Ein klein wenig Hoffnung gibt es noch, dass es der Sion noch auf die Straße schafft. Trotz der aktuellen Sonnenfinsternis, die aktuell über dem kleinen Solarauto von Sono Motors lastet. Die Rettungskampagne #savesion hatte nach 50 Tagen mit rund 47 Millionen Euro zwar nicht einmal die Hälfte der benötigten Summe von über 104 Millionen Euro zusammengebracht, um das Auto zur Serienreife zu bringen. Doch Laurin Hahn und Jona Christians, die beiden Gründer des Münchner Start-ups, geben sich noch nicht geschlagen. Sie haben die Finanzierungskampagne jetzt noch einmal bis zum 28. Februar verlängert. „Wir befinden uns in laufenden Gesprächen mit potenziellen Investoren und denken, dass wir mit der Verlängerung der Kampagne unser Ziel von 100 Millionen Euro erreichen und das Sion-Programm fortsetzen können“, teilte das Unternehmen am 26. Januar 2023 mit.
Die Community jedenfalls steht weiterhin zum Unternehmen und hinter dem Konzept des schwarzen „Sonnenwagens“, der einen Großteil der Antriebsenergie mithilfe von Solarzellen gewinnen will, die großflächig über die gesamte Karosserie des Elektroautos verteilt sind: Über 1600 Fahrzeuge wurden bis zum 28. Januar neu geordert. Der Auftragseingang näherte sich damit der Marke von 50.000 Autos – das entspräche einem Nettoverkaufsvolumen von etwa einer Milliarde Euro. Zudem erhielt Sono Motors eine Finanzierungszusage in Höhe von 1,46 Millionen Euro von der Europäischen Agentur für Klima, Infrastruktur und Umwelt (CINEA), um die Entwicklung der unternehmenseigenen Solartechnologie weiter zu perfektionieren.
Auf die Solartechnik würde sich das Unternehmen konzentrieren, falls das Autoprojekt scheitern würde. Und das wäre echt schade: Bei einer Testfahrt mit einem Vorserienfahrzeug in Böblingen haben wir den Sion kennen – und schätzen gelernt.
„Mercury“ und „Neptun“ suchen die Sonne
Zwei Vorserienfahrzeuge aus der Erprobung, genannt „Mercury“ und „Neptune“, hatte das Promoteam von Sono Motors mitgebracht. Zusammengebaut in München durch den erfahrenen Entwicklungsdienstleister und Partnerfirma Bertrandt. Den „Mercury“ zum Erklären, den „Neptune“ zum Fahren. Beide Fahrzeuge sind auf dem letzten Stand der Technik, erklärte uns der CTO Markus Volmer. Bevor wir zur Probefahrt starten, weist er uns stolz auf den Wert von 180 Watt in der Cockpit-Anzeige: Soviel Leistung speisen die in der Karosserie integrierten PV-Zellen bei der tieferstehenden Sonne in der kobaltfreien LFP Batterie.
Die neuartige Blade-Batterie wird direkt vom Hersteller BYD aus China bezogen und kann brutto 54 Kilowattstunden (kWh) Strom speichern. Bei einem Normverbrauch von 16 kWh/100 km ergibt sich daraus schon einmal eine Reichweite von nominell 305 Kilometern. Die Sonne soll zusätzlich zwischen 112 und 245 Kilometer pro Woche beisteuern, je nach Jahreszeit und Wetterlage. In Summe rund 5800 Sonnenkilometer im Jahr. Wir wollen es mal glauben.
Ordentlich Platz für fünf
Sofort überzeugt sind wir von dem Raumangebot des Sion. Der Einstieg in den Fünftürer ist komfortabel, der Platz sowohl vorne wie hinten für eine fünfköpfige Familie ausreichend. Der Sitzkomfort vorne ist sehr gut, die Ergonomie in Ordnung, bis auf die zu kurze Mittelarmlehne. Leider gilt das Gleiche nicht für die umklappbare Rücksitzbank. Die Sitzlehne ist eindeutig zu hart und zu flach geformt, außerdem fehlt eine Mittelarmlehne. Leider ist die Lenksäulenverstellung defekt und die Servolenkung noch zu schwergängig. Die endgültige Kalibrierung werde noch stattfinden, versichert Vollmer. Also schalten wir unsere Arme in den Sportmodus – los geht’s.
