Wenn ein neues Automobil auf den Markt kommt, läuft die Marketingmaschine des jeweiligen Herstellers auf Hochtouren. Schließlich stecken einige Millionen Euro und etliche Stunden an Entwicklungsarbeit darin, die sich vor allem finanziell Früchte tragen sollen. Das ist bei BMW nicht anders. Für die sogenannte Neue Klasse trommelt der Münchner Autobauer nun schon seit einiger Zeit mit einer solchen Intensität, dass man fast schon Gefahr läuft, sich einen Werbe-Tinitus einzufangen. Auf die Studien des E-SUVs iX3 und der Limousine i3 folgte die Vorstellung des neuen Panoramic Vision-Infotainments auf der CES, dem Mekka der Tech-Nerds. Der neue Entwicklungsvorstand Joachim Post erklärte die neue Architektur gar zu einem Jahrhundert-Projekt.
Alles ziemlich dick aufgetragen, möchte man meinen. Doch wenn man sich mit den Details der neuen Plattform beschäftigt, wird klar, dass dieses Unterfangen in der Tat wegweisend für BMW ist. Bis Ende 2027 sollen mehr als 40 Modelle, sei es in Form einer Modellpflege oder einer Neuauflage von dem Technikarsenal der Neuen Klasse profitieren. Die Folgen, die es hätte, wenn dieser Schuss daneben ginge, wären fatal.

Die Silhouette des BMW iX3 50 xDrive Prototypen lässt erkennen, dass das Serienfahrzeug relativ nah an der Studie ist. Bilder: BMW
Los geht es Anfang nächstes Jahr mit dem BMW iX3 – einem Elektro-SUV, das die Neue Klasse in Reinkultur verkörpert. Interessanterweise verfolgen die Münchner einen anderen Ansatz als Mercedes. Für BMW gibt es bei den kompakten und Mittelklasse-Modellen keine Alternative zu reinrassigen Elektrik-Plattformen, während Mercedes bei der MMA-Architektur den vorhandenen Bauraum nutzt des E-Antriebsstrangs nutzt, um bei Bedarf einen Vierzylinder-Verbrennungsmotor einzusetzen.
725 Kilometer mit einer Akkuladung?
Wir sitzen in einem Prototyp des BMW iX3 50 xDrive mit einem EESM-Motor an der Hinterachse, ergänzt durch einen ASM-E-Motor (Drehstrom-Asynchron-Maschine) vorne. Über die genaue Leistung schweigen sich die Techniker noch aus. Allerdings ist bekannt, dass die EESM-Maschinen zwischen 200 kW (272 PS) und 300 kW (408 PS) leisten und die ASM-Motoren 120 und 180 kW. An Kraft mangelt es dem Gefährt sicher nicht, wie ein kurzer Druck auf das Fahrpedal beweist. Die Kombination aus ASM- und EESM-Maschine zeigt, dass beim iX3 in der Regel die Hinterachse das Kommando hat und die vorderen beiden Räder nur eingreifen, wenn es die Fahrsituation erfordert. Das entspricht der BMW-Antriebstradition und spart Strom.

