Dass die Chinesen drauf und dran sind, Weltmarktführer bei der Elektromobilität zu spielen, hat sich schon herumgesprochen. Bei der Produktion der dafür entscheidenden Batteriezellen sind sie mit Branchenriesen wie CATL oder BYD ohnehin marktbeherrschend. Und mittlerweile machen sie auch bei der Software große Sprünge. Mit coolen digitalen Unterhaltung-Tools und permanenten Over-the-Air-Updates.

Das Start-up NIO zählt da mit 10.707 verkauften Autos im Juni und 54.561 Fahrzeugen im ersten Halbjahr zwar noch nicht zu den Big Macs aus Fernost, aber garantiert zu den spannendsten Playern auf dem Weltmarkt. Ein Hersteller, der sogar von Porsche detailliert beobachtet wird. „Die Marke ist technisch wirklich interessant, und deshalb haben wir sie derzeit auch auf dem Radar“, verriet uns vor kurzem Porsche-Entwicklungschef Michael Steiner am Rande einer Veranstaltung.

Magnet für Talente
Hui Zhang, der europachef von NIO hofft mit dem Innovation Center Berlin "führende Softwareentwickler und Ingenieure für die zukünftige Entwicklung der auf unsere User zugeschnittenen Fahrzeuge anziehen“ zu können. Fotos: NIO
Magnet für Talente
Hui Zhang, der Europachef von NIO, hofft mit dem Innovation Center Berlin „führende Softwareentwickler und Ingenieure für die zukünftige Entwicklung der auf unsere User zugeschnittenen Fahrzeuge anziehen“ zu können. Fotos: NIO

Spezialität von NIO sind Batterie-Wechselstationen (Power-Swap-Stations), in denen die leeren Einheitsakkus der NIO-Modelle vollautomatisch in knapp fünf Minuten gegen ein zu 90 Prozent gefülltes Exemplar getauscht werden. Wenn es zum Beispiel auf die Urlaubsreise gehen soll, auch gegen eine Batterie mit größerer Kapazität. Mittelfristig sollen alle wichtigen Großstädte und deutschen Hauptreiserouten mit diesen Wechslern bedient werden. In China gibt es schon über 1500 Exemplare davon. Für Deutschland sind bis 2030 mindestens 40 Wechselstationen geplant. Und mit der neuesten Version 3.0 soll sich die Wechselzeit noch einmal um eine Minute verkürzen, erfahren wir in Berlin am Rande der Veranstaltung.

Neue Billigmarke ab 2025

Interessant sind auch diese trendig gestylten NIO Houses, die nach Berlin nun schrittweise in diversen deutschen Großstädten eröffnet werden. Mit denen wollen die Chinesen in unseren Metropolen kulturelle Treffpunkte für ihre Community etablieren, die weit übers Thema Auto hinausgehen. Inklusive: Cafés mit den besten Kaffees der Cities, mietbare Arbeitsräume, Spielecken für die Kinder, Kunstgalerien mit wechselnden Ausstellungen, dazu Bibliotheken und natürlich hippe Bars. Nebenbei werden auch die aktuellen Elektroautos der Marke verkauft.

Und das sind mittlerweile gar nicht mal so wenige. Im Angebot sind bereits die Luxuslimousine ET7, zwei elitäre SUV-Modelle (EL6 und EL7) in verschiedenen Größen, dazu der Mittelklässler ET5 als Limousine und als praktischen Kombi. Letzterer kann ab August konfiguriert werden. Stets mit Vollausstattung und alle Modelle, egal ob im All-inclusive-Abo oder im Direktkauf, zu selbstbewusst hohen Preisen. Ab 2025, so der aktuelle Stand, sollen auch kleinere und preisgünstigere City-Modelle im Format eines Fiat 500 oder Mini Cooper unter einem neuen, speziellen Marken-Label folgen. Die bei Einstiegspreisen von wohl unter 25.000 Euro allerdings keine Möglichkeit zum schnellen Tausch des Akkus bieten werden.

