Der technologische Fortschritt lässt nie lang mit neuen Überraschungen und eindrucksvollen Innovationen auf sich warten und hat auch mit der voranschreitenden Entwicklung der virtuellen Realität (VR) nicht enttäuscht. Was in den Wohnzimmern zahlreicher Gamer bereits Einzug gehalten hat, dringt inzwischen auch in die Automobilbranche vor und könnte bei der Gestaltung der Mobilität der Zukunft ein Wörtchen mitzureden haben. Die virtuelle Realität wird bei den Automobilbauern bereits an diversen Stellen eingesetzt. Im nächsten Schritt soll es eine neue Ära des In-Car-Entertainments einläuten.
Erst jüngst hatte das schweizer-russische Start-up Way Ray von sich reden gemacht – mit einem futuristisch erscheinenden Konzeptauto sowie einem Infotainmentsystem, das Augmented Reality nutzt, um das Auto zum Teil des sogenannten „Metaverse“ werden zu lassen, wie man sie aus Computerspielen kennt. Zwar hat das Auto immer noch ein Lenkrad, aber gesteuert werden soll es in Zukunft mithilfe von Virtual Reality-Brillen – und ein Fahrer muss dazu nicht einmal mehr anwesend sein. Dass für diese Vision superschnelles Internet vorhanden sein muss, ist klar: 5G und das zukünftige Weltrauminternet Star-Link sollen für die erforderliche Konnektivität sorgen.
„Das mag vielen noch futuristisch und surreal vorkommen. Aber die Technologie ist fertig und bereit, in großen Stückzahlen ausgerollt zu werden“, erklärt Firmengründer Vitaly Ponomarev. Offenbar sehen das Autobauer wie Porsche und Hyundai sowie der chinesische Internetkonzern Alibaba ähnlich.
Das Auto wird Teil des Metaverse
Der erste Schritt in das Metaverse wird ein Head-up- Display sein, gegen das die Grafik der aktuellen Top-Systeme wirkt wie ein schwarz-weißes Foto aus dem Anfang des vergangenen Jahrhunderts. Die holografischen Anzeigen sind nicht auf einen kleinen Bereich der Windschutzscheibe beschränkt, sondern fügen sich nahtlos in die gesamte reale Umgebung des Fahrzeugs ein. So wird auf einen Zebrastreifen oder einen Krankenwagen, der die Fahrbahn kreuzt, hingewiesen – genauso wie auf Geschäfte oder Menschen, die soeben etwas in den sozialen Netzwerken veröffentlicht haben. Auch Erklärungen zu Gebäuden oder andere Informationen beziehungsweise Interaktionen mit Menschen sind Teil der Technologie.
Bereits in zwei Jahren sollen die ersten Systeme von WayRay bei Premiumherstellern auf den Markt kommen, zwei Jahre später sind dann die Volumenhersteller dran. „Diese Holografie ist eine disruptive Technologie“, erklärt Firmengründer Vitaly Ponomarev. Die Basis für diese Technik ist ein kompakter Laser, der im Unterboden des Autos verbaut ist und der ein RGB-Signal an die Picture Generating Unit (PGU) sendet, die sich im Armaturenbrett befindet. Das Großhirn projiziert die Grafiken dann in das Sichtfeld der Passagiere. „Allerdings nicht in einen vorgegebenen Bereich, sondern quasi überall hin. Praktisch von null bis zur Unendlichkeit“, freut sich Ponomarev. Der 34-jährige Sohn eines russischen Offiziers hat eigentlich eine ökonomische Ausbildung. Der Wechsel in die Welt der Bits und Bytes kam durch ein einschneidendes Schlüsselerlebnis zustande: Ponomarev verursachte einen Verkehrsunfall, als er vom Navigationssystem seines Autos lurz abgelenkt war. Er rntschloss sich, das zu ändern – mithilfe von Virtual Reality.
Und das ist nicht das einzige Projekt dieser Art: Wir werfen einen Blick auf die Entwicklungen und Innovationen von VR in der Branche.
Immersive Spielwelten und der Ursprung der Technologie
Headset auf, physische Welt aus: VR ermöglicht es uns, uns kurzerhand aus der hiesigen Welt zu verabschieden (jedenfalls gedanklich), um in eine vollkommen neue virtuelle Dimension zu treten, die das Hier und Jetzt fast komplett ersetzt. In der Welt der Spiele ist die immersive Technologie bereits dabei, den Mainstream zu erreichen. Doch, obwohl VR erst innerhalb des letzten Jahrzehnts an Fahrt gewinnen konnte, hat sie ihren Ursprung tatsächlich schon im Jahr 1968, als das erste VR-Gerät aller Zeiten an der Harvard Universität erfunden wurde. Obwohl das Gerät damals noch so schwer war, dass es an der Decke angebracht werden musste, diente es dennoch als Basis für weitere Entwicklungen, die nun die Zukunft der Spielindustrie prägen.
