Jahrelang galt Toyota als Vorbild für die globale Autoindustrie. Der japanische Riese glänzte mit seinen schlanken, kostengünstigen Produktionssystemen (Stichwort Kaizen) sowie seiner Pionierrolle bei der Einführung umweltfreundlicher Elektromobilität. Mit dem im Jahr 1997 gestarteten Hybridauto Prius, von dem bis heute weltweit mehr als 20,3 Millionen Exemplare verkauft wurden, hatte der Konzern die Öko-Nase auf einmal weit vorn. Plötzlich war es selbst in den USA hipp, diesen windschnittigen Japaner zu fahren, der seinem Benzinmotor mit schlauer elektrischer Unterstützung wunderbar beim Spritsparen half.
Logisch, dass Toyota von diesem Erfolg beflügelt seine Hybridtechnologie weiter verfeinerte und dann nach und nach auf fast alle Modellreihen ausrollte. Und dabei aber trotz deutlicher Anzeichen anscheinend nicht bemerkte, dass dieses klassische Hybrid-Thema (mit oder ohne Stecker) bei der Konkurrenz zunehmend zum Auslaufmodell wurde. Mit dem rasanten Aufstieg von Tesla wurde der Branche ruckartig klar, das die große Zukunft bei komplett batterieelektrischen Fahrzeugen liegt.
Inzwischen baut Tesla seine Vollstromer nicht nur auf dem amerikanischen Heimatmarkt, sondern auch im chinesischen Shanghai und in Grünheide bei Berlin. Immer kostengünstiger, aus immer weniger Bauteilen und mit immer effektiveren Batterietechnologien. Und auch viele andere große Automobilhersteller, die das meiste Geld immer noch mit großen Stückzahlen von Verbrenner-Modellen verdienen, setzen perspektivisch auf dem reinen Elektropfad.
Ab 2035 nur noch emissionsfreie Autos in Europa
Haben die verantwortlichen Manager bei Toyota womöglich den Anschluss verschlafen und versuchen das nun hastig irgendwie aufzuholen?
Immerhin will Toyota fürs weltweite Gesamtunternehmen, das Jahr für Jahr über 10 Millionen Autos verkauft, bis 2050 klimaneutral sein. Und für Europa hat die Marke ihr Ziel jetzt sogar noch deutlich verschärft. „Hier wollen wir die Kohlendioxid-Neutralität nun bereits 2040 erreichen“, verkündete jetzt Europa-Chef Matt Harrison auf dem vierten Brüsseler Kenshiki-Forum, auf dem traditionell die Zukunft-News des Unternehmens offeriert werden. Und Toyota sei bereits auf einem guten Weg. Denn schon 2035, so Harrisons zweite überraschende Botschaft, sollen von Toyota in Europa nur noch emissionsfreie Autos verkauft werden.
„Beyond Zero“ („Jenseits von Null“) lautet für diverse Baureihen die neue Losung für künftige Toyota-Modelle, die demnächst super sauber fahren sollen. Und die tragen deshalb allesamt das Kürzel bZ im Namen. Tatsächlich, und das wurde in Brüssel in allen Gesprächen deutlich, forciert man bei Toyota weltweit den rasanten Start vieler neuer vollelektrischer Modelle.
bZ4X startet mit sechsmonatiger Verspätung
Durchaus mit Lernkurven. So musste der 4,69 Meter lange vollelektrische SUV bZ4X, erstes Modell der neuen Vollstromer und Schwesterversion des Subaru Solterra, in den USA wegen Problemen mit sich von selbst lösenden Radmuttern mal kurz zurückgerufen werden. Schwamm drüber. Bei uns startet der durchaus attraktive Stromer, der als 150 kW (204 PS) starker Fronttriebler per 71,4-kWh-Batterie eine Reichweite von 513 Kilometern (Allradversion 415 km) bieten soll, mit nun sechsmonatiger Verspätung zu Preisen ab 47.490 Euro (Allradler 63.290 Euro). Leasing schon ab 329 Euro monatlich. Und in den ersten Tests bekam dieser geräumige Hochsitzer, der locker Toyotas SUV RAV ersetzen kann, recht freundliche Bewertungen.
Inzwischen hat Toyota mit dem bZ3 auf der gleichen eTNGA-Plattform auch die erste reine Elektrolimousine des Hauses präsentiert, die in Kooperation mit dem großen chinesischen Elektroauto-Hersteller BYD entstand und jetzt in einem Joint-Venture beim ebenfalls chinesischen Hersteller FAW gebaut wird. Diese Mittelklasse-Limousine mit einer reichweitenstarken und besonders haltbaren Lithium-Eisenphosphatzellen-Batterie vom chinesischen Marktführer CATL (noch ein neuer Kooperationspartner) ist allerdings vorerst nur für die chinesischen Kunden vorgesehen.
