„Heinz“ für Deutschland

Die einheimische Version für den neuen Rucksack-Ladepunkt an Straßenlaternen, gemeinsam entwickelt mit den Partnern Ebee und Bender Solutions, heißt nun witzigerweise »Heinz«. Klingt ganz schön deutsch und brav und funktioniert auch so. Völlig easy. Sogar konform mit dem Eichrecht. Autofahrer können hier mit den erwähnten 3,7 kW zu den gewohnten Tarifen ihres Mobility-Providers laden. Oder einfach über den QR-Code. In beiden Fällen reicht ein Standardkabel mit Typ 2-Stecker.

Überhaupt, begeistert sich Kunkel, sei »Heinz« doch eine der einfachsten in die Stadt zu integrierenden Lösungen. Weil ja schließlich an jeder Laterne Strom anliege, den man direkt nutzen könne. Außerdem sei es gerade in der deutschen Hauptstadt ziemlich schlau, „eine Lösung zu haben, die Sie im Zweifelsfall auch schnell wieder abbauen und woanders, zum Beispiel an einer Straßenlaterne, die sich ideal im Parkraum anbietet, wieder anbauen können.“

Richtig, Berliner kennen die Umstände natürlich. Wo heute eine gängige Straße mit einladenden Parkplätzen für viele Autos ist, kann nach einem grünen Regierungswechsel auch gerne mal eine ausschließliche Fahrradstraße sein, wo dann selbst »Heinz« auf verlorenem Posten stehen würde. Kein ideologisches Problem für den sportlich wirkenden 45-Jährigen, er ist ja beides: passionierter (Muskelkraft-)Rennradfahrer und (Plug-Hybrid-)Autofahrer. „Insofern bin ich auch für beides zu begeistern“, grinst Kunkel.

Berlin ist nur der Anfang

Ubitricity, so läßt er sich dann zwischendurch entlocken, arbeite gerade intensiv daran, für die unterschiedlichen Laternenmasten, die es in der großen Stadt gäbe, passende Adapterlösungen anzubieten, um da zukünftig noch flexibler zu sein. Aha, da wird der Interviewer doch sofort hellhörig. „Klar, wir hoffen natürlich“, lächelt Kunkel, „dass die beiden Startbezirke demnächst Anlass für mehr sind, so wie wir es damals in London erlebt haben, wo wir in Westminster starteten und unser Netzwerk anschließend in die anderen Bezirke ausrollen konnten.“ So, mehr könne er jetzt aber wirklich nicht erzählen.

London? Dazu kommen wir gleich. Bleiben aber erst einmal in Deutschland, denn Berlin ist ja nur der Anfang. Ubitricity ist laut Kunkel hierzulande nach einigen Pilotprojekten auch mit vielen anderen Städten im Gespräch, „um dort unserere Lösung zum Einsatz zu bringen.“ Und redet darüber, dass speziell im dicht besiedelten und verkehrsreichen Nordrhein-Westfahlen definitiv Bedarf fürs Laternen-Laden erkannt worden sei. Und verrät nun aber sehr gekonnt nichts über das (offenbar vorhandene) Interesse von Großstädten wie Köln und Düsseldorf.

Redet lieber mit Begeisterung über das Projekt der Stadt Hennigsdorf im Nordwesten von Berlin. „Da errichten wir eine AC-Infrastruktur (dazu gleich mehr) ohne Laternenladen und werden dabei sogar in aktuelle Infrastrukturprojekte einbezogen, was die Sache für uns hochgradig spannend macht.“ Das passe perfekt zur hier kürzeren Verweildauer potenzieller Stromkunden. Bis 2023 baut ubitricity nun 20 Ladesäulen mit je zwei Ladepunkten quer durch die ganze Stadt, die ersten auf dem Parkplatz von Funktionsschwimmhalle und Kreativwerk. Weitere 17 Ladesäulen folgen bis 2026. Bürgermeister Thomas Günther frohlockt schon: „Mit diesem Ausbau schaffen wir für je 385 Einwohner einen öffentlichen Ladepunkt, Berlin plant bis 2030 nur einen Ladepunkt für 970 Einwohner.“ Da müsse sich Hennigsdorf nicht verstecken.

Energieriese Shell im Rücken

Gute Gelegenheit für einen wichtigen Einschub, der für ubitricity eine ganz große Nummer ist. Denn seit Anfang letzten Jahres ist das Berliner Start-up eine hundertprozentige Tochtergesellschaft des Energieriesen Shell und zwar in dessen Mobility Division. Jawohl, ausgerechnet Shell, eines der größten Mineralöl- und Ergas-Unternehmen der Welt. Ubitricity passt jedoch ideal zur neuen grünen Linie des Multis, der spätestens 2050 ein Netto-Null-Emissions-Energieunternehmen werden will und zum Beispiel den führenden niederländischen E-Mobility Service-Provider New Motion schluckte, der heute als Shell Recharge Solutions führend agiert.