Der BMW iX3 50 xDrive Prototyp lässt sich entspannt schnell bewegen. Auch im Innenraum waren bei der Testfahrt noch viele Oberflächen abgedeckt – selbst das BMW-Logo auf dem Lenkrad.
Apropos Strom: Auch um die Batteriekapazität macht BMW noch ein großes Geheimnis. Bei unserem iX3 zeigte der Bordcomputer einen Ladestand von 84 Prozent und eine Restreichweite von 610 Kilometern an. Das liefe auf eine Gesamtreichweite um die 725 Kilometer bei einer vollständigen Füllung des Akkus hinaus. Bemerkenswert auch: Beim Laden wurde laut Bordcomputer eine Spitzenleistung von 400 kW erreicht. Das würde alles übertreffen, was derzeit auf dem Markt ist.
Stahlfahrwerk mit adaptiven Dämpfern
In unserem Prototypen ist ein klassisches Stahlfahrwerk verbaut. Ohne variable Dämpfer oder andere Zutaten. „Stahl ist ehrlich“, erklärt Fahrdynamiker Stefan Kecht mit dem Brustton der Überzeugung. Zurecht. Wer die Basisabstimmung gut hinbekommt, kann sich bei den adaptiven Dämpfern auf das Verfeinern konzentrieren und muss keine Schwächen kaschieren. Beim BMW iX3 ist Ersteres der Fall. Das Fahrwerk vermittelt den Zustand des Asphalts eindeutig, ist sportlich und dabei durchaus komfortabel. Das nervige Nachwippen bei langen Wellen ist fast komplett eliminiert und auch viele aufeinanderfolgende Querfugen steckt der Münchner E-Crossover gut weg. Das ist kein Selbstläufer. Schließlich ist die Torsionssteifigkeit des Autos im Bereich der Batterie höher als beim Vorder- und Hinterwagen.

Das BMW-Konzeptauto gab bereits 2024 einen Vorgeschmack auf den vollelektrischen iX3, der 2026 in den Handel kommt.
Um ein stimmiges Setup hinzubekommen, müssen diese Elemente im Einklang sein. Verstrebungen helfen zwar, aber man will ja nicht unnötig viel Gewicht ins Fahrzeug packen. Schon gar nicht bei einem Elektroauto. Dazu kommt eine Lenkung, bei der BMW endlich wieder zu sich selbst gefunden hat. Das Lenkgefühl ist intuitiv und man spürt stets, wie es um die Traktion der Vorderräder bestimmt ist. Auch im Sport-Fahrmodus sind die Rückstellkräfte zwar größer, aber bei weitem nicht derart ausgeprägt, wie man es bei anderen BMWs schon erlebt hat.
Superhirn steuert den Informationsfluss
Der BMW iX3 lässt sich entspannt schnell bewegen. Sauschnell sogar. Was die Fahrdynamik angeht, haben die Münchner nicht zu viel versprochen. Dazu trägt eben auch die Technik der Neuen Klasse bei. Denn BMW hat mit dem sogenannten „Heart of Joy“ ein Superhirn ersonnen, das wie ein Dirigent den Fahrdynamik-Taktstock schwingt. Und das mit einer um den Faktor zehn höheren Geschwindigkeit, als bei bisherigen Systemen. Anstelle eines langatmigen Ping-Pongs zwischen Aktuatoren und Steuergeräten, gibt es jetzt einen Chef im Ring, der sagt, wo es langgeht. Im wahrsten Sinne des Wortes.