Und im November hat Toyota auf der Los Angeles Auto-Show mit einer weiteren bZ-Studie den nächsten Vollstromer vorgestellt, den Toyota erst einmal nebulös als „kompaktes Elektro-SUV der Zukunft“ bezeichnet. Klar, der war jetzt auch in Brüssel zu sehen. Ist mit dem coupehaft geschnittenen Crossover-Design dramatisch schneidiger als der bZ4X und dürfte den Ausblick auf ein vollelektrisches Pendant des Toyota C-HR geben, der ja bei uns bislang den optischen Krawallo der Marke spielt.
Sechs neue Stromer bis 2026
Die Besonderheiten dieser 4,53 Meter langen, 1,82 Meter breiten und nur 1,56 Meter hohen SUV-Studie mit dieser bei der Marke jetzt typischen Hammerhai-Front? Ein optisch supercooles, extrem puristisches Cockpit, viele Materialien aus pflanzlichem und recyceltem Zeugs und ein Sprachassistent namens „Yui“, der auf die Wünsche aller Insassen reagiert, selbst wenn sie ihn von hinten aus dem Fond anquatschen. Der Antrieb dürfte dabei der Technik des bZ4X entsprechen. Marktstart in Deutschland? Voraussichtlich im ersten Halbjahr 2024.
Das ist erst der Anfang. Bis 2026, versprach jetzt Harris in Brüssel, werde Toyota schon mit sechs vollelektrischen bZ-Modellen auf dem Markt sein. Was er noch nicht verrät ist, dass sich darunter zum Beispiel ein kleines, preisgünstiges City-SUV im überall angesagten Vier-Meter-Format befindet. Und dass man auch intensiv an einem großen elektrischen SUV-Flaggschiff arbeitet. Einem geräumigen Hochsitzer mit optionaler dritter Sitzreihe, also bis zu sieben Plätzen, der speziell für den nordamerikanischen Markt hübsch passen dürfte.
„Und nach 2026 ist natürlich nicht Schluss“, lächelt dazu vielsagend Gerald Killmann, Toyotas Entwicklungs- und Technik-Chef in Europa. Genau, dann kommen noch etliche weitere Vollstromer, will er uns damit durch die Blume sagen. Mehr dürfte er um Himmelswillen aber nicht verraten. Nein, bloß keine Produktinformationen. Was er aber offiziell sagen kann: Die hoch flexible eTNGA-Plattform habe, im Gegensatz zu anderslautenden Gerüchten, schöne Möglichkeiten für fast alle Modellformate – vom stromernden Kleinwagen bis zu ziemlich großen Elektroautos. Das funktioniert offenbar ähnlich wie beim noch aktuellen elektrischen MEB-Baukasten des VW-Konzerns.
Feststoffakku zuerst im Hybridauto
Und selbst beim Thema Feststoffbatterien, deren komplizierte Realisierung zuletzt von vielen Autobauern nach hinten geschoben wurde, ist Toyota eng am Ball, wie uns Killmann sagen darf. „Die werden wir noch in diesem Jahrzehnt in der Großserie sehen.“ Wahrscheinlich sogar deutlich früher, vermuten wir, aber dazu sagen sie natürlich nix bei Toyota. Killmann verrät dann immerhin, wo diese Wunderakkus zuerst eingesetzt werden. „Der Einfachheit und der Verfügbarkeit halber am Anfang erst einmal in den Hybriden und in den Plug-in-Hybriden.“ Weil die schließlich mit viel kleineren Batterien auskommen und das Thema Schnellladen dort kaum eine Rolle spielt.
Das Ganze sieht jedenfalls nach einer ausgeklügelten und ziemlich rasanten Strategie aus. „Toyota hat da tatsächlich nichts verschlafen“, versichert Killmann. Im Gegenteil. „Wir haben einfach einen anderen Weg als andere Autohersteller, den wir vor 25 Jahren als Hybrid-Vorreiter begonnen haben.“ Und diese Vorgehensweise sei für Toyota genau die richtige. Er bestätigt damit, was uns Toyotas Technik-Gurus seit vielen Jahren erklären. Dass so ein Umstieg auf Vollstromer für das Unternehmen vergleichsweise einfach sei, weil Toyota über diese jahrelangen Erfahrungen mit den E-Systemen der Hybriden verfüge.
