Sie nennen ihn ein SUV-Coupé, dabei sieht er auf den ersten Blick eher aus wie eine Limousine. Wobei der Blick auf das Heck erst einmal für Stirnrunzeln sorgt: Wo ist hier eigentlich die Heckscheibe geblieben? An das große Panorama-Glasdach schließt sich die Heckklappe beinahe nahtlos an. Lediglich ein Heckspoiler mit aufgesetzter Rückfahrkamera trennt die beiden Bereiche. Und ein erster Blick durch eine der hinteren Seitentüren (die für ein Coupé eher ungewöhnlich sind) bestätigt: Da ist nichts außer einer Sitzbank mit zwei vollwertigen und einer halbwertigen Sitzfläche samt Kopfstützen und eine hintergrundbeleuchtete Soundbar, die sich über die gesamte Breite erstreckt.

Und vorne gibt es zwar einen Rückspiegel. Der aber in der analogen Einstellung nur die Fondpassagiere zeigen kann. Um während der Fahrt den nachfolgenden Verkehr beobachten zu können oder rückwärts einzuparken, muss entweder der „Dual Mode“-Spiegel von Gentex in den digitalen Modus wechseln. Oder der Fahrer begnügt sich mit den Bildern der beiden Außenspiegel – und vertraut auf seine Erfahrung.

Sportliche Dachlinie
Eine Mischung aus Sport-Utility und Sport-Coupé soll der neue Polestar 4 sein. Auf den ersten Blick ist es eine Limousine.
Sportliche Dachlinie
Eine Mischung aus Sport-Utility und Sport-Coupé soll der neue Polestar 4 sein. Auf den ersten Blick ist es eine Limousine.

Der neue Polestar 4, der seit kurzem auch über unsere Straßen rollt, sorgt mit Sicherheit für Aufsehen und Diskussionen. Weil er einerseits atemberaubend gut aussieht, andererseits Gewohnheiten verändert: Wozu eine Heckscheibe, wenn man durch sie aufgrund des flachen Sichtwinkels ohnehin nicht mehr viel sieht oder aufgrund der Dachkonstruktion hinten bei einer Körpergröße von 1,80 Metern nicht mehr aufrecht sitzen könnte?

Kuscheln im Fond

Maximilian Missoni, bis vor kurzem noch Chefdesigner bei Polestar, hat auf beide Fragen eine konsequente Antwort gefunden und durch den Verzicht auf die Heckscheibe sicher auch noch einige Kilogramm Gewicht gespart. Ob sich die Autokäufer mit der Entscheidung anfreunden können ist eine andere Frage, deren Beantwortung wohl noch einige Zeit braucht. Bei unserer ersten Testfahrt mit dem Polestar 4 fühlten wir uns im kuscheligen Fond einerseits recht gut aufgehoben, wenngleich die Füße nicht unter den (nach unten gefahrenen) Vordersitz passen mochten. Andererseits braucht es auf dem Fahrersitz auch immer wieder die eine oder andere Sekunde, bis sich die Augen auf die Bilder des Digitalspiegels eingestellt hatten.

Kopfstützen - und nichts dahinter 
Durch den Verzicht auf die Heckscheibe konnte die C-Säule weiter nach hinten verlegt und den Fondpassagieren mehr Kopffreiheit gewährt werden. Die Konzeption ist bislang einzigartig - und vor allem für den Fahrer gewöhnungsbedürftig.
Kopfstützen – und nichts dahinter
Durch den Verzicht auf die Heckscheibe konnte die C-Säule weiter nach hinten verlegt und den Fondpassagieren mehr Kopffreiheit gewährt werden. Die Konzeption ist bislang einzigartig – und vor allem für den Fahrer gewöhnungsbedürftig.

Alles Gewöhnungssache, heißt es bei Polestar. Die Manager der Geely-Tochter und Volvo-Schwester setzen große Stücke auf den „P4“, der die Lücke zwischen dem (noch auf einer Volvo-Plattform basierenden) Polestar 2 und dem großen Polestar 3 schließen soll. Über die merkwürdige Zahlenlogik haben wir schon an anderer Stelle die Stirn gerunzelt – hier lassen wir sie einfach mal so stehen.

In 3,8 Sekunden auf Tempo 100

Mit einer Länge von 4,84 Metern und einer Höhe von 1,53 Metern ist der Polestar 4 um gut 20 Zentimeter länger als ein Polestar 2 (4,61Meter lang) und auch nur geringfügig (fünf Zentimeter) höher – warum er da als SUV vermarktet wird, erschließt sich da nicht sofort. Zumal er wie die Polestar-Limousine auch mit Heckantrieb angeboten wird und die Geländegängigkeit auch des allradgetriebenen Polestar 4 nicht allzu hoch ist, wie ein kleiner Ausflug mit dem Testwagen ins Grüne zeigte. Auch da muss das Produktmarketing noch mal ran.

