Der Verband der Automobilindustrie (VDA ) hatte ja schon mahnend den Finger gehoben, aber jetzt kommt eine massive Warnung aus Wolfsburg. Der VW-Konzern, der gerade mit ID.3 und ID.4 voll auf die Elektromobilität setzt, befürchtet angesichts des aktuellen Booms der Elektroautos ernsthafte Versorgungslücken in der deutschen Ladeinfrastruktur. Thomas Ulbrich, Vorstand E-Mobilität, machte heute eine klare Ansage: „Wir sehen eine große Ladelücke bis 2025.“ Und die von ihm präsentierten Zahlen und Charts lassen tatsächlich nichts Gutes ahnen.

Der „Masterplan Ladeinfrastruktur“ der Bundesregierung sei zwar eine gute Sache, speziell die Ende November in Kraft tretende 900-Euro-Förderung der privaten Wallboxen. Da würde, schönes Beispiel, die VW-eigene ID.Charger „Connect“-Box ja nur noch 283 Euro kosten, inklusive Installation. Klar, und Ulbrich verweist auch auf die „We Connect ID. App“ des Hauses, die ja sämtliche Ladeangebote bündeln würde („Wir sind die Einzigen mit so einem Gesamtpaket“). Und aktuell, so der VW-Vorstand, müsse man vor den Ladepunkten in Deutschland auch kaum Schlange stehen. Über 30.000 Ladepunkte gibt es nach der VW-Zählung mittlerweile hierzulande, davon allein 1200 an den VW-eigenen Standorten. Das Ganze sei eine nette Steigerung von 50 Prozent im Vergleich zu 2019.

Pro Woche 12.000 neue Stromer

Und dann holt Ulbrich aus. Der Fahrzeugbestand sei im gleichen Zeitraum um hundert Prozent gewachsen: Über 120.000 batterieelektrische Fahrzeuge seien in Deutschland seit Januar neu zugelassen worden. Die Folge: Schon jetzt käme nach neuesten VW-Berechnungen auf 14 Elektroautos gerade mal ein Ladepunkt. „Das wäre ja noch in Ordnung“, aber Puffer gäbe es schon jetzt nicht mehr. Und bis Ostern nächsten Jahres könnte sich dieses Verhältnis noch auf 20:1 verschlechtern. Der Grund: Derzeit, so Ulbrich, kämen pro Woche 12.000 neue Elektroautos (inklusive Plug-in-Hybride) in den Verkehr – aber nur 200 neue Ladepunkte pro Woche ans Netz. Notwendig wären, und da geht er durchaus mit den VDA-Zahlen konform, bis zu 2000 neue Ladepunkte.

Richtig krass wird es laut Ulbrich aber perspektivisch. Rund 300.000 Ladepunkte wären bis 2025 notwendig, um die dann für Deutschland veranschlagten 3,5 bis 4,0 Millionen Vollstromer und Plug-in-Hybride an öffentlichen Plätzen mit Strom versorgen zu können. Aber beim derzeitigen Tempo im Ausbau der Ladeinfrastruktur wären es 2025 lediglich 120.000 bis 150.000 Ladepunkte. Und bei den bald absehbar schärferen Umweltzielen der EU (Stichwort „Green Deal“), so der Vorstand, „würde diese Lücke noch extremer ausfallen“. Denn die scharfen Klimaziele, die von EU-Kommission und -Parlament angepeilt werden, seien nur mit Elektroautos erreichbar.

Europaweit gäbe es aus VW-Sicht noch bedrohlichere Handicaps. So gäbe es zum Beispiel in ganz Italien aktuell lediglich 9000 Ladepunkte, in Spanien seien es sogar nur 5000. Nur in Ländern wie Norwegen, Niederlande und Österreich wäre die Situation besser. Und deshalb müssten sowohl die EU-Gremien als auch die Bundesregierung hier deutlich größere Anstrengungen unternehmen, fordert der Autokonzern. Kurzfassung Ulbrich: „Der Durchbruch zum Elektroauto hat begonnen, aber das Laden wird schwieriger“. Ein No-Go für den immer extrem engagierten, notfalls auch lautstarken VW-Vorstand.

40.000 Vorbestellungen für den ID.3

Schnell lässt er bei dieser Gelegenheit (kurzes Schulterklopfen für die Mannschaft), mal die aktuellen Erfolgszahlen der Marke raus. So hätte man seit Januar nun 40.000 Vorbestellungen für die neue, vollelektrische ID.3-Limousine. Und selbst für die SUV-Version ID.4, die erst zum Jahreswechsel startet und die noch kein Kunde live gesehen hat, gäbe es schon Interessenten im vierstelligen Bereich. Im VW-Elektrowerk Zwickau, verrät Ulbrich, liefen jetzt täglich insgesamt 650 Autos vom Band, bis zum Jahresende sollen es 750 sein.