Lexus wird zur E-Speerspitze
Wovon natürlich auch Lexus profitiert, wo es elektrisch nun ebenso zügig vorangeht. Denn neben dem gerade optimierten vollelektrischen UX 300e (4,50 m, nun bis zu 450 km Reichweite), der im Mai bei den Händlern ist, und dem ein paar Wochen früher startenden, völlig neuen und größerem RZ 450e (4,69 m, auf Basis des Toyota bZ4X) kommt jetzt sogar noch ein überraschend neues Kleinformat bei Toyotas feiner Luxusmarke in Sicht. Auf das es in Brüssel im Form einer sichtbar seriennahen Designstudie erste Hinweise gab: Für wenige Minuten zu sehen war ein nur gut 3,80 Meter kurzes Kompakt-SUV, das spätestens 2024 einem Audi Q2 e-tron oder einem Mini Countryman SE das Leben schwer machen könnte. Und gleichzeitig einen diskreten Hinweise auf das schon erwähnte, in der Länge wohl fast identische elektrische City-SUV von Toyota gibt, das dann selbstverständlich ebenfalls die eTNGA-Architektur nutzen wird. „Lexus“, dreht Harrison in Brüssel auf, „wird die Entwicklung der Elektro-Technologie zukünftig anführen!“
Grundsätzlich aber haben Toyotas Topmanager in Brüssel neben ihrem neuen Bekenntnis zu den Vollstromern unentwegt betont, dass das Unternehmen in den „nächsten 10 bis 15 Jahren“ definitiv an seiner Multitech-Strategie festhalten werde. Man also weiterhin auch auf Hybrid- und Plug-in-Hybrid-Autos sowie den Wasserstoff-Antrieb per Brennstoffzelle setzen werde. Und die Gründe dafür (Tesla-Jünger müssen jetzt ganz tapfer sein) klingen bemerkenswert plausibel.
In Summe helfen Hybridautos dem Klima mehr
Zum einen, so erklärt Toyotas Chef-Forscher Gill Pratt, sei der Konzern auf vielen globalen Weltmärkten zwischen Lateinamerika und Afrika präsent, in denen es nicht einmal ansatzweise eine funktionierende Ladeinfrastruktur für Elektroautos gäbe, „aber erschwingliche klassische Hybridmodelle, die den Kohlendioxidausstoß mit ihren niedrigeren Kraftstoffverbräuchen insgesamt deutlich verringern könnten.“ Ohnehin seien Hybridautos für viele Menschen in der Anschaffung viel günstiger als die reinen Batteriemodelle.
Außerdem haben die Japaner in Brüssel nicht ohne eigene Sorge auf den eklatanten Anstieg der Weltmarktpreise für Lithium verwiesen: In den vergangenen zwei Jahren haben sie sich fast verzehnfacht. Was natürlich mehr oder weniger auch für weitere wichtige Batterie-Rohstoffe wie zum Beispiel Kobalt und Mangan gelte. „Am besten für eine globale Kohlendioxid-Reduzierung ist deshalb eine Kombination der Angebote — mit batterieelektrischen Autos sowie Hybrid- und Plug-in-Hybridmodellen“, findet Pratt.
Toyota-Brennstoffzelle für eCitaro
Auch der Wasserstoffantrieb werde bei Toyota weiterhin eine wichtige Rolle spielen, doziert er und hat dabei nicht nur die Brennstoffzellen-Limousine Mirai im Kopf. Gerade haben sie bei Toyota neben verschiedenen anderen Versuchsträgern sogar einen Corolla Cross auf einen Brennstoffzellen-Antrieb (mit zwei Tanks unterm Ladeboden) umgebaut. Und stolz ist man in diesem Zusammenhang auch auf die Bus-Kooperation mit Mercedes: Toyota liefert für den elektrischen Stadtbus eCitaro ein ins Dach integriertes, kompaktes Brennstoffzellenmodul mit einer Leistung von 60 kW, dass die Reichweite des Busses im Stadtverkehr von gut 300 auf immerhin rund 400 Kilometer verlängern kann.
„Kohlendioxid ist unser Feind, nicht irgendeine spezielle Antriebsart“, haut Gill Pratt am Ende seines Vortrags noch gewollt plakativ in Brüssel raus. Toyota müsse einfach das tun, was aktuell am besten für die Umwelt sei. Und zeigt auf diverse Info-Grafiken, die uns das im Moment noch größere Kohlendioxid-Einsparpotenzial der Hybride allein durch ihre schiere Anzahl verdeutlichen soll.
So verwundert es nicht, dass bei der gerade gelaufenen Präsentation des neuen Toyota Prius – in Brüssel gab es die erste zufriedenstellende Sitzprobe – von einem komplett batterieelektrischen Antrieb nicht die Rede war. „Das ist schließlich ein Eco-Car für alle, das sich jedermann leisten kann“, hatte Simon Humphries, Toyotas globaler Designchef, bei der Vorstellung der fünften Prius-Generation argumentiert – ohne schon einen Preis für das Auto zu nennen. Gut, nach Deutschland kommt der neue Prius, der nun endlich mal eine schöne Designlinie zeigt, ja auch erst im Sommer nächsten Jahres. Als Plug-in-Hybrid mit 164 kW (223 PS) Systemleistung – und mit einer dramatisch gestiegenen elektrischen Reichweite.