Asphaltcowboy
Auch mit Allradanrieb fühlt sich der Polestar 4 abseits asphaltierter Straßen nicht sonderlich wohl. Fotos: Rother
Asphaltcowboy
Auch mit Allradanrieb fühlt sich der Polestar 4 abseits asphaltierter Straßen nicht sonderlich wohl. Fotos: Rother

Die Ingenieure um Technikvorstand Lutz Stiegler hingegen haben gute Arbeit geleistet und dem Polestar 4 ein Fahrverhalten verpasst, das „erwachsener“ und noch dynamischer scheint als das der Schwestermodelle Smart #3 und Zeekr 001, die ebenfalls die SEA-Plattform von Geely nutzen. Das Fahrwerk ist sportlich-straff abgestimmt, die Kurvenlage exzellent. Auf leicht feuchter Fahrbahn neigte der Stromer in schnell gefahrenen engen Kurven zwar zum Übersteuern – das Heck schwenkte leicht aus. Das ESP-System fing es allerdings schnell wieder ein.

Und die Versuchung ist groß, es auf nicht Tempolimit-behafteten Straßen es im Polestar 4 etwas flotter angehen zu lassen. Zumal die Lenkung mit hoher Präzision arbeitet und die Bremsen hochwirksam verzögern. Und an Antriebskraft fehlt es beileibe nicht, zumindest nicht in der von uns getesteten Allradversion „Long Range Dual Motor“ mit 400 kW oder 544 PS. Ein leichter Fußtritt – und in 3,8 Sekunden ist auf dem kleinen Display hinter dem Lenkrad Tempo 100 angezeigt. Die heckgetriebene Version muss sich mit 200 kW begnügen – 20 weniger als im Polestar 2.

100 kWh-Akku für bis zu 620 Kilometer Reichweite

Für ordentlich Reichweite sorgt dabei in beiden Versionen ein 100 kWh fassender Lithium-Ionen-Akku. Der Allradler legt damit (theoretisch bzw. nach der WLTP-Norm) bis zu 590 Kilometer zurück, die heckgetriebene Basisversion sogar bis zu 620 Kilometer. Bei einem Durchschnittsverbrauch von 21,6 kWh/100 m auf unserer Testfahrt hätten wir allerdings schon nach spätestens 460 Kilometer eine Ladestation ansteuern müssen.

Blickkontakt
Der Polestar verfügt über einen "Dual Mode"-Spiegel. Was hinter dem Auto passiert, erfährt der Fahrer nur im Digitalmodus.
Blickkontakt
Der Polestar verfügt über einen „Dual Mode“-Spiegel. Was hinter dem Auto passiert, erfährt der Fahrer nur im Digitalmodus.

Für ähnliche Norm-Reichweiten reicht dem Polestar 2 aufgrund des um fast 200 Kilogramm geringeren Gewichts ein 82 kWh großer Akku. Geladen wird der im Polestar 2 allerdings mit maximal 150 kW – im Polestar 4 rauscht der Gleichstrom immerhin mit bis zu 200 kW in die Zellen. Mehr gibt die 400-Volt-Architektur nicht her.

Bidirektionales Laden ist vorbereitet

Laut Technikchef Stiegler war der Verzicht auf eine 800-Volt-Architektur eine bewusste Entscheidung. Zum einen kann Polestar so seinen Kunden über seinen Ladepartner Plugsurfing eine Nutzung des Tesla-Supercharger-Netzes (das Ladeleistungen von maximal 240 kW zulässt) zu günstigen Konditionen anbieten. Zum anderen sparte sich Polestar dadurch den Einbau eines teuren Onboard-Chargers für das bidirektionale Laden mit Wechselstrom: Der Polestar 4 kann den im Fahrzeug-Akku gespeicherten Gleichstrom ohne eine Wandlung an Bord wieder ausspeisen – benötigt dafür allerdings auch eine spezielle und etwa doppelt so teure DC-Wallbox. Die dafür erforderliche Software wird allerdinds erst zu einem späteren Zeitpunkt aufgespielt.

Dynamiker 
Wer nicht aufpasst, hat das Tempolimit schnell gerissen. Weil der Polestar 4 rasant beschleunigt - und Verkehrsschilder mit Geschwindigkeitsangaben nur unzuverlässig erkennt und richtig ausliest.
Dynamiker
Wer nicht aufpasst, hat das Tempolimit schnell gerissen. Weil der Polestar 4 rasant beschleunigt – und Verkehrsschilder mit Geschwindigkeitsangaben nur unzuverlässig erkennt und richtig ausliest. Fotos: Polestar

Ansonsten gefiel der Polestar 4 mit hohem Sitz- und (dank einem aufwändigen Soundsystem von Harman Kardon) auch Hörkomfort, die Qualität der Schildererkennung war allerdings trotz zwölf Kameras an Bord nur mäßig: Tempolimits auf der Strecke wurden nur etwa gut zur Hälfte korrekt angezeigt. Sportliche Fahrer müssen also auf der Hut sein.

4000 Euro Sofortrabatt zum Start

Apropos sportlich: Wer sich beeilt, bekommt den neuen Polestar 4 noch zu deutlich vergünstigten Konditionen: Bis zum 15. November gewährt der Hersteller einen Sofortrabatt von 4000 Euro. Als Hecktriebler ist das Modell dann schon für 57.900 Euro erhältlich, als Allradler für 65.900 Euro. Das wären dann nur etwa 5000 Euro mehr als für den Polestar 2 Long Range Single Motor (52.690 Euro) und nur 2500 Euro mehr als für den allradgetriebenen Polestar 2 mit Performance-Paket (63.490 Euro). Vorausgesetzt, man kann sich mit dem Verlust der Heckscheibe arrangieren.

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