Das Stahlfahrwerk des BMW iX3 50 xDrive Prototyps ist ausgewogen abgestimmt. Auch die Lenkung reagiert besser als in so machen aktuellen BMW-Modellen – da kann man nicht meckern.
Das Agilitäts-Großhirn der Neuen Klasse verarbeitet Eingangssignale wie zum Beispiel die Radgeschwindigkeit und den Lenkradwinkel und berechnet daraus die entsprechenden Dynamikbefehle wie etwa Bremseingriffe an den einzelnen Rädern oder die Kraftverteilung zwischen den Achsen. Das Auto macht es einem einfach. Selbst unvermittelte Spurwechsel bei 130 km/h gehen leicht von der Hand.
BMW entwickelte Software selbst
Auch wenn man sich über den Begriff „Heart of Joy“ trefflich streiten kann, steckt doch ein entscheidender Paradigmenwechsel dahinter. Die Software und das Gesamtsystem sind von BMW entwickelt und bleiben auch dort. „Bislang haben wir Zulieferer mit ins Boot genommen und die konnten dann das Know-how an Konkurrenten weiterverkaufen. Das ist vorbei“, erklärt der Leiter des Bereichs Fahrerlebnis Mihiar Ayoubi die neue Strategie, die auch chinesische Autobauer erfolgreich verfolgen. In der Neuen Klasse befinden sich vier solcher Hochleistungs-Computer. Jeder ist für einen bestimmten Bereich verantwortlich: Infotainment, Klimatisierung automatisiertes Fahren und eben Fahrdynamik.
BMW bietet drei Rekuperationsstufen plus das One-Pedal-Fahren an, indem man den Automatikwählhebel auf „B“ stellt. Ein reines Segeln ist aktuell nicht möglich. Aber noch ist ja Zeit bis zum Serienstart. Auch beim Verzögern überzeugt die Neue Klasse. Obwohl die meiste Zeit nur die Motorbremse genutzt wird, ist das Gefühl im Pedal natürlich und die Bremsleistung gut dosierbar. Bei einer Vollbremsung war der Übergang von der digitalen zur analogen Reibbremse nicht zu bemerken. Geht man das Ganze sehr gefühlvoll an, kommt der BMW iX3 geschmeidiger zum Stillstand als andere Fahrzeuge.
Autonomes Fahren auf Level 3
Das bringt uns zu den Fahrassistenzsystemen. Bei BMW gilt seit jeher die Devise, dass der Fahrer das Kommando hat. Diese Prämisse setzt sich auch beim autonomen Fahren fort: Unterstützen statt bevormunden, lautet nun das Motto. Vor allem in der Stadt soll der Auto-Pilot den Fahrer entlasten. Natürlich hält die Neue Klasse bei einem Fußgänger auf der Straße selbsttätig an, fährt aber auch an einem Auto vorbei, das zum Teil auf dem Bürgersteig parkt. Solange die Fahrbahn breit genug ist und man keine anderen Verkehrsteilnehmer behindert. Das geht flüssig, aber bisweilen auch ziemlich knapp.

Beim Panoramic-Vision-Infotainment verzichtet BMW auf den Drehdrücksteller. Statt dessen werden die Systeme per Sprachbefehl aktiviert. Die Hardware hat BMW zusammen mit Forvia entwickelt, die Software ist eine Eigenentwicklung der Bayern.
Auch das Einparken bei engen Parklücken übernimmt der BMW. Um einen Spurwechsel auf der Autobahn einzuleiten, genügt das Setzen des Blinkers, eine leichte Bewegung des Lenkrads oder ein Blick in die Außenspiegel. Die Kamera hat den Fahrer im Blick. Selbst E-Mails lassen sich bei Tempo 130 verfassen, ohne die Hände am Lenkrad zu haben, solange man in regelmäßigen Abständen auf die Fahrbahn schaut. Deswegen bestehen die Münchner darauf, dass es sich um autonomes Fahren handelt.
52 Zoll großes Head-up-Display
Beim Infotainment-System Panoramic iDrive verabschiedet sich BMW vom Drehdrücksteller. „Die Kundendaten zeigen, dass zunehmend die Sprachbedienung genutzt wird“, erklärt UX/UI-Entwicklungsleiter Jörn Freyer. Aber das Konzept „Augen auf der Straße und Hände am Lenkrad“ funktioniert aber auch mit den Bedieninseln am Volant. Die Knöpfe geben ein haptisches Feedback und wenn es um Fahrassistenten geht, sind nur die relevanten Bedienfelder aktiv. Das schmale Anzeigeband unterhalb der Windschutzscheibe stört nicht und man kann die sogenannten Widgets nach eigenem Gusto konfigurieren. Lediglich die Geschwindigkeit und der Ladestand der Batterie direkt vor dem Fahrer sind gesetzt. Das Head-up-Display bietet Augmented Reality und ist bei einem Projektionsabstand von sieben Metern 52 Zoll groß.
Ja, auf diesen Stromer können wir uns freuen. Wir sind schon gespannt auf die erste Ausfahrt mit dem ungetarnten Serienmodell. Zu sehen ist es im September auf der IAA Mobility, in den Handel kommt der iX3 Anfang 2026.