Der Sion liegt satt auf der Straße und überrascht mit einem sehr guten Federungskomfort bei niedrigen Geschwindigkeiten. Unebenheiten und Löcher werden vom Fahrwerk geschmeidig gedämpft. Kooperationspartner TRE hat da gute Arbeit geleistet. Mit einem Leergewicht von 1730 kg gehört der Sion zu den leichteren Stromer in seiner Fahrzeugklasse.
„Made to be shared“
Der permanent-erregte Synchronmotor legt angenehm sanft los. Maximal120 kW (163 PS) Leistung und ein maximales Drehmoment von 270 Nm sollen gut sein für eine Beschleunigung auf Tempo 100 in neun Sekunden. Wir haben keine Stoppuhr dabei, aber das glauben wir. Die Bremsen können wir nicht ernsthaft prüfen, aber das von vielen gewünschte One-Pedal-Driving funktioniert.
Der Wendekreis beträgt elf Meter, das ist ein guter Wert. Leider sind die Rückfahrkamera und weitere Infotainment-Funktionen noch nicht voll funktionsfähig. Die Sicht nach vorne ist durch die hohe Sitzposition zwar gut, aber nach hinten durch die sehr schmale Heckscheibe und den kleinen Seitenspiegel ziemlich schlecht. Beim Aussteigen greifen wir zum Türöffner, der sehr klein geraten ist und nicht sehr stabil aussieht. Hier sollte Sono Motors unbedingt nachbessern!
In den Türgriffen aussen fällt ein nettes Detail auf: Die Designer haben die Aufschrift „Made to be shared“ angebracht. Ein Hinweis auf das von Sono Motors angestrebte Carsharing: Mit der Sonos All-in-One App kann man aber nicht nur sein Auto, sondern z.B. auch den Strom teilen, Echtzeit-Daten vom Auto erhalten und die Türen öffnen. Die Software wird zusammen mit dem kalifornischen Unternehmen Sibros entwickelt und basiert auf Android Auto. Natürlich ist da auch eine OTA Update Funktionalität mit drin.
Solarzellen aus Kunststoff
Zurück in der Halle erklärt Technikchef Volmer am Ausstellungsauto „Mercury“ die Elektronik unter der Fronthaube. Da sieht alles schon ziemlich ausgereift aus. Übrigens werden mehr als die Hälfte aller Komponenten zugekauft. Den Inverter und das Ladesystem sowie den Solar-Laderegler (MCU) hat Sono Motors hingegen komplett neu entwickelt, inklusive der V2L (Vehicle-to-Loard)-Fähigkeit. Damit kann der Sion sogar mit bis 11 kW „Entlade-leistung“ beispielsweise einem anderen Batterieauto wieder Beine machen oder den Akku eines mitgenommenen e-Bike laden. Der Antriebsakku kann über einen CCS-Anschluss mit bis zu 75 kW Gleichstrom und über einen Typ-2-Stecker mit bis zu 11 kW geladen werden. Das passt. Die Steuergeräte für den Antriebsstrang und die Fahrer-Assistenzsysteme wurden zusammen mit Continental und der Schaeffler-Tochter Vitesco entwickelt. Das sollte gut funktionieren, also Haube zu.
Die Fronthaube sowie die gesamte Karosserie bestehen aus Kunststoff. Mittels eines neuen, speziellen Spritzgussverfahrens werden die monokristalline Siliziumzellen eingebettet. Und ab hier wird es richtig spannend, denn dieses innovative Konzept ist der eigentliche Clou des Sion. Und ja auch von Sono Motors. Lightyear verwendet für den Sonnenwagen Lightyear 0 geformte Solarmodule aus Glas. Diese sind wesentlich dicker (2-5mm), schwerer und gehen leicht zu Bruch, sind aber auch in der Herstellung teurer.
