Der Autoverkäufer war noch nicht auf dem neuesten Stand. Die Broschüre, die er aus dem Schreibtisch zog, listete zwar fein säuberlich die „wichtigsten Wettbewerber“ des neuen Opel Corsa-e auf, führte deren Stärken und vermeintliche Schwächen auf – und nannte die Argumente, mit denen nach Ansicht der Vertriebsstrategen der Konkurrent im Verkaufsgespräch leicht aus dem Feld zu schlagen sei. Der VW Golf sei viel teurer und komme mit einer Akkuladung bei weitem nicht so weit, das gleiche gelte für den Nissan Leaf. Auch den Renault Zoe führte die kleine Verkaufshilfe „nur für den internen Gebrauch“ auf. Das Platzangebot, so wurde da bekritelt, sei zwar gut, aber zu den Schwächen des Autos zähle ein „außergewöhnliches Design“, ein Mangel an Assistenzsystemen sowie eine Batteriekapazität von gerade einmal 41 Kilowattstunden. So, so.

Beim kurzen Blick auf die Broschüre wurde zwar nicht ganz klar, wann genau sie erstellt wurde. Abgebildet war allerdings noch der Renault Zoe der ersten Generation. Der ist allerdings schon seit Oktober vergangenen Jahres Geschichte. Aktuell ist der Zoe, der aktuelle Platzhirsch unter den Elektroautos in Europa mit einer Produktion von inzwischen über 200.000 Exemplaren, bereits in Lebens-„Phase 2“. Renault hat ihm einen größeren Akku spendiert und einen stärkeren Motor – mit mehr oder minder den gleichen Leistungsdaten wie der brandneue Opel Corsa-e. Was für ein Zufall. Also ab in den Müllkorb mit der überalterten Verkaufshilfe – und her mit beiden Autos für eine erste Gegenüberstellung und ein erstes Kräftemessen.

Mit der Kraft der Sonne
Vor dem Start auf die Testrunde werden die beiden Elektroautos an der stylishen Ladestation von Fastned in Limburg noch einmal ordentlich mit Energie versorgt. Bild: Rother

Schein & Sein

Es weht ein eisiger Wind als sich das französische Leittier und der junge Herausforder an einer Ladestation von Fastned in Limburg erstmals Aug‘ in Aug‘ gegenüberstehen. Beide haben sich prächtig herausgeputzt. Beide sind in Topausstattung angereist, beide in greller Bemalung. Der Renault in einer Metallic-Lackierung in Aquamarin-Blau, der Opel in sportlichem Power-Orange mit schwarzem Dach – es fehlen nur die Rallye-Streifen.

Während beide an der Ladesäule Strom nuckeln und Kräfte für die Ausfahrt sammeln, haben wir Gelegenheit, die Ästhetik beider Modelle auf uns wirken zu lassen. Gutes Design macht bekanntlich Klick. Und es klickt ganz vernehmlich – nur bei beiden Autos auf ganz unterschiedliche Art. War der Zoe in Phase 1 noch so etwas wie ein rollendes Lutschbonbon, hat ihm Chefdesigner Laurens van den Acker ein paar Wellen und Sicken ins Blechkleid getrieben, die den viertürigen Kleinwagen nun deutlich prägnanter auftreten lassen. In der Seitenansicht spacig-elegant, mit einer grimmig-selbstbewussten Front und einem etwas hochnäsigen Heck, an dem die LED-Blinker ihre Signale als cooles Leuchtband senden.

