Die Bundesregierung wird voraussichtlich ihr selbst gestecktes Ziel von 15 Millionen Elektroautos bis 2030 verfehlen. Das war schon vor dem plötzlichen wie vorzeitigen Aus des Umweltbonus absehbar. Die möglichen Gründe dafür – und die Konsequenzen daraus – erläutert der SPD-Abgeordnete Mathias Stein im Interview. Er ist stellvertretender verkehrspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion und Mitglied des Verkehrsausschusses im Deutschen Bundestag.

Mathias Stein (SPD)
Der Wasserbauer und Bautechniker aus Kiel sitzt seit 2017 im Bundestag. Als Verkehrspolitiker und Fahrradabgeordneter setzt er sich für eine Verkehrswende ein, die nicht nur den Klimaschutz voranbringt. Foto: Marco Urban

Herr Stein, das Bundeswirtschaftsministerium hat die Förderung für den Kauf von Elektroautos wegen Sparmaßnahmen bereits zum 17. Dezember 2023 beendet. Wie bewerten Sie das?

Dass Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck von einem Tag auf den anderen die Förderprämien für E-Autos stoppt, halte ich für problematisch. Der Kauf eines Autos ist für die meisten Menschen eine große Investition, bei der sie ihre Kaufentscheidung sehr genau abwägen und die Kosten ganz konkret planen müssen. Bei allem Verständnis für das große Problem der Haushaltskonsolidierung – aber solche kurzfristigen Kehrtwenden, die noch nicht einmal so rechtzeitig kommuniziert werden, dass sich die Leute darauf einstellen können, das geht nicht! Es ist aller Ehren wert, dass die ersten Automobilunternehmen angekündigt haben, die Prämie nun selbst an die Kunden zu zahlen. Ich glaube aber, Minister Habeck wäre gut beraten, wenn er für eine verlässliche Übergangslösung sorgt.

Nach Einschätzung von Branchenvertretern droht die Bundesregierung das Ziel von 15 Millionen Elektroautos bis 2030 nun krachend zu verfehlen. Es könnten nur etwa acht Millionen erreicht werden. Was sind die Ursachen dafür?

Es existiert für E-Autos noch kein richtiger Zweit- und Drittmarkt. Dabei sind viele Menschen auf erschwingliche Autos angewiesen und können nicht 30.000 bis 50.000 Euro dafür ausgeben. Außerdem sind wir viel zu spät gestartet beim Thema Elektromobilität, es werden nach wie vor Verbrenner-Autos produziert. Ein anderer Punkt ist die Ladeinfrastruktur. Die ist zwar besser geworden, aber vielen fehlt noch die Sicherheit, dass sie eine Ladesäule vorfinden. Ich bin allerdings optimistisch, dass irgendwann der Knoten platzt und die Vorteile der Elektromobilität deutlich mehr im Vordergrund stehen. Wir müssen aber noch einige politische Schrauben justieren.

Mercedes PHEV am Ionity-Lader
„Wir brauchen ein stabiles Schnellladenetz und dafür braucht es staatliche Anreize.“
Foto: Mercedes-Benz

Welche sind das?

Mit Regulatorik ist einiges möglich. Das kommt aber oft nicht gut an und wird dann als „Hammer“ interpretiert. Der Anreiz für den Kauf eines E-Autos ist derzeit sehr gut. Die, die jetzt ein Elektroauto kaufen, haben zwar eine höhere Investition für das Auto, aber geringere Kosten über die Jahre. Dabei profitieren insbesondere die, die selbst ihren Strom für ihr Auto produzieren. Das sind vor allem Menschen im ländlichen Raum, die eine geförderte Photovoltaikanlage und einen Energiespeicher haben und auch ihre Tankkosten komplett einsparen. Das Ziel muss aber sein, dass sich Menschen mit einem durchschnittlichen Gehalt und ohne hohe Rücklagen Elektromobilität leisten können. Außerdem müssen wir die Gesamtzahl der PKW sinken oder zumindest stagnieren lassen. Wir haben in den vergangenen zehn Jahren eine Zunahme gehabt von über sieben Millionen PKW. Das ist deutlich zu viel.

Eine Möglichkeit, die Zahl der Autos zu reduzieren, ist das Carsharing. Gibt es Pläne der Regierung, dieses besser auszubauen?

Im Koalitionsvertrag steht, es soll mehr E-Autos im Carsharing geben. Es braucht weiterhin eine Form der Privilegierung von Carsharing und das entsprechende Gesetz müsste endlich überarbeitet werden. Carsharing sollte Teil öffentlicher Infrastruktur sein. Öffentliche und private Verkehre könnten stärker zusammengeführt werden, etwa bei Taxiunternehmen und On-Demand-Systemen. In großen Städten funktioniert das gut. In kleineren Gemeinden müssen wir einen Anreiz finden, es genossenschaftlich zu organisieren.

„Im PKW-Markt ist entschieden, dass die Batterie die elektrische Zukunft ist.“

Wie könnte dieser Anreiz aussehen?

Wir müssen die Vorteile deutlicher machen. Durch Carsharing können die Menschen viel Geld sparen, denn der individuelle Autobesitz ist nach dem Wohnen der größte Kostenpunkt. Je nach Modell hat man Kosten von mindestens 300 bis 500 Euro pro Monat. Selbst wenn man kein Luxusauto hat, ist das sehr teuer. Ich bin überzeugt, dass Sharing-Angebote öffentlich-rechtlich organisiert werden müssen, damit sie nicht nur in den Stadtzentren, sondern auch im Außenbereich funktionieren. Bikesharing beispielsweise könnte im ÖPNV-Angebot inkludiert sein.

