In Japan ist vieles anders als in Mitteleuropa. Da sind zum Beispiel die Hightech-Toiletten mit beheizten Sitzen, verschiedenen Waschprogrammen und einer Geräuschfunktion, die das Verrichten des Geschäfts übertüncht. Außerdem ist dort alles geregelt. Vordrängeln gilt als extrem unhöflich. Platz ist in Tokio Luxus: Hotelzimmer sind manchmal nur einfache Schlafkabinen. Und das Anstellen in einer Schlange gehört zum Alltag. Also ist die Blechlawine für die Menschen in Nippon schon längst Routine. Die Lösung der Gleichung Platzmangel plus zu viele Autos ergibt Kei-Car. Diese rollenden Schuhkartons sind ein weiteres japanisches Unikat.

Während sich der teutonische SUV-Ritter beim Anblick einer vermeintlichen automobilen Verzichtserklärung den Bauch vor Lachen hält, sind diese Vehikel zwischen Sapporo und Fukuoka ein echter Verkaufsschlager. Rund 30 Prozent der Zulassungen im Land entfallen auf diese Fahrzeuge. Noch Fragen?

Kantig, praktisch, gut 
Kei Cars dürfen in Japan maximal 3,40 Meter lang, 1,48 Meter breit und zwei Meter hoch sein. Der Nissan Sakura bleibt klar darunter.
Kantig, praktisch, gut
Kei Cars dürfen in Japan maximal 3,40 Meter lang, 1,48 Meter breit und zwei Meter hoch sein. Der Nissan Sakura bleibt klar darunter.

Japan wäre nicht Japan, gäbe es nicht ganz klare Vorschriften, wie ein Kei Car auszusehen hat. Mittlerweile dürfen die kleinen Flitzer maximal 3,40 Meter lang, 1,48 Meter breit und zwei Meter hoch sein. Auch bei der Motorisierung ziehen die japanischen Mobilitätswächter klare Grenzen: Der Antrieb darf nicht mehr als 47 kW (64 PS) und einen Hubraum von 600 Kubikzentimeter haben.

Letzteres gilt natürlich nicht für einen Stromer wie den Nissan Sakura. Und bei der Leistung des Elektromotors mit der internen Kennung MM48 legt der japanische Autobauer beim Heimspiel eine Punktlandung hin. Die Belohnung für die Zurückhaltung bei PS und Fahrzeuggröße ist ein Rabatt beim Fiskus. So kostet der Bonsai-Stromer nur rund 3,1 Millionen Yen, umgerechnet sind das etwa 19.300 Euro. Davon gehen noch Subventionen ab, die den kleinen Japaner für die meisten Menschen erschwinglich machen.

Mehr Würfel als Limousine

In Zeiten der Elektromobilität gewinnen die Fahrzeug-Kategorie noch mehr an Bedeutung. In Japan und – in ähnlicher Form – allmählich auch in Europa. Bei uns erfüllen Leichtfahrzeuge der Kategorien L6e (bis Fahrgeschwindigkeiten von 45 km/h) und L7e (Höchstgeschwindigkeit: maximal 90 km/h) ähnliche Funktionen. Citroen Ami, Opel Rocks-e und Fiat Topolino aus dem Stellantis-Konzern, aber auch der neue Mobilize Duo sowie der Microlino im Isetta-Gewand decken solche Mobilitätsbedürfnisse europäischer Kunden ab.

Ganz erwachsen 
Der Fahrer des Elektro-Zwergs muss im Alltag nichts vermissen. Weder Platz noch Assistenzsysteme, wie unsere Testfahrt zeigt.
Ganz erwachsen
Der Fahrer des Elektro-Zwergs muss im Alltag nichts vermissen. Weder Platz noch Assistenzsysteme, wie unsere Testfahrt zeigt.

Wir haben uns bei einer Stippvisite in Japan einen ganz besonderen Vertreter der Kei-Car-Gattung ausgesucht: den Nissan Sakura. Seines Zeichens Gewinner des Japan Car of the Year Awards 2022/2023 und technischer Bruder des Mitsubishi eK X EV. Sobald man sich dem rollenden Preisträger nähert, kommt einem der Song „Living in a Box“ von der gleichnamigen Band in den Sinn. Das Auto ist mehr Würfel als Limousine und die Japaner verbringen viel Zeit in dem fahrbaren Untersatz. Die rollende Schachtel ist exakt 3,395 Meter lang, 1,475 Meter breit und 1,665 Meter hoch. Also auch da haben die Ingenieure das Maßband angelegt und die Vorschriften penibel befolgt.