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Sieht enger aus als es ist

Der Einstieg in den Fond des Corsa ist für großgewachsene Personen aufgrund der tiefen Dachlinie und der Position der B-Säule etwas beschwerlich. Aber wenn man drin ist, sitzt es sich ganz kommod. Foto: Rother

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Mehr Hocker als Sitz

Der Einstieg in den Fond des Zoe ist auch aufgrund des größeren Öffnungswinkels der Tür einfacher. Dafür ist der Sitzkomfort nicht so hoch. Und die Kopffreiheit etwas geringer. Foto: Rother

Der Opel Corsa macht jedoch keine Anstalten, sich zu verstecken. Die Matrix-LED-Scheinwerfer funkeln angriffslustig, die Karosserie mit der coupehaften Dachlinie scheint sich zum Sprung zu ducken. Der Corsa ist einen Tick (knapp zwei Zentimeter) breiter und (drei Zentimenter) kürzer, aber deutlich (zwölf Zentimeter) niedriger – das lässt ihn schon im Stand deutlich sportlicher erscheinen. Und der Unterschied setzt sich im Innenraum fort: Wo der Zoe-Fahrer auf dem Ledersitz wie auf einem Thron hockt, kauert der Fahrer des Corsa in seinem Sportsitz, deutlich näher der Asphalt- als der Fahrzeugdecke. Ausreichend Kopffreiheit herrscht allerdings hier wie da. Aber der Blick auf die Straße und den vorausfahrenden Verkehr ist ein anderer. Und natürlich der Einstieg: In den Zoe schwingt man sich, in den Corsa plumpst man hinein.

Wie viel Platz bieten die Kleinen?

Fondpassagiere sollten im Opel auch eine gewisse Sportlichkeit mitbringen, wenn sie größer als 1,60 Meter sind und in Schuhen jenseits der Größe 38 wandeln: Die niedrige Dachlinie zwingt dazu, den Kopf einzuziehen. Der kleine Öffnungswinkel und die B-Säule, an der die hintere Tür hängt, zwingen zudem dazu, zuerst mit den Füßen einzufädeln. Ist das Manöver gelungen, findet man auf der Rücksitzbank einen ganz passablen Knieraum vor.

Schöner und bequemer ist es aber hier wie da auf jeden Fall in der ersten Reihe. Der Renault gibt sich hier ganz spacig mit einem Info-Display nach Tesla-Vorbild im Hochformat, einem digitalen Cockpit und einem Gangwahlschalter, der eine Mischung aus Handschmeichler und dem Schubhebel eines Düsenjets ist.

Im Corsa geht es deutlich konventioneller zu – hier haben sich die Designer weniger an Tesla als an bewährten Anordnungen orientiert. Schließlich gibt es das Modell auch weiterhin mit Benzin- und Dieselmotoren. Und diese konservative Klientel mochte man offensichtlich nicht verschrecken. Das 10 Zoll große Infodisplay ist in die Mittelkonsole integriert. Und für die meisten Funktionen, selbst für die Steuerung des Radios, gibt es darunter ordentliche Knöpfe und Drucktasten – Rätsel gibt dieses Auto keine auf. Obendrein könnte man im riesigen Handschuhfach problemlos eine Handtasche verstauen. Wie praktisch.

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Ganz schön konventionell

Im Corsa findet sich der Fahrer sofort zurecht. Dass er am Steuer eines Elektroautos sitzt, merkt er erst beim Blick auf die Anzeigen. Das 10 Zoll große Informationsdisplay ist ins Cockpit integriert. Riesig ist das Handschuhfach. Foto: Opel

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Tesla lässt grüßen

Das senkrecht stehende Touchpad berhalb der Mittelkonsole erinnert an den kalifornischen Elektroauto-Pionier und sieht stylish aus. Doch viel steuern lässt sich darüber nicht: Viele Funktionalitäten werden ganz konventionell über Knöpfe und Tasten am und rund um das Lenkrad gesteuert. Für die Bedienung des Radios gibt es sogar einen eigenen Satelliten an der Lenkradsäule. Foto: Renault

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Kofferraum mit zwei Etagen

Gegen Aufpreis liefert Renault für den Zoe einen doppelten Ladeboden. Im Untergeschoss kann dann beispielsweise das Ladekabel vertaut werden. Das Platzangebot darüber reicht für zwei kleinere Reisekoffer.