Prius stromert 100 Kilometer durch die Stadt
Offiziell reden die Japaner von 70 Kilometern nach aktueller WLTP-Norm. Doch hinter vorgehaltener Hand ist von mindestens 80 Kilometern die Rede. Und bei Tests in der Stadt, so hören wir, soll sogar die 100-Kilometer-Marke geknackt worden sein. Gegen Aufpreis wird für den nun noch fünf Zentimeter flacheren Prius auch ein Solardach zu haben sein, das, viel Sonne vorausgesetzt, täglich Strom für fast neun Kilometer liefern soll. Eine vollelektrische Variante? Brennstoffzellenantrieb? Sei beides hier wirklich nicht geplant, schwören Toyotas Technikmanager unisono.
Und wie zur Bestätigung der bewährten Hybrid-Strategie hat Toyota in Brüssel neben dem brandneuen Prius erstmals den ganz neuen Hybrid-Nachfolger des C-HR-Crossovers gezeigt, der bei uns bisher die jugendlichen Rolle des krassen Krawallos spielte. Das neue Modell, rund zehn Zentimeter länger als die noch aktuelle Version und beim Kenshiki-Event noch als „Designstudie“ präsentiert, haut optisch noch provokativer auf die Pauke, wirkt aber mit dieser neuen Hammerhai-Front und den zackig schmalen Leuchten gleich um Welten stylischer. Bei uns soll es spätestens im Dezember nächsten Jahres als klassischer Hybrid und als Plug-in-Hybrid bei Toyotas Händlern zu haben sein. Wir rechnen mit einer elektrischen Reichweite von mindestens 60 Kilometern.
Toyotas Deutschland-Chef Andre Schmidt verspricht für die neuen Elektroautos der Marke sogar halbwegs erträgliche Lieferfristen. „Ich bin optimistisch, dass die Kunden auf einen bZ4X nicht länger als vier bis sechs Monate warten müssen.“ Mal zum Vergleich: Auf Skodas vollelektrisches Mittelklasse-SUV Enyq müssen Interessenten, bedingt durch anhaltende Engpässe bei den Teile-Zulieferern, derzeit mit Lieferzeiten von deutlich über einem Jahr rechnen. Auch deshalb glaubt Schmidt fest an die Multitech-Strategie des japanischen Konzerns. So ein Plug-in-Hybrid mit ordentlicher Reichweite sei zwar nichts für kilometerfressende Außendienstler, aber ideal für die tägliche Pendelei in Stadt, die dann komplett elektrisch funktionieren könnte.
„Woven City“ als lebendiges Zukunftslabor
Noch was vergessen? Ja, Toyota lieferte in Brüssel die neuesten Nachrichten zu einem ziemlich ungewöhnlichen und gigantischen Zukunftsprojekt ganz anderer Art. Die Rede ist von „Woven City“, einem herrlichen Lieblingsthema des Konzerns. Diese futuristische, obergrüne Retorten-Stadt am Fuße des Mount Fuji, die größtenteils noch im Bau ist. Auf einem 175 Hektar großen Areal. Mit der die Japaner mal zeigen wollen, wie wir zukünftig leben könnten. Super gesund mit smarten Technologien jeder Art, voll cleaner Energie und zukunftsweisender Mobilität. Eine komplett vernetzte City mit vielen Gebäuden aus Holz, pflanzlichen Hydrokulturen und Stromerzeugung durch Wasserstoff-Brennstoffzellen, in der Pakete per Drohnen einschweben und vollautonome Selbstfahrmobile die Personenbeförderung übernehmen.
Ein paar hundert Einwohner gäbe es schon jetzt in diesem „lebendigen Labor“, ist zu erfahren, und bis zu 10.000 sind hier mal vorgesehen, erzählt uns stolz James Kuffner, der früher mal bei Google führend mit Android-Themen und dem autonomen Fahren zu tun hatte. Junge und ältere Menschen, Singles und Familien mit kleinen Kindern haben sich in der Retortenstadt niedergelassen. „Und wir bekommen immer mehr Bewerbungen aus der ganzen Welt.“ Rund 3000 Ingenieure und Entwickler würden aktuell an diesem Woven City-Projekt arbeiten, darunter 300 Top-Spezialisten aus der Software-Branche, erklärt Kuffner. „Wir nehmen hier nur die besten Talente, die es weltweit gibt.“ Insofern kann es Kuffner, wie er sagt, überhaupt nicht verstehen, dass es im VW-Konzern diverse Probleme bei der Softwareentwicklung gibt.