Berechnungen auf Basis von Hypothesen und Annahmen

Eine baum- und waldreichere Zukunft könnte die heutige Verbrennung von Kohle, Öl und Gas ausgleichen. Da die Modelle problemlos Zahlen liefern konnten, die den Kohlendioxidgehalt in der Atmosphäre so niedrig wie gewünscht ausfallen ließen, konnten immer ausgefeiltere Szenarien entwickelt werden, die die Dringlichkeit einer Reduzierung der fossilen Brennstoffnutzung verringerten. Dadurch, dass Kohlenstoffsenken in klimaökonomische Modelle einbezogen wurden, wurde eine Büchse der Pandora geöffnet.

Hier liegt der Ursprung der heutigen Net-Zero-Politik

Mitte der 1990er Jahre lag das Hauptaugenmerk jedoch auf der Steigerung der Energieeffizienz und der Umstellung auf andere Energieträger (in Großbritannien zum Beispiel bei der Umstellung von Kohle auf Gas) sowie auf dem Potenzial der Kernenergie, große Mengen kohlenstofffreier Elektrizität zu liefern. Die Hoffnung war, dass solche Innovationen den Anstieg der Emissionen aus fossilen Brennstoffen schnell umkehren würden.

Um die Jahrtausendwende war jedoch klar, dass diese Hoffnungen unbegründet waren. Da die ökonomischen Klimamodelle aber von schrittweisen Reduktionen ausgegangen waren, wurde es für sie immer schwieriger, Wege zur Vermeidung eines gefährlichen Klimawandels zu finden. Also bezogen sie einfach immer mehr Beispiele für Carbon Capture and Storage (CCS) ein, eine Technologie, mit der das Kohlendioxid aus Kohlekraftwerken entfernt und der abgeschiedene Kohlenstoff anschließend tief unter der Erde auf unbestimmte Zeit gespeichert werden könnte.

Sir Robert Watson
ist emeritierter Professor der Universität von East Anglia in Norwich. DEr Chemiker hat sich auf Fragen der Atmosphärenforschung spezialisiert. Seine Forschungen haben maßgeblich zu Modellen über den Abbau der Ozonschicht der Erde durch FCKW beigetragen. Er arbeitete für die NASA, war wissenschaftlicher Berater von US-Präsident Bill Clinton und bei der Weltbank. Für die britische Regierung war er Chief Scientific Adviser im Umweltministerium.

Das war prinzipiell möglich: Seit den 1970er Jahren wurde bei einer Reihe von Projekten komprimiertes Kohlendioxid von fossilem Gas getrennt und dann in den Untergrund eingeleitet. Bei dieser tertiären Ölgewinnung (Enhanced Oil Recovery) sollten Gase in Ölbohrlöcher gepresst werden, um das Öl zu den Bohrinseln zu treiben und so eine bessere Förderung zu ermöglichen – von Öl, das später verbrannt werden würde, wodurch noch mehr Kohlendioxid in die Atmosphäre gelangen.

CO2-Abscheidung als hypothetisches Verfahren in Klimamodellen

CCS bot also auch die Option, das Kohlendioxid nicht zur Förderung von Erdöl zu verwenden, sondern es im Untergrund zu belassen und aus der Atmosphäre zu entfernen. Diese bahnbrechende Technologie sollte eine klimafreundliche Kohle und damit die weitere Nutzung dieses fossilen Brennstoffs ermöglichen.

Doch lange bevor irgendetwas davon praktisch umgesetzt wurde, floss dieses hypothetische Verfahren in klimawirtschaftliche Modelle ein. Die bloße Aussicht auf CCS bot den politischen Entscheidungsträgern bereits einen Ausweg, um die dringend erforderliche Reduzierung der Treibhausgasemissionen zu erreichen.

Net Zero setzt sich durch

Als die internationale Klimaschutzgemeinschaft 2009 in Kopenhagen zusammenkam, war klar, dass CCS aus zwei Gründen nicht ausreichen würde.

