Manchmal bietet das Leben ein zweite Chance, und holla, die reißt dann plötzlich alles raus. Das Berliner Start-up ubitricity kann davon ein schönes Lied singen. Vor drei Jahren wäre die Truppe in der Hauptstadt mit der Idee des Laternen-Ladens beinahe krachend gescheitert, aber jetzt ist sie plötzlich wieder der umworbene Überflieger. Gewissermaßen Retter der großstädtischen Elektroauto-Klientel. Wenn nun alles so läuft wie geplant.

Aber der Reihe nach. Die Idee des jungen Start-ups ubitricity klang eigentlich von Anfang an ziemlich einleuchtend. Und es hätte schon damals so schön sein können in Marzahn-Hellersdorf und Steglitz-Zehlendorf: Elektroautos laden über Nacht ganz bequem an der Straßenlaterne. Ideal für Menschen ohne eigenes Grundstück oder private Garage (inklusive Wallbox), die in dichtbesiedelten Hochhaus-Gegenden oder überhaupt in hauptstädtischen Quartieren mit vielen Mietwohnungen leben. Abends nach Hause kommen, unten an der Laterne den Stecker rein und schon füllt sich der Fahrzeugakku quasi wie im Schlaf. Da haben sich viele schon prophylaktisch gefreut. Und im Familienrat gleich Kaufpläne fürs erste E-Modell diskutiert. Kurzum: Die Stimmung war prächtig.

Mindestens 1000 neue Ladepunkte für Elektroautos wollte ubitricity bereits ab dem vierten Quartal 2019 einrichten. Gefördert über das „Sofortprogramm Saubere Luft“ vom damaligen Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi). Zunächst eben beschränkt auf den dicht besiedelten Ostbezirk Marzahn-Hellersdorf (genau: viele Mietwohnungen, hohe Häuser, kaum Ladechancen) und auf Steglitz-Zehlendorf im Westen. Passte auch deshalb gut, weil beide Bezirke außerhalb des Berliner S-Bahn-Rings liegen.

Es wäre so schön gewesen 
Ursprünglich sollte der Ladepunkt komplett in den Laternenmast integriert werden. Die schnelle und preiswerte Lösung scheiterte allerdings an der Technische Anschlussregeln (TAR) Niederspannung, die den Bauraum für stationäre Messstellen pingelig genau definierte. Fotos: Ubitricity
Es wäre so schön gewesen
Ursprünglich sollte der Ladepunkt komplett in den Laternenmast integriert werden. Die schnelle und preiswerte Lösung scheiterte allerdings an der Technische Anschlussregeln (TAR) Niederspannung, die den Bauraum für stationäre Messstellen pingelig genau definierte. Fotos: Ubitricity

Auch die Details des Projekts waren vielversprechend. Ubitricity wollte mit einigen Partnern ruck, zuck viele vorhandene Straßenlaternen mit Steckdosen ausstatten. Im betont unauffälligen, aber auch sehr robusten Design (Stichwort Vandalimus-Schutz). Ohne sündhaft teure Tiefbaubuddelei, Installation in nicht mal zwei Stunden. Ergo dramatisch billiger als übliche Ladesäulen. Nur rund 1000 Euro würde die Umrüstung einer Laterne kosten, hieß es. Na wunderbar.

Maximal 3,7 Kilowatt

Allerdings hätten sich die ersten Nutzer zum Laden ein spezielles „Smart Metering-Kabel“ von ubitricity kaufen müssen, über das Identifikation und Ladeprozess erfolgen sollten. Ein Kabel mit etwas Hardware, einem kleinen geeichten Stromzähler und einem Mobilfunkmodul, über das die Daten zur Abrechnung gesendet werden sollten. Das werde etwas teurer sein als sonst übliche Typ 2-Ladekabel, hieß es bei ubitricity. Fürs Kabel sollten die Nutzer einen Vertrag mit einem Stromanbieter ihrer Wahl abschließen.

Ladeleistung? Maximal 3,7 kW. Nix also fürs schnelle Aufladen zwischendurch, aber gut für das gemütliche (batterieschonende) Laden des Akkus über Nacht. Dort, wo man abends ohnehin parkt. „Wir sind dankbar, mit dem Engagement aller Beteiligten zu diesem Punkt gelangt zu sein und nun auch in Berlin mit unserer Ladeinfrastruktur einen wesentlichen Beitrag zur Mobilitäts- und Energiewende zu leisten“, freute sich zu früh Frank Pawlitschek, der damalige CEO und Co-Founder von ubitricity. Und hatte dabei garantiert im Hinterkopf, dass in der Hauptstadt, grob gerechnet, ungefähr 224.000 Straßenleuchten herumstehen, von denen mehr als ausreichend auch fürs coole Ladeprogramm geeignet wären.

