Vorweg: Dieser Text ist eine Übersetzung der Kollegen von Golem. Das Original der Klimawissenschaftler James Dyke von der Universität von Exeter, Robert Watson, emeritierter Professor der Universität von East Anglia, und Wolfgang Knorr von der Universität Lund ist hier zu finden.

Manchmal kommt die Erkenntnis wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Verschwommene Umrisse nehmen Gestalt an und plötzlich ergibt alles einen Sinn. Hinter solchen Momenten verbirgt sich in der Regel ein viel langsamerer Prozess, der eher einer Morgendämmerung als einem Blitz ähnelt. Unbewusst wachsen Zweifel, ebenso ein Gefühl der Verwirrung, dass hier etwas nicht passt – bis schließlich etwas klick macht.

Wir, die Autoren dieses Artikels, haben zusammen wohl mehr als 80 Jahre damit verbracht, über den Klimawandel nachzudenken. Warum wir uns erst jetzt zu den offensichtlichen Gefahren der Klimaneutralität (im Englischen: Net Zero) äußern? Zu unserer Verteidigung sei gesagt, dass die Grundidee von „Net Zero“ trügerisch einfach erscheint – und wir geben zu, dass sie uns getäuscht hat.

Treibhausgase raus aus der Atmosphäre?

Die Bedrohung durch den Klimawandel ist die direkte Folge von zu viel Kohlendioxid in der Atmosphäre. Daraus folgt, dass wir den Ausstoß von immer mehr Kohlendioxid stoppen und sogar einen Teil davon entfernen müssen. Dieser Gedanke steht im Mittelpunkt des globalen Plans zur Verhinderung der Katastrophe. Dafür gibt es viele Vorschläge: von der massenhaften Anpflanzung von Bäumen bis hin zu Hightech-Geräten, die Kohlendioxid aus der Luft absaugen.

James Dyke
„Mich fasziniert das System Erde, wie das Leben auf ihr entstanden ist und sich entwickelt hat und was das für die Entwicklung des Planeten bedeutet. In meiner aktuellen Forschung an der University of Exeter untersuche ich, wie wir mit der Erde interagieren und wie sich diese Interaktionen auf die Menschen jetzt und möglicherweise weit in der Zukunft auswirken werden.“

Derzeit herrscht Konsens darüber, dass wir die globale Erwärmung schneller aufhalten können, wenn wir diese und andere sogenannte Kohlendioxidentnahme-Techniken einsetzen und gleichzeitig die Verbrennung fossiler Brennstoffe reduzieren. Die Hoffnung ist, dass wir gegen Mitte dieses Jahrhunderts den Netto-Nullpunkt erreichen – also den Punkt, an dem alle verbleibenden Emissionen von Treibhausgasen durch Technologien ausgeglichen werden, die sie aus der Atmosphäre entfernen.

Im Prinzip ist das eine großartige Idee. Leider trägt sie in der Praxis dazu bei, den Glauben an die Technik als Heilsbringer zu fördern und gleichzeitig das Gefühl der Dringlichkeit abzuschwächen, dass die Emissionen jetzt verringert werden müssen.

„Verbrenne jetzt, bezahl später“

Wir sind zu der schmerzlichen Erkenntnis gelangt, dass das Net-Zero-Konzept die rücksichtslose, sorglose Einstellung „Verbrenne jetzt, bezahl später“ gefördert hat, die die CO2-Emissionen weiter ansteigen ließ. Außerdem hat sie die Zerstörung der Natur durch die zunehmende Abholzung der Wälder beschleunigt und das Risiko weiterer Zerstörungen in der Zukunft stark erhöht.

Um zu verstehen, wie es dazu kommen konnte, wie die Menschheit ihre Lebensgrundlage aufgrund von Versprechungen über zukünftige Lösungen aufs Spiel gesetzt hat, müssen wir in die späten 1980er Jahre zurückgehen, als der Klimawandel weltweit zum Thema wurde.

Im zweiten Teil lesen Sie, wie es zu der Net-Zero-Idee kam

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