Die Lenkung sorgt beim Auto für die rechte Richtung und ist nicht ganz unbeachtlich eines der wichtigsten Bindeglieder zwischen Fahrer und seinem Gefährt. Nur die Lenkung macht es dem Fahrer möglich, sein Auto zu führen oder in die rechte Bahn zu lenken – egal, ob Abbiegen, Einparken, schnelles Ausweichen oder einfach nur die Spur halten.
Aktuell besteht zwischen dem zumeist allzu runden Lenk- oder Steuerrad obligatorisch eine feste Verbindung in Form einer Lenkstange, die die Befehle des Fahrzeugführers in Richtungswechsel ummünzt. Von wenigen Ausnahmen abgesehen geschieht das seit mehreren Jahrzehnten mit einer Servo-Unterstützung, die die Lenkkräfte minimiert und Kräfte spart. Dies geschah lange Jahre ausschließlich hydraulisch und mittlerweile zunehmend mit elektrischer Unterstützung – gerade bei Fahrzeugen mit einem Elektromotor oder einer Start-Stopp-Automatik, sodass die Unterstützung durch den Motor direkt vom (Neu-)Start anliegt und nicht erst der Druck im Hydrauliksystem aufgebaut werden muss.

Auf der Japan Mobility Show 2023 präsentierte die Luxusmarke im vollelektrischen Konzeptfahrzeug Lexus LF-ZC, dass das Lenkrad nicht mehr rund sein muss, wenn die Lenkbefehle per Draht an die Räder übertragen werden. 2026 soll das nun in Serie gehen.
Doch die Lenkung der nahen Zukunft geht zwei Schritte weiter, denn sie verzichtet auf die starre Verbindung in Form einer Lenkstange, die über ein Gelenk auf die Vorder- und bisweilen auf die Hinterräder einwirkt. Bei der elektronischen Steuerung mit der Bezeichnung „Steer by Wire“ (Steuerung per Kabel) ist das Lenkrad nicht mehr als ein Bedienelement wie ein Joystick, dessen elektronische Befehle rein digital umgesetzt werden und das deshalb nicht zwingend rund sein muss.
Prototypen schon vor über 25 Jahren
Der Wunsch der Ingenieure, dass man auf eine Lenkstange verzichten kann, hat nicht allein den Grund, dass man den Bauraum im Vorderwagen anders nutzen kann und eine teure Komponente entfällt. Zudem gibt es nennenswerte Vorteile bei einem etwaigen Frontaufprall, weil die Energie des Zusammenstoßes nicht in irgendeiner Form per Lenkstange und Steuerrad Richtung Fahrer gelangt.

Gesteuert werden sollte das Zukunftsauto wie ein Airbus mithilfe von Joysticks auf der Mittelkonsole. Ein Lenkrad war nicht vorgesehen.
Eine Lenkung ohne Lenkstange ist keine Idee, der erst in den vergangenen Jahren aufgekommen ist oder gar mit der zunehmenden Elektrifizierung Einzug gehalten hat. Immer wieder stellten verschiedene Zulieferfirmen Prototypen vor, die über kein gewöhnliches Lenkrad nebst Zahnstangen- oder Kugelumlauflenkung verfügten. Zu den bekanntesten Modellen gehören der Mercedes-Prototyp des SL Baureihe R129 aus dem Jahre 1998 oder zwei Jahre zuvor das Zukunftsmodell des Mercedes F 200 Imagination. Silberner Roadster und Visionscoupé wurden jeweils nicht über ein Lederlenkrad gesteuert, sondern über ein beziehungsweise zwei Joysticks. Mit diesen Steuerelementen konnte der Fahrer nicht nur die Fahrtrichtung ändern, sondern bediente gleich auch Gas und Bremse.
Größere Freiheitsgrade für Fahrzeugentwickler
Steer by Wire ist mehr als eine Lenkung allein und eröffnet völlig neue Möglichkeiten in Sachen Lenkradgestaltung, Fahrerassistenz und Sicherheit – was beides direkt wie indirekt für einen nennenswerten Komfortgewinn sorgt. Der Grund liegt auf der Hand, denn durch das fehlende Bindeglied der Lenkstange können die Ingenieure die Steuerung nahezu nach Belieben vernetzen, und damit nicht nur Einfluss auf Vorder- oder Hinterräder, sondern auch Lenkwinkel oder Module des Fahrwerks Einfluss nehmen. Der Fahrer merkt von der geänderten Anbindung der Lenkung zumindest offensichtlich nichts.