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Ohne Netz und doppelten Boden

Opel hat die Plattform für den Corsa von der französischen Mutter PSA übernommen. Da sah man keine Notwendigkeit für einen doppelten Ladeboden. Zumal der Stromer nur eine Antriebsvariante für das Modell ist. Foto: Rother

Und wie schlagen sich die beiden Autos auf der Straße? Das erfahren Sie hier im nächsten Teil.

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8 Kommentare

  1. Duesendaniel

    Die Ladegeschwindigkeit ist leider das Manko bei Beiden, 47kW ist mir da auf Mittel- und Langstrecken einfach zu wenig. Deshalb haben wir jetzt den ID.3 bestellt, der hat mit bis zu echten 100 bzw. 125 kW eine ganz andere Ladekurve und braucht von 20 auf 80% für echte 240 km auf der Autobahn im Sommer gerade einmal 30 Minuten. Eine andere Welt!

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    • Franz W. Rother

      Nur zur Klarstellung: Der Corsa-e lädt wie der ID.3 (mit kleinem Akku) an der DC-Schnelladesäule bis zu 100 kW, an der AC-Säule mit 11 kW. Die Zoe hat an der AC-Ladesäule eine Ladeleistung von 22 kW, am DC-Lader bis zu 50 kW.Das sind allerdings alles theoretisch Werte. Interessant ist, wo möglich, bei allen drei Autos einmal den Verlauf der Ladekurven zu verfolgen.

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  2. Grax

    Überraschung am Ende?
    Das kommt auf den Blickwinkel an:
    Wer erwartet hat, dass die Neuentwicklung noch reifen muss um den Platzhirsch zu erreichen wird überrascht sein, das Opel auf Anhieb gleichziehen kann.
    Wer erwartet hat das sich der Platzhirsch als in die Jahre gekommenes Model herausstellt wird überrascht sein das es Renault gelungen ist mit vorsichtiger Weiterentwicklung an der Spitze zu bleiben.
    Es wird sich zeigen müssen ob es Opel wie Renault gelingt rasch hunderttausende Fahrzeuge seines Neulings in der erwarteten Marken-Qualität auszuliefern.

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  3. Grax

    Wurde auch Zeit das es nun einen günstigeren echten Konkurenten für den ZOE gibt, sonst hätte Renault keinen Anlass weitere ggf. günstige E-Modelle zu bringen: Twingo ZE und Dacia Spring

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  4. André

    Naja. … diese Materie ist, von Hause aus, schon immer sehr komplex.
    Schwarz/weiß hilft nur den PR – Trollen.
    So wie heutzutage verschiedene Antriebskonzepte zeitgleich ihre Berechtigungen erfahren, bleibt es auch in naher Zukunft.
    Variable Ölpreise und der 30 Zentimeter-Blick ins deutsche Portemonaie konnten noch Niemanden heilen.
    Denn: Nachhaltigkeit ist eine Haltung, die kein Anfang oder Ende kennt.

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  5. Strauss

    Man sitzt besser im Zoe, mehr Reihweite und laden mit Drehstrom 22 KW.günstiger durch die Batteriemiete

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  6. Alexander Wieland

    Der neue Corsa-e von Opel macht dem Platzhirsch Renault Zoe das Revier streitig. Die erste Begegnung der beiden Rivalen in freier Wildbahn endete mit einer Überraschung.

    Überraschung: Nach dem Kurztest lässt sich die Frage nicht ganz eindeutig beantworten. Die Antwort hängt vom Einsatzzweck des Fahrzeugs ab und den persönlichen Vorlieben ab. ??? -Danke, Ostereier suchen birgt mehr Überraschungen 🙂

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    • Franz W. Rother

      Es gibt noch ein paar andere Punkte. Ich habe diese aufgrund Ihres Hinweises noch einmal herausgearbeitet.

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