„Auch das noch … Kooperationen über Kooperationen! … Sollte ein Konzern mit 684.000 Mitarbeitern nicht in der Lage sein, viel mehr selbst zu entwickeln, statt immer wieder Kooperationen einzugehen?“, fragt sich Nord/LB-Automotive-Analyst Frank Schwope bei Linkedin. Die Frage ist berechtigt. Da verbündet sich der zweitgrößte Autokonzern der Welt – mit rund neun Millionen ausgelieferten Fahrzeugen im vergangenen Jahr – mit einem Zwerg, der von seinem R1 genannten Truck im selben Zeitraum gerade einmal 50.000 Autos an seine Kunden ausgeliefert hat.
In das geplante Gemeinschaftsunternehmen mit Rivian Automotive namens „Skip“ investiert Volkswagen in mehreren Schritten bis 2026 bis zu fünf Milliarden US-Dollar. Gemeinsam sollen sowohl eine neue elektrisch-elektronische Architektur als auch weitere Software für Elektrofahrzeuge entwickelt werden. Es ist eine fatale Botschaft in den VW-Konzern hinein, aber auch an die Kunden. Sie lautet: Unsere gerade gestartete PPE-Plattform und die E3-Software, die im neuen elektrischen Porsche Macan sowie dem Audi Q6 e-tron zum Einsatz kommen, sind eigentlich nicht gut genug.
Geeignete Leute holen
Zudem ist es ein Schlag ins Gesicht der Cariad-Entwickler. Trotz diverser Umbauarbeiten unter dem neuen CEO Peter Bosch bekommt das Software-Unternehmen es nicht selber hin. Was hätte man mit fünf Milliarden US-Dollar bei Cariad ausrichten können? Zudem wäre jedes Patent und jegliches geistiges Eigentum in der Hand des Wolfsburger Autokonzerns verblieben. Man müsste mit niemandem teilen.
Warum es nicht wie Audi machen und sich geeignete Leute holen? Erst kürzlich heuerte Geoffrey Bouquot vom französischen Zulieferer Valeo bei den Ingolstädtern an. Der 38-Jährige übernimmt das Vorstandsressort für Innovation und Software-Defined-Vehicle. Die Personalie verdeutlicht aber auch, dass trotz Software-Tochter Cariad im Volkswagen-Konzern jede Marke weiterhin ihr eigenes Süppchen kocht. Von der Idee einer zentralen Softwareentwicklung scheinen sich einige der verantwortlichen Manager verabschiedet zu haben.
Einen Juniorpartner in China gewählt
In China beteiligte man sich im vergangenen Sommer lieber direkt an einem Auto-Start-up. Xpeng wurde erst 2014, immerhin fünf Jahre nach Rivian, vom VW-Partnerunternehmen SAIC gegründet. Dafür lieferte Xpeng im Jahr 2023 bereits rund 130.000 Fahrzeuge in China aus. Das erklärt den Preis von 700 Millionen US-Dollar für 4,99 Prozent der Anteile am Unternehmen, den Volkswagen gezahlt hat. Gemeinsam wollen VW und Xpeng in China ein Technologiezentrum mit rund 2.000 Ingenieuren aufbauen, um gemeinsam Kooperationsmodelle zu entwerfen.
Gleiches hat Audi zusammen mit SAIC im Premiumsegment vor. Hier mag es vorwiegend um Software gehen. Doch „einen Fuß“ bei einer heimischen Marke im wichtigsten Automarkt der Welt zu haben, ist in Zeiten globaler Abschottungswettkämpfe mit Zöllen sicher eine gute Idee. Auch wenn man mit knapp fünf Prozent der Anteile die Geschicke im Vorstand kaum in die gewünschte Richtung dirigieren kann.
Unglaublich hohe Abschreibungen
Doch wie sehr Kooperationen nach hinten losgehen können, zeigt das Beispiel Ford/Argo AI. Herbert Diess vereinbarte 2020 als Volkswagen-CEO zusammen mit Ford eine Beteiligung bei dem jungen Unternehmen für automatisiertes Fahren. Argo AI galt als Hoffnungsträger, autonom fahrende Autos als einer der Ersten auf die Straße bringen zu können.
Doch Ford verlor nach zwei Jahren die Geduld und zog den Stecker. Der US-Autobauer schrieb 2,8 Milliarden US-Dollar seiner Beteiligung an Argo AI ab. Im selben Jahr musste Ford weitere Verluste in Höhe von 7,4 Milliarden Euro hinnehmen: Auch eine Investition von 500 Millionen Dollar in Rivian hatte so viel Wert verloren, dass sie abgeschrieben werden musste. Von den einst 101,9 Millionen Rivian-Aktien hält Ford inzwischen nur noch rund 11 Millionen oder 1,15 Prozent.
Volkswagen schrieb in seinen Büchern 1,9 Milliarden Euro für die Argo-AI-Beteiligung ab. Man wechselte in Sachen autonom fahrender VW ID.Buzz still und leise zum israelischen Unternehmen Mobileye. Schließlich soll der ID.Buzz AI bereits im kommenden Jahr ohne Fahrer in Hamburg seinen Fahrdienst antreten.
Rivian verschiebt den Bau einer zweiten Fabrik
Rivian kann das frische Geld aus Wolfsburg gut gebrauchen. Im vergangenen Jahr machte das von Robert „RJ“ Scaringe gegründete Unternehmen 5,4 Milliarden US-Dollar Verlust – bei 4,4 Milliarden US-Dollar Umsatz. Dabei war der Hersteller von Pick-up-Trucks hoffnungsvoll in die Welt der Aktienunternehmen gestartet: Nach dem Börsengang 2021 schoss der Kurs der Aktie auf 172 US-Dollar. Damit war Rivian plötzlich mehr wert als Ford oder als Volkswagen. Doch das junge Unternehmen plagten immer wieder Verzögerungen bei den Auslieferungen der beiden Modelle R1S und R1T.
Medien spekulierten, dass Rivian finanziell am Tropf von Amazon hänge, da das Unternehmen für das Versandunternehmen Lieferfahrzeuge produziere und Amazon-Chef Jeff Bezos rund 17 Prozent der Anteile halte. Eine Kooperation mit Mercedes-Benz – geplant war der gemeinsam Bau von elektrischen Transportern – sagte Rivian Ende 2022 ab.
R3 – ein futuristischer E-Golf
In den vergangenen drei Monaten dümpelte der Aktienkurs von Rivian zwischen neun und elf US-Dollar. Die Nachfolgemodelle des R1T namens R2 und R3, die auch nach Europa kommen sollen, sind eingeplant. Doch den bereits seit Längerem angekündigten Bau einer zweiten Fertigung in Georgia musste das Unternehmen aus finanziellen Gründen verschieben. Der 4,72 Meter lange Elektro-SUV R2 läuft zunächst in Normal, Illinois, vom Band. Vielleicht haben sich die VW-Manager bei ihrer Investitionsentscheidung aber auch in den kompakten Rivian R3 verguckt. Von der Seite sieht das Elektroauto aus, wie man sich zukünftig einen elektrischen Golf vorstellt.
Der kleine David hat mit dem Deal den großen Goliath zwar nicht zu Fall gebracht. Doch die Zeit wird zeigen, ob das Joint Venture eine gute Idee war. Zunächst gibt es nur einen einzigen Gewinner – die Rivian-Aktionäre: Im vorbörslichen Handel machte der Aktienkurs einen Sprung von 41 Prozent.