In der E-Bike-Welt herrscht eine seltsame Logik. Mehr Leistung = mehr Spaß. Mehr Watt = mehr Freiheit. Mehr Drehmoment = mehr Männlichkeit? Der Trend zur Übermotorisierung, wie wir ihn schon länger bei Elektroautos erleben, ist mittlerweile auch in der Zweiradindustrie angekommen und treibt dort inzwischen absurde Blüten.

Angestoßen wurde der Aufrüstungs-Wahn vor einem Jahr von einem chinesischen Drohnen-Hersteller: Mit dem Avinox M1-Motor, der den Mountainbiker am Berg mit bis zu 120 Newtonmeter Drehmoment und zumindest kurzfristig mit 1000 Watt unterstützt, hat der Newcomer DJI die gesamte Branche überrascht – und ein Wettrüsten ausgelöst, wie der Gang über die Eurobike und die neuen Antriebe der etablierten Hersteller von elektrischen Zweirad-Antrieben belegt.

400 Prozent Unterstützung 
Auch Tourenfahrer profitieren von immer stärkeren Antrieben: Die neue Performance Line PX von Bosch unterstützt den Fahrer am Berg mit einer Spitzenleistung von 700 Watt und bis zu 90 Newtonmeter. In die Pedale treten muss er trotzdem noch selbst. Foto: Bosch
400 Prozent Unterstützung
Auch Tourenfahrer profitieren von immer stärkeren Antrieben: Die neue Performance Line PX von Bosch unterstützt den Fahrer am Berg mit einer Spitzenleistung von 700 Watt und bis zu 90 Newtonmeter. In die Pedale treten muss er trotzdem noch selbst. Foto: Bosch

Marktführer Bosch präsentierte auf der Fahrradmesse in Frankfurt unter anderem eine Race-Variante des Mittelmotors aus der Bosch Performance Line für e-MTBs mit 100 Newtonmeter Drehmoment und einer Spitzenleistung von 750 Watt sowie die neue Performance Line PX, die Trekking-Bikern mit bis zu 90 Newtonmeter Drehmoment und 700 Watt Spitzenleistung Beine macht. Mahle konterte mit dem neuen M40-Mittelmotor, der mit einem maximalen Drehmoment von 105 Newtonmetern und einer Spitzenleistung von 850 Watt Spitzenleistung aufwartet. Autozulieferer ZF machte mit der überarbeiteten Antriebseinheit CentriX aufmerksam, die jetzt mit 105 Newtonmeter Drehmoment sowie einer Spitzenleistung von 750 Watt aufwartet. Und auch Yamaha präsentierte eine neue Motorenfamilie – mit dem bis zu 800 Watt starken PW-X4 maximales Drehmoment: 100 Newtonmeter) als Topmodell.

Die Watt-Frage: Brauchen wir wirklich mehr Power?

Angesichts der Neuigkeiten auf der Antriebsseite stellt sich eine einfache Frage: Braucht man so viel Kraft wirklich?

Eine großangelegte Leserbefragung, die ein Fahrradmagazins kürzlich unter fast 17.000 E-Mountainbikern durchführte, zeigt: Nur rund 5 Prozent bewegen ihr Geländefahrrad regelmäßig im Turbo- oder Boost-Modus, der die maximale Unterstützung der Beinmuskulatur aufruft. Der Rest begnügt sich freiwillig mit dem Tour- oder Eco-Modus und einer nur moderaten Trittunterstützung. Nicht, weil sie müssen – sondern weil sie wollen. Effizienz, Fahrgefühl und leiser Lauf sind den meisten wichtiger als rohe Kraft. Die maximale Motorleistung landete in der Umfrage erst auf Platz fünf der wichtigsten Faktoren bei der Wahl des Antriebs.

Warum dann der Ruf nach Regulierung?

Tatsächlich diskutiert die Fahrradbranche angesichts der jüngsten Entwicklungen proaktiv und sehr ernsthaft über eine Leistungsdeckelung bei 750 Watt am Antriebsrad und präzisere Vorgaben für den Unterstützungsgrad durch die „Drive Unit“. Die Zweirad-Industrieverbände in Europa (ZIV, Conebi und Co.) sehen sich zunehmend unter Druck der Politik, das explosive Wachstum des E-Bike-Markts in geregelte Bahnen zu lenken. Nicht zuletzt, weil das E-Bike oder Pedelec in Europa rechtlich als „EPAC“ (Electrically Power Assisted Cycle) gilt und damit einen Sonderstatus genießt. Es gilt wegen der Eigenleistung des Fahrers als Fahrrad – und nicht als Leichtkraftrad oder Mofa. Doch genau dieser Status steht auf dem Spiel, wenn die Leistungsexzesse außer Kontrolle geraten.