Alles andere als ein Verkehrshindernis

Wir schwingen uns hinter das Lenkrad … Rechts, wie in Japan üblich. Wer glaubt, dass auch im Innenraum automobiler Minimalismus herrscht, täuscht sich erneut. Das fängt schon beim Infotainment an: Der Bildschirm für die digitalen Instrumente misst sieben Zoll und das zentrale Display sogar neun Zoll. Da kann sich der eine oder andere europäische Kleinwagen warm anziehen. Das gilt auch für den Rest der Technik. Der Winzling kommt mit einigen Fahrassistenten daher. Darunter einem „ProPilot-Park“-System, das den Sakura selbsttätig in eine Lücke manövriert. Die flüssigkeitsgekühlte Batterie hat eine Kapazität von 20 Kilowattstunden, was im japanischen WLTC-Zyklus für 180 Kilometer reicht. Geladen wird entweder daheim über Nacht einphasig mit maximal 3,5 kW oder an einem Gleichstrom-Lader per CHAdeMO-Stecker mit 30 kW. Und das bei Bedarf auch bidirektional.

Bis zu 130 km/h schnell
Auch im Eco- und Normal-Fahrprogramm mutiert der Nissan Sakura nicht zur rollenden japanischen Wanderdüne. Fotos: Nissan

Wir wieseln über die Stadtautobahnen von Yokohama. Mit der Kei-Car-Maximalleistung von 47 kW oder 64 PS und dem maximalen Drehmoment von 195 Newtonmetern ist man überall gut dabei. Der Antritt ist stramm genug, um im Verkehr flott mitzuhalten zu können. Vor allem im Sport-Fahrmodus. Aber auch im Eco- und Normal-Fahrprogramm mutiert der Sakura nicht zur rollenden japanischen Wanderdüne. Das geringe Gewicht von 1.080 Kilogramm hilft dabei natürlich.

Wendekreis von nur 4,80 Metern

Wer will, wechselt in den E-Pedal-Modus und kann sich auf das Gaspedal beschränken. Auch die Höchstgeschwindigkeit von 130 km/h reicht völlig aus: Mehr braucht im Stadtverkehr kein Mensch. Viel wichtiger ist der Wendekreis von 4,80 Metern. Damit wuselt man um jede Ecke und durch schmale Gassen auf der Suche nach der besten Ramen der Stadt. Während die SUV- Helden noch nach einem Parkplatz suchen, ordern wir schon den Nachschlag der leckeren Nudelsuppe.

Perfekter Zweitwagen
Der Sakura wird von einer Lithium-Ionen-Batterie angetrieben, die in größerer Form auch den Nissan Leaf antreibt. Geladen wird daheim an einer Haushalts-Steckdose oder über einen CHAdeMO-Stecker auch bidirektional mit bis zu 30 kW Leistung.

Mit vollem Bauch fährt es sich nicht ganz so gut. Also wechseln wir auf der Rückfahrt auf die Rücksitzbank. Die Türen schwingen weit auf, das Einsteigen ist dadurch entspannt und bequem. Wer glaubt, dass man sich in diesem Auto im Fond zusammenfalten muss und die Knie sich neben den Ohren befinden, wird sehr schnell eines Besseren belehrt. Dank des flachen E-Mobil-Bodens und des Radstands von 2,495 Metern kann man es sich auch in der zweiten Reihe ziemlich gemütlich machen. Auch da schaut so manches ausgewachsene Auto ganz schön alt aus.

Japanische Kirschblüte – warum nicht bei uns?

Wir lassen es uns gut gehen und lümmeln uns ganz entspannt hin. Die Rückbank lässt sich verschieben und die Lehnen umklappen, was das Kofferraumvolumen von 107 Litern enorm vergrößert. Auch hier überrascht der Nissan. Wir sind mittlerweile ein absoluter Fan des Kei-Cars.

Bleibt zum Schluss noch ein Rätsel zu lösen: Was hat es eigentlich mit dem Namen Sakura auf sich? Sakura ist die japanische Kirschblüte und eines der wichtigsten Symbole der Kultur des Inselstaates. Das passt zu diesem Auto und den Kei Cars im Allgemeinen. Denn nirgendwo sonst sind die Bonsai-Autos so beliebt wie im Land der aufgehenden Sonne. Wann entschließt sich die EU, auch bei uns eine solche Fahrzeugkategorie einzuführen?

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