Batteriewechsel in fünf Minuten 
In Dorsten hat NIO kürzlich eine neue "Power-Swap"-Station in Betrieb genommen. Die dritte (nach Hilden und Zusmarshausen) in Deutschland. Bis 2030 sollen hierzulande insgesamt 40 Stationen der Art entstehen.
Batteriewechsel in fünf Minuten
In Dorsten hat NIO kürzlich eine neue „Power-Swap“-Station in Betrieb genommen. Die dritte (nach Hilden und Zusmarshausen) in Deutschland. Bis 2030 sollen hierzulande insgesamt 40 Stationen der Art entstehen.

Damit sind Sie auf dem aktuellen Stand. Und jetzt kommen wir zu Berlin. Denn soeben hat NIO in der Hauptstadt, unweit der wilden Szene-Gegend des Friedrichshain, ein interessantes Innovations Center eröffnet. Das erste in Europa. Für neue digitale Highlights und deren drahtlose Over-the-Air-Updates – also für Software und die mehr technische (in der Hardware verankerte) Firmware. Für sämtliche aktuellen NIO-Modelle, deren Steuergeräte dazu von vornherein prädestiniert sind. In Zukunft soll es bei NIO monatlich reine Software-Updates geben und mindestens einmal pro Quartal technische Auffrischungen.

Innovation-Center für neue User-Erlebnisse

Im neuen Berliner Center geht es erst einmal relativ übersichtlich los. Es hat eine Fläche von rund 1500 Quadratmetern und zum Start 25 Mitarbeiter aus elf Nationen. Aber bis zu 100 sollen es mal werden. „Mit unserem Standort in Berlin wird NIO führende Softwareentwickler und Ingenieure für die zukünftige Entwicklung der auf unsere User zugeschnittenen Fahrzeuge anziehen“, hofft Hui Zhang, Vice President NIO Europe. Auch spezielle Talente für maschinelles Lernen, Autonomes Fahren, Künstliche Intelligenz (KI) und automobile Sprachsysteme. Und nebenbei sollen die Berliner auch als operatives, europäisches Kontrollzentrum für die erwähnten Batteriewechsel-Stationen wirken.

Zur Eröffnung des Centers gab es gleich ein paar News zum Mitnehmen. So können NIO-Kunden ihr Feedback zum Auto nun diesem speziellen Sprachassistenten namens Nomi ins Stammbuch diktieren. Eventuelle Kritiken sollen dann direkt an die Entwicklungsingenieure weitergeleitet werden. Und dann tatsächlich über Updates in kürzester Zeit umgesetzt werden, erklärt uns Benjamin Steinmetz, der erst 35-jährige Spezialist, der in Europa für die Produktentwicklung der Marke zuständig ist. Genau, wir reden hier über diese smarte, ins Armaturenbrett integrierte Sprachsteuerung („Hi Nomi“), die sich per KI permanent selbst perfektioniert. Wer also was zu meckern oder besondere Wünsche hat (zum Beispiel Drinks und Snacks an der Ladestation), der kann das jetzt über Nomi direkt ins Unternehmen geben. „Und wir kümmern uns dann darum“, verspricht der ehemalige VW-Manager.

„Smart Charging“ und Video-on-Demand

Außerdem soll es laut NIO mit der völlig neuen Lade-Funktion „Smart Charging“ demnächst europaweit einheitlich günstige Stromtarife geben, mit denen die „User“ (genau, so heißen bei NIO die Autokäufer) bis zu 50 Prozent ihrer Kosten pro Jahr sparen sollen. Und je nach Wunsch und persönlichen Vorlieben (schnell, billig oder ökomäßig laden) sollen sie prompt mit den passenden Angeboten bedient werden.

