Es gibt kaum eine bessere Möglichkeit, ein neues Auto zu verstehen, als es gemeinsam mit den Ingenieuren zu erleben, die es entwickelt haben. Unsere erste Testfahrt mit dem Prototyp des kommenden Porsche Cayenne im Hinterland von Barcelona zeigte allein die Fähigkeiten des Fahrzeugs, sondern bot auch einen tiefen Einblick in die Gedankenwelt der Ingenieure, die den SUV der nächsten Generation aktuell entwickeln.
Der neue vollelektrische Cayenne wird ab Sommer 2026 an Kunden ausgeliefert. Insgesamt fuhren wir drei Versionen des Cayenne Electric, allesamt als Vorserienprototypen stark getarnt: das Basismodell, den Cayenne S und das Spitzenmodell Turbo. Dieser Cayenne soll das fortschrittlichste Serienmodell von Porsche sein. Die Ingenieure haben dazu alles an Technologie in die Waagschale geworfen, was Unternehmen und Zulieferer aktuell zu bieten haben.

Im direkten Vergleich mit dem nur teilelektrifizierten Vorgängermodell fallen die Verbesserungen in der Geländegängigkeit klar auf.
Die breiten Proportionen und die vertraute Oberfläche erinnerten an den Macan Electric – nur eben größer. Die markante Tagfahrleuchte vorn und die über die gesamte Breite reichende LED-Leiste am Heck sind trotz Tarnung deutlich zu erkennen. Das größte Aufsehen erregt die Turbo-Variante, die mit einer Reihe ausfahrbarer vertikaler Aero-Blades aufwartet. Nicht aus Gründen der Optik, sondern zur Verbesserung der Aerodynamik. Damit führt das SUV-Flaggschiff von Porsche erstmals Designelemente ein, die sich optisch vom Rest der Modellreihe unterscheiden.
Türen schließen sich auf Knopfdruck selbst
Im Innenraum ist das Design ebenfalls komplett neu. Der elektrische Cayenne verfügt über ein gebogenes Zentraldisplay: eine fast quadratische Einheit von bemerkenswerter Klarheit, deren Layout physische Bedienelemente mit einem vertrauten Taycan-artigen Armaturenbrett verbindet. Es gibt wie bei Rolls-Royce Türen, die sich per Knopfdruck öffnen und schließen, ein großes Panorama-Glasdach mit elektrischer Dimm-Funktion und eine Ambientebeleuchtung, die sich dem Fahrmodus anpasst. Auch das Platzangebot und der Komfort in der zweiten Reihe wurde verbessert, unter anderem mit elektrisch verstellbaren Sitzen. Und es gibt gegenüber dem noch konventionell angetriebenen Vorgängermodell einen um etwa 100 Liter gewachsenen Kofferraum. Da vorne kein V8 mehr Platz beansprucht, steht zusätzlich nun ein Frunk mit 90 Litern Volumen für das Ladekabel und andere Dinge zur Verfügung.

Der Innenraum des Porsche Cayenne Electric war bei der Prototypenerprobung noch stark getarnt. Sogar das Porsche-Logo im Lenkrad war abgeklebt. Teilweise freigelegt ist das großflächige und leicht gebogene Info-Display des Porsche-typischen Cockpits. Fotos: Porsche
Vom Fahrersitz aus fühlt sich alles überzeugend nach Porsche an. Die Sitzposition ist niedrig und sportlich, die Lenkung wunderbar direkt und das immense Gewicht des Autos von 2,7 Tonnen wird mit erstaunlicher Effektivität kaschiert. Ein wichtiger Faktor dabei ist das neue Active Ride-Fahrwerk, mit dem das Fahrzeug Roll- und Nickbewegungen aktiv kontrollieren kann und damit die Grenzen eines SUV neu definiert. Es neigt sich in Kurven wie eine Sportlimousine und gleitet mit unheimlicher Ruhe über unebene Oberflächen. Die Hinterachs- und die Vorderachslenkung arbeiten harmonisch zusammen, um die Agilität bei niedrigen Geschwindigkeiten und die Stabilität bei hohen Geschwindigkeiten zu verbessern.
Über 1000 PS im Overboost-Modus
Die Turbo-Variante leistet im „Overboost“-Modus mehr als 745 kW oder 1.000 PS. Sie ist schneller als nötig, insbesondere wenn man die Launch Control aktiviert, die einen vehement in die weichen Ledersitze drückt. Diese Leistung wird durch die Keramik-Verbundbremsen ausgeglichen, während die Traktion durch ein vollvariables Allradantriebssystem nebst elektrischem Torque Vectoring geregelt wird. Per Tastendruck lässt sich der synthetische V8-Sound für jene Kunden deaktivieren, die die Stille eines Elektroautos bevorzugen.

Gleichstrom nimmt der Porsche Cayenne Electric dank eines 800-Volt-Bordnetzes mit bis zu 400 Kilowatt auf.
Während die meisten Besitzer des Cayenne Electric wahrscheinlich nie asphaltierte Straßen verlassen werden, haben wir es getan. Und gerade hier glänzte der Elektro-SUV eindrucksvoll. Das optionale Offroad-Paket umfasst überarbeitete Stoßfänger für bessere Bodenfreiheit und Böschungswinkel – eine Hommage an die Offroad-Wurzeln des Cayenne.
Laden mit bis zu 400 kW
Trotz seines technologischen Fokus hat der Cayenne Electric nichts von seinem „Go-anywhere”-Spirit eingebüßt und wird so selbst ernsthaften Offroad-Fans gerecht. Dabei bietet der Cayenne EV eine WLTP-Reichweite von bis zu 640 Kilometern, eine neue 113-kWh-Batterie mit fortschrittlicher Chemie und eine 800-Volt-Architektur, die das Laden mit bis zu 400 Kilowatt ermöglicht. Das bedeutet eine Aufladung von 10 bis 80 Prozent in weniger als 16 Minuten und eine Reichweite von bis zu 300 km in 10 Minuten. Ebenso beeindruckend ist die Rekuperation von Bremsenergie mit bis zu 600 kW. Genau so viel Eneregie gewinnen Rennwagen der Formel E beim Bremsen zurück.
Ob der neue Porsche Cayenne die edle SUV-Liga neu definiert und Wettbewerbern wie dem Lucid Gravity, einem Range Rover Electric oder auch einem Lotus Eletre 900 zeigen kann, was eine Harke ist, muss sich noch zeigen; aber es setzt in jedem Fall Maßstäbe für einen Cayenne.