Intelligente Schaltung der Solarzellen
Chefentwickler Jan Schiermeister erklärt uns die innovative Solartechnik. Die insgesamt 456 PV-Zellen von der finnischen Firma Valoe liefern 1,2 kWp Leistung, also maximal 1200 Watt. Eine MCU (Maximum Power Point Tracking) regelt die Spannungen der unterschiedlich ausgerichteten Zellen auf dem Fahrzeug zu einem gemeinsamen Wert unter 60 Volt. Danach findet im Inverter die Umwandlung auf 400 Volt für die Batterie statt.
Um die Systemleistung zu maximieren, hat Sono Motors eine neue intelligente Schaltung der Zellen mit mehreren Anschlüssen in den Karosserieteilen realisiert. Dadurch kann auch bei einer Teilverschattung, oder falls Zellen bei einem Unfall Schaden nehmen, noch Solarenergie in die Batterie fließen.
Das klingt gut. Allerdings sieht die Oberfläche der Karosserieteile auch nach sechs Jahren Entwicklungszeit immer noch nicht perfekt aus. Das liegt zum einen daran, dass sich die Kunststoff-Zellen nur begrenzt verformen lassen und ihre Färbung den Designern wenig Spielraum lässt. Die wellige Oberfläche sowie teilweise miserable Passungen deuten aber auf Probleme in der Herstellung hin der Karosserieteile hin. Das dreiteilige Dach des „Mercury“ sieht so aus, als hätte das Auto einen Hagelschaden erlitten.
Auch diese Probleme sollen bis zur Serienfertigung behoben werden, versichert Schiermeister. Unter anderem mit einem neuen Hochdruck-Spritzgussverfahren. Ein Jahr gibt sich Sono Motors dafür Zeit – das könnte knapp werden.
Auch der Innenraum bräucht noch an einigen Stellen bis zur Serienreife noch Detailpflege: Aktuell ist der für ein 30.000-Euro-Auto noch nicht wertig genug. Insgesamt hat Sono Motors also einiges an Entwicklungsarbeit vor sich liegen. Und auch bei Valmet Automotive in Finnland wird noch kräftig gearbeitet werden müssen, um den geplanten Produktionsstart im vierten Quartal dieses Jahres zu schaffen. In sieben Jahren sollen, so die Planung, bereits 257.000 Sions vom Band gelaufen sein.
Reichen 104 Millionen Euro?
Aber werden die 104 Millionen Euro, die bis Ende Februar noch eingesammelt werden sollen, dafür reichen? Wird Sono Motors mit dem Sion tatsächlich Gewinnen einfahren können? Auch wie soll die Marke weiter wachsen? Drei Kernfragen, auf die die Gründer von Sono Motors noch keine Antwort gefunden haben.
Stefan Reindl, der Direktor des Instituts für Automobilwirtschaft (IfA) an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt in Geislingen äußerte sich in einem Interview skeptisch: „Für die Entwicklung von Fahrzeugen sowie die Produktion und die weltweite Vermarktung benötige man Milliardenbeträge. Die Summen, die Sono Motors zu Verfügung stehen würden, sollte die Rettungsaktion erfolgreich sein, sind aus meiner Sicht nur ein kleiner Tropfen auf einem heißen Stein.“ Die Zukunft von Sono Motors sieht der Professor eher als Technologiepartner eines etablierten Automobilherstellers oder – wie manche Investoren bei Sono Motors – als Zulieferer der Solartechnik.
Spätestens am 1. März wird sich das Schicksal des kleinen Sonnenwagens Sion entscheiden – und Sono Motors klären müssen, wohin die Reise geht. Weiter himmelwärts – oder zurück auf den Boden.