Das Konzeptauto gab 2023 einen Ausblick auf ein mögliches Sportcoupé a la Manta. Entsprechend futuristisch sah das Cockpit aus.
Der spürbarste Unterschied liegt für Autofahrer jedoch in den Umrandungen des Lenkrades. Muss der Fahrer sonst für eine 180-Grad-Kehre mehrfach umgreifen und das Lenkrad gut zweieinhalb Mal um sich selbst drehen, sieht das bei Steer by Wire völlig anders aus. Je nach Fahrzeugmodell und angewähltem Fahrprogramm ist das Umgreifen überflüssig und der Pilot kann aus der Mittellage der Lenkung alle Manöver mit einfachen Bewegungen der Arme erledigen.
Toyota, GM und NIO geben den Takt vor
Toyota will die Steer-by-Wire-Technik wohl noch in diesem Jahr in ersten Serienanwendungen bei Modellen wie den elektrischen bZ4x oder dem Lexus RZ einführen. Bisher gibt es abgesehen von dem Tesla Cybertruck und einigen Infinti-Modellen kaum mehr als einige Prototypen, die auf die Lenkstange verzichten. Die Japaner lassen das Lenkrad ebenso wie einige Zulieferer nach oben offen, weil ein Umgreifen und damit die Notwendigkeit eines vollen Lenkradkranzes entfällt. Neben den japanischen Herstellern wie Toyota treiben unter anderem der chinesische Autobauer Nio und General Motors die Entwicklungen voran – mit entsprechender Expertise und Unterstützung von deutschen Zulieferern wie Bosch oder ZF.

Bedienelemente wie Lenkrad und Pedalerie ließen sich bei dem vollautonom fahrenden Konzeptauto von 2021 in unsichtbare Positionen verschwenken und somit komplett aus dem Innenraum entfernen. Fotos: Hersteller
Die elektrischen Ober- und Luxusklassenmodelle Cadillac Lyriq und Celestiq sollen ab 2026 ebenfalls mit Steer by Wire-Systemen zu bekommen sein – zumindest auf einigen Märkten, wo bereits die juristischen Rahmenbedingungen existieren. Das ist in China zum Beispiel beim neuen Nio ET9 der Fall, der ab kommendem Monat auf dem Heimatmarkt ausgeliefert wird. Das 5,32 Meter lange Luxusmodell mit seinem stattlichen Radstand von 3,25 Meter hat dank Steer by Wire und mitlenkender Hinterachse einen Wendekreis von gerade einmal 10,90 Meter – das ist Kleinwagenniveau.
Rundes Lenkrad wird zum Auslaufmodell
Stellantis hat bei Zukunftsmodellen wie dem DS SM Tribute, Peugeot Inception Concept oder dem Opel Experimental in den vergangenen knapp zwei Jahren ebenfalls gezeigt, was mit der neuen Lenktechnik möglich ist. Mit dem Peugeot „Inception Concept“ gab Stellantis nicht nur einen Ausblick auf ein Serienfahrzeug mit Steer-by-Wire-Lenkung, sondern mit dem sogenannten Hypersquare auch eine völlig neue Lenkradform – eckig wie bei einer Spielkonsole. Es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, dass das Lenkrad seine runde Form verliert. Und im anbrechenden Zeitalter des hochautomatisierten Fahrens dürfte das Lenkrad auf Knopfdruck oder Sprachbefehl eingeklappt und unsichtbar im Cockpit versenkt werden können. Beim Audi Skysphere Concept war das bereits Realität.