Kritiker sagen, die Regierung hat sich zu einseitig auf den Ausbau der Ladeinfrastruktur konzentriert und zu wenig an einer Autostrategie gearbeitet. Stimmen Sie dem zu?

Zum Teil. In der Automobilindustrie gibt es eine krasse Uneinigkeit. Einige Automobilhersteller haben früher gesagt, wir stellen überhaupt nicht auf Elektromobilität um und wollen nicht die Klimaziele einhalten. Inzwischen sind alle eingeschwenkt. Im PKW-Markt ist entschieden, dass die Batterie die elektrische Zukunft ist. Die Hybride laufen langsam aus als Brückentechnologie, weil sie sehr teuer sind. Ich glaube, dass wir auch bei der Kaufförderung von Technologien noch mehr unternehmen müssen. Da haben wir schon sehr viel getan. Wir haben uns nicht nur auf Ladeinfrastruktur konzentriert. Am Ende ist es aber doch wichtig, sich darauf zu fokussieren: Wir brauchen ein stabiles Schnellladenetz und dafür braucht es staatliche Anreize.

An welcher Stelle sehen Sie dabei besonderen Bedarf?

Wir werden insbesondere im urbanen Raum Schwierigkeiten kriegen. Es braucht mehr Projekte, in denen Parken und Laden stärker zusammengedacht werden. Fast alle Innenstädte haben eine Parkplatz-Parkhaus-Problematik. Gefühlt findet niemand einen Parkplatz, aber die Parkhäuser sind leer. Man könnte das jetzt durch das Laden miteinander verbinden. Dass man weiß, wenn ich ins Parkhaus fahre, dann kann ich die drei oder vier Stunden mein Auto laden. Es wäre gut, wenn wir entsprechende Projekte städtebaulich anreizen könnten.

Gibt es dazu Initiativen auf Bundesebene?

Es gibt das Gebäude-Elektromobilitätsinfrastruktur-Gesetz „GEIG“ für die Installation von Ladeinfrastruktur an Stellplätzen. Das haben wir durch die Blockade von CDU und CSU in der vergangenen Legislatur leider nicht sehr ambitioniert ausgestalten können. Es wird jetzt evaluiert. Wir wollen, dass verpflichtend Ladepunkte installiert werden müssen, wenn ein Parkhaus gebaut wird. Das wird sich am Ende selbst tragen. Es wäre gut, wenn die Kommunen aktiv werden. Wir können sicherlich für den Umbau von Städten Fördertöpfe auflegen.

 Die verkehrspolitische Sprecherin der SPD, Isabel Cademartori, sprach von einem „Kulturkampf um die E-Mobilität“ von konservativer Seite. Sie forderte mehr Aufklärung. Was unternimmt die Regierung bei dem Thema?

Ich glaube, das erledigt sich von allein. PKW verursachen 60 Prozent der Emissionen im Verkehr. Davon müssen wir runterkommen. Innerdeutsche Flüge sind dagegen nur für 1,2 Prozent der Emissionen verantwortlich. Das macht die Dimension deutlich. Die 15 Millionen Elektroautos bis 2030 sind nicht „nice to have“. Wir müssen bis dahin 30 oder 35 Millionen Autos haben, die alle mit Erneuerbaren fahren. Das Ziel muss sein, dass dann von selbst keiner mehr ein Verbrenner-Auto kauft. Für viele ist Wohlstand mit dem Verbrenner-Auto verbunden. Da hängen auch Emotionen dran und das muss man würdigen und sagen, es war eine Erfolgsstory, dass Menschen mobil sein konnten. Aber jetzt entwickelt sich eine neue Technologie, die günstige und klimaschonende Mobilität ermöglicht. Ich bin sicher, dass sich mit diesen guten Argumenten immer mehr Begeisterung für E-Autos entwickeln wird.

In Kooperation mit dem Branchendienst energate.

Die deutschen Hersteller setzen auf stark motorisierte Autos und bieten wenig Mittelklasse- und Kleinwagen an. Können Sie auf diese Entwicklungen politisch Einfluss nehmen?

Das ist schwer in einer freiheitlichen, sozialen Demokratie. Ein Weg ist die Dienstwagenbesteuerung. Wir haben außerdem einen Wert bestimmt, ab dem es keine Förderung mehr fürs E-Auto gibt. Ich halte es für einen schweren Fehler, dass es immer größere Autos gibt. Weil das darauf aufbaut, dass der Wohlstand der Bevölkerung immer weiterwächst. Zudem steigt dadurch der Energieverbrauch. Wichtig ist, dass wir unsere Infrastruktur nicht nach diesen Autos aufbauen. Für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Automobilindustrie wäre es gut, wenn sie erschwingliche Autos baut. Die chinesischen Firmen haben uns da schon ein Stück weit den Rang abgelaufen.

„Ich halte es für einen schweren Fehler, dass es immer größere Autos gibt.“

 Hat die Debatte um E-Fuels, die vor allem von der FDP unterstützt werden, dem Verkauf von E-Autos geschadet?

Die Diskussion um E-Fuels hat sehr geschadet, weil viele Menschen in der Industrie an sie geglaubt haben. Ebenso Bürger, die gesagt haben, ich kann weiter mein Auto fahren und bin dann klimaneutral. Man muss sich immer vergegenwärtigen, dass es für die Produktion eines Liters E-Fuel sieben Mal mehr Energie braucht als für batterieelektrische Antriebe. Da ist eine gigantische Subventionsmaschinerie, die auch noch zum Betrug einlädt. Dem Treibstoff sieht man nicht an, wie er hergestellt ist. Insofern glaube ich schon, dass das eine Nebelkerze war. Es ist sicherlich eine Möglichkeit, bestehende Verbrenner-Autos klimaneutral zu machen, aber am Ende ist es nicht finanzierbar.

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