Heutzutage sind VR-Headsets wie die Oculus Quest leicht und komfortable zu tragen und lassen Spieler einfach mit VR-Games wie Beat Saber, Poker VR und Lone Echo II in andere Welten treten. Inzwischen reicht der Einfluss von VR allerdings weit über die Game-Welten hinaus und hat auch die Automobilbranche erreicht.
Vom digitalen Prototypen bis zur virtuellen Testfahrt
Immer mehr Autobauer setzen inzwischen auf die Kraft der neuen Technologie und nutzen sie unter anderem in der Entwicklung neuer Fahrzeuge. So wird VR bereits dafür eingesetzt, um Prototypen zu entwickeln, ohne diese tatsächlich physisch fertigen zu müssen. Für Autobauer stellt dies eine immense Kosten- und Zeitersparnis dar und hilft dabei, bessere Fahrzeuge zu entwickeln. Das Auto wird dazu in der virtuellen Realität nachgestellt und kann so virtuell von den Konstrukteuren begutachtet, entwickelt und verbessert werden. Damit lassen sich Fehler direkt im virtuellen Modell erkennen und Details virtuell optimieren, bevor es in die tatsächliche Fertigung geht.
Audi hat hier im vergangenen Jahr Geschichte geschrieben und mit dem e-tron GT das erste Mal ein Auto vollkommen ohne physischen Prototypen geplant. Das Fahrzeug wurde stattdessen im virtuellen Raum bis ins kleinste Detail nachgestellt, erprobt und optimiert. VR hilft damit, die Entwicklung von Fahrzeugen effizienter und nachhaltiger zu gestalten.
VR kommt bei den Autobauern allerdings nicht nur hinter verschlossenen Türen zum Einsatz, sondern wird inzwischen auch verstärkt im Showroom verwendet. Hier nutzen Vertriebsmitarbeiter die immersive Technologie, um Kaufinteressierten ihr Traumauto virtuell zu konfigurieren. Mithilfe eines VR-Headsets können Käufer alle Seiten ihres Wunschwagens detailgetreu begutachten und sogar den Kofferraum öffnen, unter die Haube schauen und sich selbst virtuell ans Steuer setzen.
Auf immersive und lebensnahe Weise kann so das eigene Traumauto konfiguriert werden und der Käufer kann sich direkt viel besser vorstellen, wie die Konfiguration aussehen wird, als wenn dies nur mit einem Konfigurator auf dem Bildschirm geschieht. Details wie die Lackfarbe können in der virtuellen Realität dann zum Beispiel sogar bei unterschiedlichen Tageszeiten und Wetterverhältnissen betrachtet werden. Doch nicht nur die Konfiguration, sondern auch die Testfahrt wird mit VR jetzt auf virtuellem Weg möglich. Damit können potenzielle Käufer direkt im Showroom oder auch auf der eigenen Couch das Wunschauto testfahren und virtuell bei unterschiedlichen Witterungen und Bodenbeschaffenheiten das Auto auf eine Spritztour führen.
Virtuelle Unterhaltung auf dem Rücksitz
Doch nicht nur bei der Entwicklung und Kauf eines Fahrzeugs zeigt die virtuelle Realität bereits ihre unglaubliche Power, denn jetzt soll sie auch beim Fahren im Auto zur Anwendung kommen. Audis Vorstellung bei der CES Technik-Messe 2019 in Las Vegas war eines der absoluten Highlights: Die Ingolstädter präsentierten die neue Ära des In-Car-Entertainments. Dafür gründete der Autobauer das Start-up Holoride, welches immersive Unterhaltung mittels VR auf die Rückbank des Autos bringt. Mitfahrer können sich dann während der Autofahrt ein VR-Headset aufsetzen, welches mit Sensoren am Fahrzeug verbunden ist.
Die Bewegungen in der virtuellen Welt werden dann an die Bewegungen des physischen Fahrzeugs angepasst, sodass eine besonders immersive und lebensnahe Erfahrung entsteht. Biegt das Auto rechts ab, so bewegt sich das Gefährt in der virtuellen Realität ebenfalls in dieselbe Richtung. Die Technologie soll als offene Plattform vermarktet werden, sodass nicht nur Audi-Fahrzeuge, sondern auch andere Autohersteller und Content-Entwickler auf sie zugreifen können, um neue Fahrerlebnisse für Mitfahrer zu schaffen. Langeweile bei langen Autofahrten ist für Mitfahrer auf der Rückbank dann ein Ding der Vergangenheit. Sogar Reiseübelkeit soll mit VR vorgebeugt werden können.
Was VR bereits alles kann, ist unglaublich beeindruckend. So hat die Technologie es längst aus den Grenzen der Videospiele hinausgeschafft und inzwischen sogar die Automobilbranche maßgeblich verändert. Ob in der Entwicklung, beim Autokauf oder beim Fahren: VR ist dabei, das Fahrerlebnis von morgen zu prägen.