Interessante Sache: Spätestens mit Le Havre ist ubitricity erstmals in größerem Umfang über das Laternenladen hinausgegangen. Denn, so die Erkenntnis der Berliner, für viele Städte sei es heute eben relevant, Ansprechpartner zu finden, die ihnen nicht nur eine Lösung anbieten können, sondern das komplette Programm. Laternenladen, dazu eine AC-und möglichst auch DC-Ladeinfrastruktur.

Städte wollen loslegen

„Auch stellen wir fest“, so Kunkel, „dass die deutschen und europäischen Städte eigentlich längst über den Pilotier-Modus hinaus sind. Die wollen jetzt richtig loslegen und Ladelösungen zügig ausrollen.“ Und klar, an einer städtischen Ausfallstraße zum Beispiel sei eine Schnellade-Infrastruktur viel wichtiger als in einem Nachbarschaftswohngebiet, wo man sein Fahrzeug an einer umgerüsteten Laterne gemütlich über Nacht öffentlich laden könne.

Beide Anwendungsfälle, so Kunkel, könnten unterschiedlicher nicht sein. „Der Laternen-Ladepunkt sei leicht zu installieren, das ist der unsrige, da kennen wir uns bestens aus.“ Man habe über die Jahre schließlich viel Kompetenz aufgebaut. „Wir sind die passionierten Laternen-Ladeinfrastrukturhersteller.“

Ausschließlich Grünstrom

Beim Schnellladen jedoch müsse man ein Transformer-Häuschen fürs Wandeln der Spannung errichten und die Elektrokabel verstärken lassen. Also mit großen Investitionen hantieren. Aber Kundenorientierung gehe eben vor, und im Zweifelsfall sei ja auch Shell mit von der finanziellen Partie.

„Wir haben über die letzten Jahre aber auch als Betreiber agiert“, erklärt er dann noch. Das habe zu städtischen Lösungen wie in Le Havre geführt, „wo wir über genau diesen Ansatz eingestiegen sind.“ Dort müsse man eben mehr als nur Laternenladen anbieten. Und das könne man jetzt. Also auch eine AC- und DC-Ladeinfrastruktur integrieren. „Und damit den Kunden aus erster Hand einen Rundum-Service bieten, damit er nicht zu fragmentiert unterwegs sein muss.“ Ach ja, und grundsätzlich gäbe es an allen Ladepunkten von ubitricity natürlich ausschließlich grünen Strom aus umweltfreundlichen erneuerbaren Energiequellen.

Es muss nicht immer Gleichstrom sein

Ist Schnelladen nicht generell besser? Lohnen sich hier nicht gleich größere Parks für ubitricity, wollen wir von Kunkel wissen. Doch der sieht da gleichermaßen Vor- und Nachteile. Das DC-Laden sei für Leute, die auf langen Strecken schnell weiter wollen, vom sofort verfügbaren Ladevolumen her natürlich interessant. Das sei auch die gängige Erwartungshaltung an Tankstellen, wo Schnelladen die Hauptrolle spiele. Und Shell investiere da ja auch kräftig. Aber die Umsetzbarkeit bringe für eine entsprechende Netzinfrastruktur eben dramatisch größere Kosten und Herausforderungen mit sich. Das werde in der Diskussion gerne vergessen. Überhaupt glaube er, dass es längerfristig beides geben werde. „Auch, weil wir im Zweifel gar nicht so viel Netz zur Verfügung haben werden.“ DC-Laden werde auch zukünftig nur ein Teil des Lademixes sein.

Er ist sich verdammt sicher, dass das von ubitricity betriebene Laternenladen und ergänzendes AC-Laden oftmals ausreichen. „Wir sehen das als Betreiber auch aus unseren Daten“ – egal ob in England oder Deutschland. Die Leute würden ihre Fahrzeuge viel länger anschließen als sie dann tatsächlich laden. Weil das eben ein natürlicher Vorgang sei. „So wie wir abends das Handy, wenn wir ins Bett gehen, irgendwo zum Laden ranstecken und es morgens wieder abkabeln.“

Dauerhaft schnell laden können nur wenige

Es stehe ja kein Mensch mitten in der Nacht auf, um dieses Gerät wieder abzuziehen, weil es gerade voll geladen ist. Andererseits könne dieser natürliche Vorgang ubitricity als Lösungsanbieter im Zweifel sogar helfen. „Weil wir in dieser Zeit die Lademengen für ein kostengünstiges Smart-Charging außerhalb von Lastspitzen noch ein bisschen verschieben können.“

Daniel Kunkel, Ubitricity
Daniel Kunkel
wurde im Dezember 2021 zum neuen CEO von ubitricity ernannt. Zuvor war der Diplom-Kaufmann für die RWE-Tochter DEA und viele Jahre für Shell in London und Kuala Lumpur tätig. Foto: Ubitricity

Eine Dimension, die immer gern vergessen werde, moniert Kunkel, sei zudem die Geschwindigkeit, mit der Fahrzeugbatterien geladen werden können. Es gäbe ja bisher nur wenige Elektroautos, die dauerhaft schnell laden können, und die seien nicht gerade kostengünstig. Dazu kämen noch die vielen Plug-in-Hybridmodelle mit extrem langsamen Ladetempo. Die ohnehin nicht mehr als eine AC-Ladeinfrastruktur brauchen, weil ihre Batterien gar nicht mehr Strom aufnehmen können. „Insofern sind wir da auf einer sehr langen Reise“, glaubt er.

Da kann er sich engagiert warmreden. „Selbst wenn Sie eines der neuesten EV-Modelle an die DC-Säule hängen, braucht das erst einmal ein paar Minuten um den Ladespeed aufzubauen.“ Und wenn sich dessen Batterie dann beim Laden zu sehr erhitze, müsse die Ladeleistung wieder reduziert werden. „Vom idealen Spitzenladen, das sich alle Leute so vorstellen, bleibt meist nicht viel übrig.“ Deshalb glaubt Kunkel, dass gerade diese Komplexität auch die Chance biete, unterschiedliche Lösungen zu ermöglichen. Eben auch das Laternenladen: „Für Nachtparkende eine perfekte Lösung.“ Aber bei ubitricity verstehe man, dass ein Kunde in unterschiedlichen Situationen unterschiedliche Bedürfnisse hat.

„Wir brauchen einen Mix von Lade-Lösungen“

Kunkels Fazit: „Die wichtigste Botschaft ist tatsächlich, dass es einen Mix von -Lade-Lösungen geben muss.“ Was ihm deshalb Sorgen mache, sei die Tatsache, dass die Diskussionen dazu viel zu polarisiert geführt würden, die Komplexität des Ganzen unterschlagen. Heute habe er oft das Gefühl, dass nur noch über DC-Laden gesprochen werde. Das sei zu kurz gesprungen. Abgesehen davon, dass man, wenn es um batterieschonendes Laden gehe, über langsames und nicht über schnelles Laden reden müsse.

Überhaupt sei das Thema Ladeinfrastruktur mehr als das, was man oberflächlich sehen könne. Wichtig sei, die in den Stadtteilen oft schon vorhandene Netzinfrastruktur zu berücksichtigen, die viele Diskussionsteilnehmer gar nicht auf dem Schirm hätten. „Gerade in Berlin, wo es ohnehin riesige Aufgaben gibt, können wir der Stadt nicht noch zusätzliche Lade-Infrastrukturprojekte zumuten.“ Da müsse man lieber überlegen, wo man sinnstiftend in längst bestehende Infrastrukturen einbauen könne.

Inzwischen sieht Kunkel zunehmend die Gefahr, dass die Ladepunkte nicht ausreichen. „Erst motivieren wir die Leute, sich ein Elektroautos zu kaufen, dann wohnen die zum Beispiel im Berliner Bezirk Spandau und bekommen bei der Suche nach Ladesäulen mächtig Frust, weil es davon viel zu wenige gibt.“ Das sei schade. „Wir wollen die Leute ja begeistern, mit uns auf die Reise der Energiewende zu gehen.“ Beim Ladeausbau zu bummeln wäre deshalb aus seiner Sicht ein fataler Fehler. Zumal es bei so einem Planungsverfahren ohnehin extrem lange dauere, bis zum Beispiel die Genehmigungen der Stadtwerke vorlägen.

Größere Expansionspläne

Über seine nächsten Europa-Ziele möchte Kunkel dann noch nicht viel verraten. Klar, man sei auf allen großen Events der Branche vertreten. Auf dem Londoner Greentech Festival und dem EV Summit, bei der Berliner Country Convention genauso wie beim Hessischen Mobilitätskongress und dem Kölner Kongress für Klimagerechte Mobilität, auf dem Eletric Vehicle Summit im irischen Dublin oder dem Pariser Salon des Maires et des Collectivites Locales. Dazu gäbe es etliche Pilotprojekte: In Dublin, Bern, Portsmouth und Oxford.

Neuerdings denkt man bei ubitricity auch öfter an eine weltweite Expansion beim Thema städtisches Laden. Weil man jetzt ja den größeren Ansatz habe. Da stimme man sich natürlich eng mit dem Investor Shell ab. Aktuell läge der Focus eben noch auf Europa. „Aber wir schauen in Märkte wie Amerika oder auch Singapur für mögliche Lösungen.“

Rund 120 Mitarbeiter hat das junge Unternehmen mittlerweile. Die meisten arbeiten auf dem EUREF-Campus, diesem schon heute klimaneutralen Stadtquartier in Berlin-Schöneberg, wo rund um den ehemaligen Gasspeicher in 150 Firmen und Forschungseinrichtungen bereits gut 5000 Beschäftigte forschen, lernen und arbeiten. Ubitricity selbst hat noch einen zweiten, kleineren Standort im Norden Londons, der die britischen Aktivitäten koordiniert. Und Kunkel lobt dann überschwänglich sein Team, „das hier jeden Tag hochmotiviert antritt, um für städtische Infrastrukturen Lösungen zu schaffen, die uns Mobilität ermöglichen, aber auch gut für die Umwelt sind.“

Zum Schluss müssen wir uns von ihm natürlich noch diesen fürchterlichen Zungenbrecher von Namen erklären lassen. Ubitricity setze sich zusammen aus den Begriffen »ubiquitous« (allgegenwärtig) und »electricity« wird uns erklärt. Kunkel findet den Namen ganz toll. Der passe bestens zum Slogan des Hauses: „Laden für alle, überall“. Dann muss er aber doch schmunzeln. „Viele sagen einfach Ubi zu uns, weil ihnen die Langform etwas schwerfällt.“

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