Nomi macht mal Pause 
Der kleine Sprachassistent an Bord der NIO-Autos soll sich mithilfe von Künstlicher Intelligenz selbst perfektionieren. Dazu braucht es stete Updates, die auf das System über eine Mobilfunkverbindung "over the Air" aufgespielt werden.
Nomi macht mal Pause
Der kleine Sprachassistent an Bord der NIO-Autos soll sich mithilfe von Künstlicher Intelligenz selbst perfektionieren. Dazu braucht es stete Updates, die auf das System über eine Mobilfunkverbindung „over the Air“ aufgespielt werden.

Und mit „ScreenHits“ wiederum soll per Over-the-Air-Update eine Video-on-Demant-Technologie in NIOs Elektroautos flutschen. Der britische Streaming-Anbieter ScreenHits-TV wird dann in Europa einen permanent abrufbaren Zugang ermöglichen – einschließlich Live-TV, den aktuellen Lieblingsserien und Computerspielen. In 59 Ländern und 30 Sprachen. ScreenHits-Chefin Rose Hulse kam übrigens persönlich zur Center-Eröffnung und schwärmte von der Zusammenarbeit mit NIO: „Wir wollten unsere Technik unbedingt auch ins Auto bringen.“ Klar, das Instant-Kino läuft dann selbstverständlich auch außerhalb des Autos auf Smartphone, Tablet oder im TV. Dito klar: Da werden natürlich auch Gebühren fällig. Das werde gerade noch verhandelt, hören wir von NIO, möglicherweise läuft es auf 99 Cent pro Abo-Monat hinaus.

NIO demnächst auch mit AR-Brille erfahrbar

Darüber wurde in Berlin nicht geredet, aber hinter den Kulissen ist NIO für Europa auch weiter an der Augmented Reality-Brille (AR) dran, die in China schon längst auf dem Markt ist. Wer das Ding auf der Nase hat, erlebt 3D-Filme so als liefen die gerade auf einem 130-Zoll-Bildschirm. Die Technik entstand in Zusammenarbeit mit Nreal, einem AR-Gerätehersteller, in den NIO investiert hat. Sie soll auch bei uns mal ein wesentlicher Bestandteil von PanoCinema werden, dem digitalen Panoramacockpit von NIO. Das lässt sich auch gut mit dem immersiven 7.1.4-Soundsystem und Dolby Atmos der NIO-Modelle kombinieren. Und weil dieses Nasenkino auch mit Anti-Shake- und Anti-Glare-Technologien arbeitet, lassen sich Film selbst dann in Ruhe zu genießen, wenn sich das Auto über Kopfsteinpflaster holpert. „In Europa geht es noch um die Zertifizierung dieser Technik“, sagt Steinmetz. Er will deshalb für diese Wunderbrille auch noch kein konkretes Start-Datum verraten.

Jedenfalls drückt NIO beim Digitalen gewaltig aufs Tempo, inzwischen arbeiten weltweit mehr als 6000 Software-Entwickler für das Unternehmen. „Wir sind nicht nur eine Autofirma, sondern auch ein hoch spezialisiertes Software-Unternehmen“, postulierte in Berlin Vice President Mark Zhou als Chef von NIO’s Produktkomitee. Die Marke habe definitiv immer die weltweit neuesten Chips im Auto, aktuell ist es die ultraschnelle Drive Orin-Generation von NVIDIA. Die Rechenleistung der NIO-Computer, verkündet Zhou, sei in den letzten fünf Jahren um das fünfhundertfache gestiegen.

Und Europa-Manager Zhang ist auch für die Verkaufszahlen wieder schwer optimistisch. „Wir haben jetzt sämtliche Modelle unserer Marke auf die neue NT2.0-Plattform umgestellt“. Das habe natürlich ein bisschen gedauert, aber das werde sich nun schnell sehr positiv auf den weltweiten Absatz der NIO-Modelle auswirken. „Das werden Sie in den nächsten Monaten deutlich sehen.“

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