Erstens gab es die Technik noch nicht. Es gab keine CCS-Anlagen in einem Kohlekraftwerk in Betrieb und es gab keine Aussicht darauf, dass diese Technologie in absehbarer Zukunft irgendeinen Einfluss auf die steigenden Emissionen aus der zunehmenden Kohlenutzung haben würde.

Das größte Hindernis für die Umsetzung waren die Kosten. Der Grund, warum man riesige Mengen an Kohle verbrennt, ist, dass man so relativ billigen Strom erzeugen kann. Die Nachrüstung von Anlagen zur Kohlendioxidwäsche in bestehenden Kraftwerken, der Aufbau der Infrastruktur für den Transport des abgeschiedenen Kohlendioxids und die Erschließung geeigneter geologischer Lagerstätten erfordern enorme Geldsummen.

Daher besteht die einzige Anwendung der Kohlenstoffabscheidung in der Praxis immer noch in der Verwendung des abgeschiedenen Gases zur verbesserten Ölgewinnung. Nur bei einem einzigen Demonstrationsprojekt hat es bislang eine Abscheidung von Kohlendioxid aus dem Schornstein eines Kohlekraftwerks gegeben, bei der der abgeschiedene Kohlenstoff anschließend unterirdisch gelagert wurde.

Ebenso wurde 2009 immer deutlicher, dass es nicht einmal möglich sein würde, die von den politischen Entscheidungsträgern geforderten schrittweisen Reduktionen zu erreichen – und zwar selbst wenn CCS funktionieren würde. Die Menge an Kohlendioxid, die jedes Jahr in die Luft gepumpt wurde, führte dazu, dass der Menschheit immer schneller die Zeit davonlief.

Als diese Hoffnung auf eine Lösung der Klimakrise nun also schwand, suchte man nach einem weiteren Wundermittel. Es wurde eine Technologie benötigt, die den Anstieg der Kohlendioxidkonzentration in der Atmosphäre nicht nur verlangsamt, sondern sogar umkehrt. Die Klima- und Wirtschaftsmodellierer, die bereits in der Lage waren, pflanzliche Kohlenstoffsenken und geologische Kohlenstoffspeicher in ihre Modelle einzubeziehen, griffen daher zunehmend auf die Lösung zurück, beides zu kombinieren.

Neue Heilsbringer-Technologie BECCS

So wurde die Bioenergie mit CO2-Abscheidung und -Speicherung (Bioenergy Carbon Capture and Storage, BECCS) zur neuen Heilsbringer-Technologie. Durch die Verbrennung von ersetzbarer Biomasse wie Holz, Kulturpflanzen und landwirtschaftlichen Abfällen anstelle von Kohle in Kraftwerken und die anschließende Abscheidung des Kohlendioxids aus dem Schornstein des Kraftwerks und seine unterirdische Speicherung könnte BECCS Strom erzeugen und gleichzeitig Kohlendioxid aus der Atmosphäre entfernen.

Denn Biomasse wie Bäume wächst ja nach und saugt so Kohlendioxid aus der Atmosphäre auf. Durch die Anpflanzung von Bäumen und anderen Bioenergiepflanzen und die Speicherung von Kohlendioxid, das bei ihrer Verbrennung freigesetzt wird, könnte der Atmosphäre mehr Kohlenstoff entzogen werden.

Mit dieser neuen Lösung formierte sich die internationale Gemeinschaft nach wiederholten Misserfolgen neu, um einen weiteren Versuch zu unternehmen, unsere gefährlichen Eingriffe in das Klima zu begrenzen. Die Bühne für die entscheidende Klimakonferenz 2015 in Paris war bereitet.

Im vierten Teil erfahren Sie, warum Zweifel am Pariser Klima-Abkommen angebracht sind.

Artikel teilen

Kommentar absenden

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert