Gerade einmal fünf Jahre ist es her, dass aus der Tuningmarke Polestar der elektrische Ableger der Volvo Car Group wurde. Sie wissen schon: des traditionsreichen schwedischen Autoherstellers, der sich nach einem kurzen Gastspiel bei der Ford Motor Company seit 2010 im Besitz der chinesischen Geely Holding Group befindet. Ebenso übrigens wie Lotus und die London EV Company (LECV), die sich auf die Herstellung und den Vertrieb von elektrisch angetriebenen Taxen spezialisiert hat.
Und die Polestar Automotive Holding, wie das börsennotierte Unternehmen offiziell heißt, entwickelt sich unter Führung des deutschen Designers Thomas Ingenlath prächtig: Im vergangenen Jahr hat das Unternehmen mit 51.500 Einheiten rund 80 Prozent mehr Fahrzeuge abgesetzt wie im Jahr davor, trotz Lieferengpässen und Logistikproblemem im Gefolge der Corona-Pandemie. Wie sich das auf das Betriebsergebnis ausgewirkt hat, werden wir am 23. März erfahren.
Einer der größten Märkte für Polestar weltweit war im vergangenen Deutschland, wo immerhin 7008 Elektroautos abgesetzt wurden – doppelt so viele wie im Jahr zuvor. Willem Baudewijns, der seit Mai vergangenen Jahres für die Geschäfte von Polestar in Deutschland und den Niederlanden verantwortlich ist, zeigte sich im Gespräch mit EDISON sehr zufrieden mit der Entwicklung. Auch mit der in seinem Heimatland, wo 2022 trotz eines intensiven Wettbewerbs rund 2500 Exemplare des Polestar 2 abgesetzt wurden – des nach dem Ausverkauf des 156.000 Euro teuren und auf 1500 Einheiten limitierten Plug-in-Hybrids Polestar 1 derzeit einzigen Modells der Marke.
Modellvielfalt und Ladeleistung steigt 2023
Das wird sich in diesem Jahr allerdings ändern. Mit der Markteinführung des knapp 90.000 Euro teuren Polestar 3 und der Enthüllung des Polestar 4 – eines sportlichen Crossovers, für das Firmenchef Ingenlath mal einen Verkaufspreis um die 55.000 Euro genannt hatte und der 2024 zunächst in China auf den Markt kommt.
„Der neue Polestar 3 hebt den Wettbewerb auf ein neues Niveau“, ist sich Baudewijns sicher. „Wir gehen damit in ein sehr interessantes Segment, eines, das weiter wächst und weiterhin sehr profitabel ist.“ Der 4,90 Meter lange und 360 bzw. 380 kW (490 bzw. 517 PS) starke „Performance SUV“ werde die Position von Polestar als Premiumanbieter weiter stärken. Zumal er, wie Technikchef Jörg Brandscheid kürzlich im Gespräch mit EDISON verriet, dank der Umstellung auf eine 800-Volt-Architektur mit einer Ladeleistung von wenigstens 250 kW an den Start gehen wird. Lediglich 20 Minuten wird es damit dauern, den Ladestand von 10 auf 80 Prozent zu heben.
Und der Polestar 3 wird neben dem überarbeiteten Polestar 2 maßgeblich dazu beitragen, das weltweite Absatzziel von wenigstens 80.000 Einheiten zu erreichen. Das wären nochmal 60 Prozent mehr als im abgelaufenen Jahr. „Das heißt nicht zwangsläufig, dass wir in Deutschland ebenfalls ein Plus von 60 Prozent sehen werden“, baut Geschäftsführer Baudewijns vor. „Aber natürlich wird der Absatz auch hier deutlich steigen, weil wir unser Angebot nicht nur verbessern, sondern auch erweitern.“
Der Polestar 3 kann inzwischen im Internet oder in den neun deutschen und vier niederländischen Polestar-„Spaces“ bestellt werden. Und laut Baudewijns füllen sich die Orderbücher schnell – Zahlen zum Bestelleingang mochte er allerdings nicht verraten.
Keine Preissenkungen wie bei Tesla
Das Volumen- und Einstiegsmodell wird allerdings der Polestar 2 bleiben, der zum Sommer und für das Modelljahr 2024 wie bereits berichtet noch einmal kräftig aufgewertet wird. Unter anderem mit einem effizienteren Antrieb und einer neuen, leistungsfähigeren Batteriegeneration, welche die Reichweite der Elektro-Limousine deutlich vergrößern.
Zudem gab es ein Facelift, um das Modell optisch näher an den neuen Polestar 3 heranzuführen und den Abstand zu Volvo zu vergrößern. Obendrein wird das Modell in der Basisversion vom Front- auf einen Heckantrieb umgestellt, was die Performance noch einmal deutlich verbessern soll. Baudewijns ist begeistert: „Wir haben ein unglaublich gutes Update für den Polestar 2.“
Allerdings ist das Update auch mit einer spürbaren Preiserhöhung verbunden. Und das, obwohl Wettbewerber Tesla die Preise für einige seiner Modelle deutlich gesenkt hat. „Wir haben gesehen, was Tesla angekündigt hat“, sagt Baudewijns dazu. „Aber wir verfolgen unseren eigenen Plan, unsere eigene Strategie. Und an der halten wir fest.“
Überhaupt: Tesla. Das US-Unternehmen sieht Baudewijns nicht als seinen Hauptwettbewerber an, auch nicht die anderen neuen Player auf dem Markt, die sich auf Elektroautos spezialisiert haben. Polestar sei inzwischen vielmehr eine „respektable Alternative“ zu den deutschen Premiumanbietern. „Wir verkaufen in den Niederlanden bereits heute mehr Polestar 2 als Mercedes von der C-Klasse oder Audi vom A4.“ Und weltweit verkaufe man mehr Elektroautos als Porsche vom Modell Taycan. Soll heißen: Die Latte liegt sehr hoch – und soll eher höher gelegt als abgesenkt werden. Zumal sich die Abzeichen verdichten, dass die Lieferprobleme in diesem Jahr „endgültig“ gelöst werden können.
Reduzierung des Umweltbonus kommt zu früh
Wobei die Rahmenbedingungen für Elektroautos sich im neuen Jahr verschlechtert haben. Durch eine hohe Inflationsrate, weiterhin hohe Energiepreise und die Reduzierung der staatlichen Förderung für die Antriebswende. Die Auswirkungen spürt auch Polestar – die Nachfrage habe sich zum Jahresbeginn deutlich abgeschwächt, räumt Baudewijns ein. „Die Leute werden etwas Zeit brauchen, um sich mit den neuen Rahmenbedingungen zu arrangieren“. Es sei „schade“, dass der Umweltbonus für Batterieautos reduziert wurde. „Ich denke, das kommt zu früh. Die Nachfrage nach Elektroautos muss weiter stimuliert werden, wenn die Antriebswende gelingen soll. Aber der Markt ist der Markt – den können wir nur eingeschränkt beeinflussen.“
Trotzdem ist beim Deutschland-Chef von Polestar die Zuversicht groß, in diesem Jahr weiter deutlich zu wachsen. Große Hoffnung setzt er dabei auf die gewerblichen Kunden. „Die Elektrifizierung der Autoflotten wird weiter zunehmen, trotz Inflation, Preisdruck und verringerten Kaufprämien. Denn die großen Unternehmen in Deutschland und in den Niederlanden haben sehr ehrgeizige CO2-Ziele. Und das muss sich in den Fuhrparks niederschlagen. Sie werden deshalb weiter Batterieautos kaufen, auch weil Elektroautos geringere Betriebskosten.“ Zudem sei der politische Druck anhaltend hoch: In den Niederlanden dürften ab 2025 nur noch Geschäftswagen zugelassen werden, die über einen Elektroantrieb verfügen.