Debatten sind ja immer für irgendwas gut, in Berlin sowieso, wo man, was den Verkehr betrifft, genügend Probleme am Hals hat. Der immer noch verkorkste Zukunftsflughafen BER, die schlechte Luft, die deshalb drohenden Dieselfahrverbote, dazu die täglichen Dauerstaus auf sämtlichen großen Magistralen. Und auf unserem S-Bahnhof läuft gerade eine Endlos-Nachricht: „BVG-Streik – bis 22 Uhr fahren keine Busse“. Fängt ja gut an.
Andererseits ist das chaotische Berlin ein super Ort für den Verkehr der Zukunft, hier drängeln sich die schlauesten Start-ups, hier testet sich an allen Ecken die Elektromobilität, inklusive der noch nicht einmal zugelassenen hippen Stehroller. Das Thema ist heiß, und seit Tagen heißt es auf der Website der Konferenz-Veranstalter: Ausgebucht, keine weiteren Teilnehmer möglich. Über 500 Interessenten haben sich angemeldet. Die Location? Der sehr klassische, etwas plüschige Festsaal des Rathauses mit viel Rose und Gold, gerafften Vorhängen und gigantischen Kronleuchtern. Aber nur ein paar Zimmer weiter regiert Bürgermeister Michael Müller.
Für Gernot Lobenberg, Chef der hier ausrichtenden Berliner Agentur für Elektromobilität (eMO), die zum Land Berlin gehört und Wirtschaft (inklusive der tollen Start-ups), Wissenschaft, Politik und Verwaltung verbinden soll, geht es hier vor allem um Netzwerken. „Wir wollen heute intensiv die Verkehrswende diskutieren, und dazu gehört die Elektromobilität“, erklärt er uns. Wichtig sei, dass man sich auf Ziele einige, wird er etwas später sagen. Aktuelle Erfolgszahlen hat er mitgebracht. Rund 10.000 Elektrofahrzeuge fahren bereits in Berlin und Brandenburg, 2300 E-Roller sowie eine Viertelmillion Pedelecs und E-Bikes.
„Die deutsche Verkehrspolitik war ein Totalausfall“
Aber es gibt nur rund 850 Ladepunkte für Elektrofahrzeuge in der Hauptstadt, und die Berliner stehen im Schnitt jährlich 150 Stunden im Stau. Die hauptstädtischen Verkehrsbetriebe (BVG) wollen zwar bis 2030 rund 1500 Elektrobusse anschaffen, aber noch fahren fast ausschließlich qualmende Diesel. Und den gesamten Ausstoß von Kohlendioxid hat Berlin zwischen 2016 und 2019 zwar deutlich reduziert, aber die Emissionen des Straßenverkehrs haben von vier auf fünf Millionen Tonnen zugelegt. Und wie fast überall in Deutschland stehen die privaten Autos der Berliner etwa 23 von 24 Stunden ungenutzt still.
Aber demnächst soll ja alles besser werden. Die Berliner Carsharing-Flotte wächst in diesem Jahr auf 5000 Fahrzeuge (Richtig, VW kommt mit 1500 E-Gölfen hinzu), City-Busse sollen zu Stromern umgerüstet werden, ebenso die Lieferfahrzeuge. Und mit der im Sommer dieses Jahres kommenden BVG-App „Jelbi“ sollen für den Kunden sämtliche Berliner Verkehrsmittel ganz easy miteinander vernetzt werden. Bezahlautomatik inklusive. Endlich sollen auch Laternenmasten als Ladestationen fungieren dürfen, und Tankstellen sollen zukünftig Wechselakkusysteme für diverse E-Fahrzeuge offerieren. „Die brauchen ohne Benzin und Diesel ja neue Geschäftsmodelle“, philosophiert Lobenberg schon mal weit voraus.
Ach so, die Konferenz. Eine ziemlich bunte Mischung von schwergewichtigen Referenten und Start-up-Pitches. Grußworte vom zuständigen Berliner Staatssekretär Christian Rickerts („Wir brauchen dringend die Energiewende in Berlin“), der mittelfristig 28 Milliarden Euro für den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs verspricht. Ernste Warnungen (mit Blick auf die weltweiten Klimaziele) von Claudia Kemfert, Chefin der Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW): „Die deutsche Verkehrspolitik war leider ein Totalausfall in den letzten beiden Jahrzehnten.“ Falsche Subventionen (Diesel, Kerosin, Dienstwagen und so weiter) und die deutsche Angst vorm Tempolimit auf der Autobahn. Sie fordert, Raunen bei den älteren Herren im Saal, eine verbindliche Quote für Elektroautos – 25 Prozent bis 2025, 50 Prozent bis 2030. „Sonst wird das nichts mit den großen Zielen.“
Und Daniela Gerd tom Markotten, die neue Chefin des BMW-Daimler-Gemeinschaftsprojekts ReachNow, redet mal gleich über ein globales Ökosystem, welches das neue Unternehmen schaffen will – vom Carsharing über eine multimodale Mobilitätsplattform bis hin zum E-Ladeservice. „Unser Ziel ist eine Welt ohne Stau“, verkündet sie mutig. Passt hier natürlich, Berlin ist gerade zu Deutschlands Stauhauptstadt Nummer eins gewählt worden.
Und dann die Berliner Start-ups. Ubitricity zum Beispiel will mit dem Projekt „Neue Berliner Luft“ bis zu 1000 (!) Straßenlaternen zu Ladepunkten umfunktionieren, mit intelligenten, selbst abrechnenden Ladekabeln, dazu sollen in den Außenbezirken in Kooperation mit der Gasag weitere 600 Säulen kommen. CleverShuttle (Hauptgesellschafter ist die Deutsche Bahn) ist günstiger (um bis zu 50 Prozent) und viel grüner als klassische Berliner Taxis – im ersten Quartal gab es zum ersten Mal einen mehr als fünfzigprozentigen Anteil von geteilten Fahrten („Ride-Pooling“) in Berlin. Und die noch junge GreenPack GmbH will in der Hauptstadt grüne Energie für jedermann bedarfsgerecht verfügbar machen, „zum Beispiel mit handlichen 1,4-kWh-Akkus für mittlerweile bis zu 30 Anwendungen – vom Rasenmäher bis zur Drehbühne im Theater“, erklärt der junge Geschäftsführer Tobias Breyer. Bis zu 25 Akkuwechselstationen an Tankstellen will die Truppe bis zum Jahresende installieren.
Viele schöne Aussichten und bekannte Ärgernisse, es gab ja noch viele andere Redner und Themen an diesem verregneten Donnerstag. Zum Beispiel haben wir von Thomas Schäfer, Chef der Stromnetz Berlin GmbH, gehört, das die hauptstädtische Stromversorgung bei cleverer Steuerung schon heute locker für 250.000 Elektroautos reichen würde. Draußen indes laufen die Vorbereitungen für die große Schülerdemonstration „Fridays for Future“, die, wie passend, morgen unter anderem vor der Einfahrt zum Bundesverkehrsministerium starten soll. Es geht voran.