TAR Niederspannung legte sich quer

Für die zweite, dann große Ausrollphase sollte ubitricity allerdings eine weiterentwickelte technische Lösung ohne Nutzung des Mobile Metering-Kabels offerieren. Die komplette Technik inklusive Messeinheit sollte dann in die Laternen-Hohlräume passen. Und E-Autofahrer sollten mit einem normalem Typ 2-Standardkabel laden können. „Diese Laternen-Ladepunkte müssen für alle zugänglich sein, nicht nur für die Kunden eines Unternehmens“, erklärte schon damals Jan Thomson, Pressesprecher der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz, gegenüber EDISON. „Wir wollen keine private Infrastruktur an öffentlichen Straßen.“

Ubitricity spielte mit und entwickelte die passende Lösung. War nun alles schick und fein? Leider nicht, denn jetzt platzte die Bombe: Die neue Technik passte zwar real in die Berliner Straßenleuchten. Aber sie hielt nicht den vorgeschriebenen Bauraum ein. Für genau diese Regularien gab es nämlich neue, seit dem 8. März 2019 bundesweit geltende Technische Anschlussregeln (TAR) Niederspannung, die den Bauraum für stationäre Messstellen pingelig genau definierten. Zu hoch gepokert? Alle Beteiligten gepennt? Doofe deutsche Bürokratie? Egal, alles Stulle, das war jedenfalls das zwischenzeitliche Ende des rasanten Berliner Laternen-Plans.

Laterne trägt den Rucksack

Doch ubitricity hatte Glück. Denn das Projekt wurde umgeschrieben und Fördermittelgeber BMWi stimmte netterweise zu. Schon wurde unter dem schönen Slogan »Laden leichtgemacht für E-Autos« für 1000 Ladepunkte an Straßenlaternen und die gleichen Bezirke eine neue öffentliche Ausschreibung gestartet. Wichtigster Unterschied zum bisherigen Projekt: Die Technik sollte nicht mehr in die Laterne integriert, sondern komplett außen angebracht sein. Als aufmontierter Rucksack samt Messelektronik. Die Laterne nur noch als Stromanschluss und Trägerobjekt.

Genau, es folgte das Happy-End. Ubitricity gewann nach der längeren Warteschleife die Ausschreibung und im Juli dieses Jahres wurden in der Berliner Oberfeldstraße in Marzahn-Hellersdorf die ersten von insgesamt 200 vereinbarten neuen Laternen-Ladepunkten in der Hauptstadt ein bisschen feierlich in Betrieb genommen. Inzwischen sind 19 ubitricity-Ladepunkte betriebsbereit, und was offiziell noch unter dem Titel »Forschungsprojekt« läuft, kommt an der Spree gerade richtig in Fahrt. Pro Woche werden jetzt 15 bis 20 Laternen-Ladepunkte installiert.

Deutsche Lösung
Bei der neuen Lösung namens „Heinz“ ist die Ladetechnik nicht mehr in die Laterne integriert, sondern komplett außen angebracht. Der Vorteil: Bei Bedarf kann der Ladepunkt schnell umgesetzt werden. Und geladen wird mit Standard-Kabel.

„Wir haben erfreulicherweise von der Stadt den Zuschlag für weitere 800 Ladepunkte bekommen, so dass wir wieder auf die ursprüngliche geplante Gesamtzahl von 1000 kommen“, freut sich Daniel Kunkel, der seit Januar 2022 als CEO bei ubitricity das Sagen hat. So könne das Unternehmen im größeren Maßstab zeigen, „dass das Ganze sicher und effizient funktioniert.“ Stromnetz, Lichtnetz, Installateure, da seien ja mehrere Parteien eng involviert. Nach dem Anspruch von ubitricity soll die komplette Technik tatsächlich in nur 60 bis 90 Minuten zu installieren sein. Und mit dieser Schlagzahl wolle man den sehr schnellen Rollout hinlegen, so werde Berlin im Geschwindeschritt zum Vorreiter des Laternen-Ladens in Deutschland.

Wohin es ubitricity im nächsten Schritt zieht, erfahren Sie hier im zweiten Teil der Geschichte.

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