Die wachsende Zahl von Elektroautos wird vor allem in den Städten zum Problem, belegen aktuelle Zahlen zum Ausbau der Ladeinfrastruktur. Der Verband der Automobilindustrie schlägt bereits Alarm. Laden

Genau diese Zuwächse sind aber auch Futter für die Ladefalle. Warnungen gab es deshalb auch von Martin Höfelmann, dem für Politik und Wirtschaft zuständigen Mann bei „Elli“. Die Volkswagen-Konzerntochter ist für die Belieferung von E-Mobilen mit Naturstrom zuständig. Nachdem er kurz die neuen Förderungen und die neuen Rechtsansprüche für Mieter und Wohnungseigentümer in punkto Ladelösungen gelobt hat. Geld für den Ausbau der öffentlichen Ladeinfrastruktur sei ohne Ende vorhanden, wettert er, aber es werde nicht abgerufen.

Es gibt viel zu meckern

Die elektrische Versorgungsauflage an Tankstellen komme nicht in Gang („Zu viele Rechtsprobleme“), unterm bösen Stichwort „Spitzenglättung“ drohe bei zu starker Netzbeanspruchung eine Beschneidung des Ladestroms. Der Schwellenwert für die Ladepunkte-Versorgung von Neubauten sei mit vorausgesetzten zehn Stellplätzen zu hoch. Und die zuständigen Ministerien, wusste er zu berichten, würden teilweise sogar gegeneinander arbeiten. Ach ja, und die für den Bau eines deutschen Schnellladenetzes avisierten drei Milliarden Euro (eine Million öffentlicher Ladepunkte bis 2030) könnten bisher nicht ansatzweise ausgegeben werden – es gäbe ja nicht einmal entsprechende Ausschreibungen.

Jede Kommune brauche unbedingt einen E-Manager, findet Höfelmann und hat gleich ein schönes Beispiel für aktuelle Fehlplanungen parat. „Berlin ist doppelt so groß wie München, hat aber deutlich weniger Ladepunkte„. Mindestens genau so schlimm sind für ihn diverse aktuelle Bestrebungen, bei Investitionen die ineffektiveren E-Fuels und Wasserstoff-Technologien höher zu gewichten.

VW ID.3 an der Ladesäule
Über 40.000 Vorbestellungen für das Elektroauto liegen inzwischen vor. Im Werk Zwickau wird deshalb nun die Tagesproduktion weiter hochgefahren. Foto: Volkswagen

Und wie zu erwarten, schaltet sich an dieser Stelle Ulbrich ein. „Die Politik sollte sich von Wasserstoff und E-Fuels nicht ablenken lassen“, fordert er. Eine volle Breitseite gegen die Befürworter dieser Technologien, die es (siehe Porsche) ja sogar noch im eigenen Hause gibt. „Und überhaupt“, ergänzt der Vorstand: „Deutschland braucht dringend einen Gipfel zur Ladeinfrastruktur!“

Der Konzern selbst sei beim Ladethema an seinen eigenen Standorten ständig aktiv. „Wir können unser Angebot an Ladepunkten hier je nach Bedarf und Auslastung jederzeit hochfahren“, verspricht Ulbrich. „Wir haben das ständig im Auge.“ An neuen Standorten verlege man deshalb schon prophylaktisch ausreichend Standrohre und Kabel, beispielsweise auf den vielen Mitarbeiter-Parkplätzen von Volkswagen.

Nur 20 Ladeplätze am Berliner Flughafen

Klar, im Rahmen der Ionity-Partnerschaft sei der Konzern ohnehin stark engagiert, ergänzt Martin Roemheld, Leiter E-Mobility Services bei Volkswagen. Gerade sei mitten in Wolfsburg ein weiterer Schnellladepark ans Netz gegangen, zwei weitere befänden sich im Aufbau. Und künftig sollen die VW-Elektroautos mit ihren Strom zum Beispiel auch das eigene Haus oder auch Campinggeräte versorgen können – Stichwort: Vehicle-to-Home. Auch das kartenlose Strom-Bezahlen über eine bequeme Plug and Charge-Autorisierung habe man bei VW für die eigenen Modelle im Blick: „Daran arbeiten wir gerade.“ Und demnächst solle die Navigation der Stromer auch noch eleganter mit den unterwegs vorhandenen Ladepunkten zu einem schönen Reiseplan mit garantierter Ankunftszeit vernetzt werden.

Noch was Unterhaltsames aus Sicht des Berliner Korrespondenten? Gern. Im neuen (alten) Hauptstadtflughafen BER, gerade still und leise eröffnet, haben offenbar von den rund 18.000 Autostellplätzen aktuell nur 20 einen Anschluss zum Laden von Elektrofahrzeugen. Tja, vor rund neun Jahren, als dieses Schönefelder Großunternehmen eigentlich starten sollte, war das ungefähr genug für die damaligen Elektroauto-Dimensionen. Darüber können sie in Wolfsburg garantiert laut lachen.

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