Kunkel, der selbst seit 2004 in verschiedenen internationalen Führungspositionen bei Shell agierte, sieht das ausgesprochen pragmatisch und grundsätzlich positiv. „Ich kann Ihnen nicht sagen wie es hier ohne Shell funktioniert hätte, aber ich kann ihnen sagen, dass es mit Shell sehr gut funktioniert. Dass es wirklich hilft, einen Investor zu haben, der mit uns strategisch investieren will.“ Damit sei ubitricity fein raus aus diesem klassischen Start-Stopp-Modus, in denen sich Start-ups oft bewegen würden, wenn die ergatterten Investitionen immer nur für die nächsten paar Monate reichen. Speziell in Zeiten, in denen staatliche Förderungen zurückgefahren werden.

In London eine große Nummer

So, jetzt aber schleunigst rüber zur britischen Insel, auf der ubitricity schon heute eine große Nummer ist. Denn als 2019 die Berliner Laternen-Aktion erst einmal strauchelte, waren die Manager des Start-ups alternativ gleich in London aktiv. Heute betreibt ubitricity mit 5635 Laternen-Ladepunkten bereits das größte öffentliche EV-Ladenetz Großbritanniens. Herzstück ist der smarte Ladepunkt »Chelsea«, der elegant und unauffällig vollständig ins Innere der Laternen integriert ist. „Wir sind gerade ausgezeichnet worden als die Firma, die mit 900 neuen Ladepunkten in den letzten acht Monaten den schnellsten Rollout hinbekommen hat“, kann uns Kunkel stolz verkünden.

In London, so hören wir noch, gäbe es tatsächlich etliche Straßen, in denen jeder einzelne Laternenmast eine Ladesteckdose von ubitricity habe. Kunkel: „Wenn Sie abends nach Westminster kommen, können Sie alle paar Meter diese kleinen Leuchtpunkte sehen.“ Schnell zu finden über die App, auch hier zugänglich per QR-Code und mit einem normalen Typ 2-Ladekabel. Das Smartphone als externes Display für die Ladedaten. Und mit dem Bauraum der Londoner Laternen gab es von Anfang an keinen Zoff.

Jetzt sogar mit DC-Ladetempo

„Da drüben war es in der Tat ein bisschen einfacher mit der Herangehensweise“, resümiert Kunkel. „Okay“, hätten sie in England gleich gesagt, „lasst es uns doch einfach testen.“ Die Briten hätten auch gleich verstanden, was mit moderner digitaler Messtechnik heute möglich ist. Hätten sich das angeguckt und für gut befunden. „Und wir haben dann installiert.“ Die Rechtsvorschriften, was den Bauraum in den Laternen betrifft, hätten die Briten hinterher einfach angepasst, so dass ubitricity sein Netz sofort ausrollen konnte.

Wie geht es weiter in Großbritannien? „Da wachsen wir natürlich“, betont der CEO. Nach der starken Zentrierung rund um London (wo es auch weiter vorangehe) marschiere man jetzt in die nächsten Großstädte, um die britische Ladeinfrastruktur deutlich zu vergrößern. Grundsätzlich habe
man in England ein größeres Vertrauen zu ubitricity und seinen Lösungen. Weil sie eben einfach gut funktionierten. Nächste größere Station ist übrigens Liverpool, wo die Berliner in diesen Tagen erst einmal mit einer dreistelligen Anzahl an Laternen-Ladepunkten starten.

„Chelsea“ ganz unkompliziert
In England war es kein Problem, die Ubitricity-Lösung in den schlanken Laternenmast zu integrieren. 5635 Laternen sind dort inzwischen in Ladestationen am Straßenrand umgewandelt worden.

In England, erwähnt der Chef, gäbe es auch die erste vollelektrische Tankstelle, an der man gar keinen klassischen Kraftstoff mehr bekomme. Eine Ex-Tankstelle, die in Londons Innenstadt im Maut- und Verbrenner-Bannkreis liegt, deshalb hat man die alte Kraftstoff-Struktur einfach entfernt und komplett durch Fast-Charger ersetzt. Da lasse sich schon mal schön das Ladeverhalten von morgen studieren, findet Kunkel.

Offensive in Frankreich

Längst agiert ubitricity auch auf dem europäischen Festland. Kunkel: „»“Der nächste große Markt, in den wir eingestiegen sind, ist Frankreich.“ Nach einem ersten Intermezzo in der Stadt Rely nahe Calais, wo es mal schnell um 22 Ladepunkte auf einem Krankenhaus-Parkplatz ging, haben die Berliner jetzt mit dem Investor Shell im Rücken eine größere Ausschreibung des französischen Gemeindeverbandes Le Havre gewonnen. Für eine komplette öffentliche Ladeinfrastruktur. Für Anwohner, aber auch für Touristen. Bis Ende 2024 wollen sie dort insgesamt 478 22-kW-AC-Ladepunkte betreiben, hinzu kommen 56 Schnelllader mit einer Leistung von jeweils 150 kW. Noch was: Speziell für den boomenden französischen Markt offeriert ubitricity fürs Laternen-Laden auch eine Version zum Laden elektrischer Zwei- oder Dreiradfahrzeuge, die dazu eine zusätzliche Schuko-Steckdose für haushaltsübliche Standardstecker hat.

Im dritten Teil lesen Sie, warum AC-Ladepunkte auch in Zukunft wichtig sind.

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