Kompaktes Kraftwerk 
Mit einer Spitzenleistung von 850 Watt und einem Drehmoment von 105 Newtonmeter (120 Nm im Boost-Modus) ist der kompakte und mit 2,52 Kilogramm auch recht leichte Avinox-Antrieb von DJI Amflow derzeit Benchmark bei E-Mountainbikes. Foto: Amflow
Kompaktes Kraftwerk
Mit einer Spitzenleistung von 850 Watt und einem Drehmoment von 105 Newtonmeter (120 Nm im Boost-Modus) ist der kompakte und mit 2,52 Kilogramm auch recht leichte Avinox-Antrieb von DJI Amflow derzeit Benchmark bei E-Mountainbikes. Foto: Amflow

Einige Stimmen fordern bereits eine Typengenehmigung für E-Bikes, wollen diese ähnlich wie die 45 km/h schnellen S-Pedelecs auch versicherungspflichtig machen. Andere warnen vor einem regulatorischen Flickenteppich, der vor allem kleine Hersteller überfordern würde. Doch unbestritten ist: Die Branche braucht klare Regeln, bevor Brüssel welche diktiert. Und zwar dringend.

Formel 1 als Vorbild? Ja, wirklich.

Ein interessanter Gedanke kam kürzlich in einem Workshop des E-Mountainbike-Magazins mit Vertretern der Fahrradindustrie auf: Selbst die Formel 1 – das Sinnbild technischer Grenzüberschreitung – hat sich irgendwann strenge Regeln auferlegt. Nicht, um Innovation zu verhindern, sondern um sie zu lenken. Wer innerhalb fester Grenzen Spitzenleistungen erbringen muss, wird kreativer – nicht träger. Warum sollte das bei E-Bikes anders sein?

Vielleicht ist es an der Zeit, dass sich auch die E-MTB-Welt auf ein neues Leistungsverständnis einigt. Eines, das weniger nach „Je mehr, desto besser“ funktioniert – und mehr nach: „Was braucht es wirklich für ein gutes Fahrerlebnis?“ Die Antwort: vermutlich weniger als gedacht. Mehr Watt machen ein schlechtes Setup des E-Bikes nicht besser. Und sie ersetzen auch kein Können auf Seiten des Fahrers.

Fazit: Die Zukunft fährt mit Augenmaß – nicht mit Überdruck.

Die E-Bike-Industrie steht an einem Scheideweg: Will sie sich weiterhin mit immer absurderen Leistungswerten überbieten – oder ihre Innovationskraft in sinnvollere Bahnen lenken? Die Mehrheit der Nutzer hat ihre Entscheidung längst getroffen: Sie wollen Fahrgefühl statt Overkill. Und sie wollen ein sicheres, zugelassenes Bike – nicht die graue Zone irgendwo zwischen Sportgerät und Moped.

Der Watt-Wahnsinn mag kurzfristig beeindrucken, auch Käufer anlocken. Aber letztlich braucht es auch auf dem E-Bike mehr Weitblick als Drehmoment, oder?

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5 Kommentare

  1. Kurt Enzingmüller

    Der Artikel benennt die Probleme ziemlich genau. Es gibt immer mehr Pedelcbegeisterte, auch unter der älteren Generation, die das Leistungsangebot brutal ausnutzen- zum Schaden aller Vernünftigen. Es hilft nur Regulierung und Kontrolle. Ich mache die Erfahrung, dass die Leistungsbegeisterten auch gerne zuschlagen. Große Freiheit?

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  2. Peter Zemp

    Nicht vergessen, je mehr Leistung man abruft, desto kürzer wird die Reichweite. Deshalb ist nicht die Spitzenleistung vom Motor wichtig, sondern die Grösse vom Akku. Zuerst hatte ich einen Akku von 500 Wh. Dies ist für uns definitiv zu klein geworden. Neu fahren wir mit dem Duosystem herum, also zwei Akkus fest verbaut ergibt 1125 Wh. Nun reicht dies für 2200 Höhenmeter und 100 km Reichweite bei 90 kg Fahrergewicht.

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  3. Paul Michel

    Nicht vergessen, je mehr Leistung man abruft, desto kürzer wird die Reichweite. Deshalb ist nicht die Spitzenleistung vom Motor wichtig, sondern die Grösse vom Akku. Zuerst hatte ich einen Akku von 500 Wh. Dies ist für uns definitiv zu klein geworden. Neu fahren wir mit dem Duosystem herum, also zwei Akkus fest verbaut ergibt 1125 Wh. Nun reicht dies für 2200 Höhenmeter und 100 km Reichweite bei 90 kg Fahrergewicht.

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  4. Paul Michel

    Die Leistung des Motors ist vom Gewicht des Fahrers abhängig und ob man oft auf steilen Strassen unterwegs ist. Ich habe so das Gefühl, wer schwerer als 100 kg ist, der braucht einen sehr starken Motor. Der Rest nicht. Der soll ein Motorrad kaufen.

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  5. Bashi

    Ich sehe hier kein Problem. Es gibt so viele verschiedene Modelle, dass jeder etwas Passendes finden kann. Außerdem sind sie alle auf 25 km/h begrenzt.

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