreichend – das neue Kombi braucht eigentlich nur, wer mehr Platz für einen Kinderwagen benötigt. Und die Güte der eingesetzten Materialien und ihrer Verarbeitung fast auf Mercedes-Niveau – auch deutlich besser als bei Tesla. Verbesserungsfähig ist lediglich die Sitzposition hinten: Personen mit langen Beinen hocken (wegen der niedrigen Dachlinie und entsprechend geringen Sitzhöhe) wie der sprichwörtliche Affe auf dem Schleifstein – und haben trotzdem nicht allzu viel Luft über dem Scheitel.
500 Kilometer Reichweite sind locker drin
Der 360 kW oder 489 PS starke Allradantrieb wiederum weiß zu gefallen, mit ordentlich Drehmoment (700 Newtonmeter) und einem effizienten Energieeinsatz: Am Ende des Tests stand bei uns ein Durchschnittsverbrauch von 16,6 kWh/100 Kilometer. Im Stadtverkehr wurden sogar Werte knapp oberhalb von 10 kWh/100 km im Bordcomputer angezeigt. Für ein Elektroauto mit einem Leergewicht von über 2,2 Tonnen ist das ein respektabler Wert. Reichweiten von 500 Kilometern und mehr sollten sich damit locker erreichen lassen. Zumindest in den warmen Jahreszeiten und bei Fahrgeschwindigkeiten nicht über 140 km/h auf der Autobahn.
Einen Wunsch hätten wir trotzdem noch: An der Ladeleistung des NIO ET 5 sollten sie in Chuzhou – oder in Berlin – unbedingt noch arbeiten. Maximal 125 Kilowatt sind für ein Elektroauto mit einem 100 kWh-Akku im Fahrzeugboden wirklich nicht angemessen. Und auch nicht ausreichend, solange nicht alle 100 Kilometer eine Power Swap-Station steht: Die Ladepausen am Schnelllader können so speziell in den Abendstunden quälend lange werden. Und ein leistungsfähigerer Onboard Charger sollte bei einem Auto mit einem Verkaufspreis von rund 50.000 Euro (ohne Akku) doch drin sein, ohne dass das Geschäft gleich rote Zahlen schreibt.
Bei NIO, erzählte uns MHP-Berater Willand, sollen sie sehr lernfähig sein und schnell auf Kundenwünsche reagieren. Mal schauen, wie schnell und wohin die Ladeleistung noch klettert.